Mit der Antifa-Demo wurde er ins kalte Wasser geworfen.

Er ist der neue Leiter des größten Polizeireviers in der Ortenau: Peter Dieterle
Erstveröffentlicht: 
07.10.2011

Er ist der neue Leiter des größten Polizeireviers in der Ortenau: Peter Dieterle. Mit der Antifa-Demo wurde er ins kalte Wasser geworfen. Darüber, seine Ziele und die Arbeit der Offenburger Polizei sprach er im Interview.

 

BZ: Herr Dieterle, Sie sind noch keine Woche im Amt und mussten mit der leider nicht ganz gewaltfreien Antifa-Demonstration schon einen nächtlichen Großeinsatz leiten. Haben Sie sich so Ihren Einstieg in Offenburg vorgestellt?

Dieterle: Natürlich nicht! Es wäre mir lieber gewesen, hier ganz normal anzukommen und in Ruhe die Menschen kennenzulernen – vor allem auch die Kolleginnen und Kollegen. Das kam jetzt halt anders, ich musste ins kalte Wasser springen. Aber solche Einsätze wie am Mittwochabend sind für mich ja kein Neuland. Das kenne ich von Karlsruhe. Aber dass das jetzt ausgerechnet in meiner ersten Woche in Offenburg passierte, das hat wirklich nichts mit mir zu tun – das war reiner Zufall! (lacht).
 

BZ: Sie haben in Ihrer Antrittsrede sehr engagiert die zunehmende Gewalt gegen Polizisten thematisiert und deutlich gemacht, dass hinter jeder Uniform auch ein Mensch steckt. Sie sind seit mehr als 30 Jahren bei der Polizei: Wie erleben Sie und Ihre Kollegen die Situation im Alltag?


Dieterle: Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem ich als junger Polizist zum ersten Mal zum Polizeirevier Karlsruhe kam. Da stand ein Streifenwagen, an dem die Tür rausgetreten war. Die Nachtschicht hatte einen Mann abtransportiert, der sich entsprechend gewehrt hat. So etwas gab es damals also auch. Oder man fährt durch die Fußgängerzone, und es stellt sich jemand vor den Streifenwagen und haut das Blaulicht runter. Diese Dinge gab es. Aber man kannte diese Leute alle noch und wusste, mit wem man es zu tun hat. Heute sind es zu viele, die ein solches Verhalten an den Tag legen. Ich sehe da gar nicht unbedingt eine Steigerung der Aggression, sondern einfach die schiere Menge.

BZ: Polizisten müssen zunehmend um Gesundheit und Leben fürchten...
 

Dieterle: Das ist leider so. Ich erinnere mich gut an zwei besonders haarige Situationen im vergangenen Jahr in Karlsruhe. Im einen Fall wurden wir zu einem ganz normalen Hausstreit in einem Stadtteil gerufen. Eine Streifenwagenbesatzung – ein 50-jähriger Polizeikommissar und eine junge Polizeimeisterin, Mutter von zwei kleinen Kindern – fuhr hin und wurde gezielt im Hausflur abgepasst. Der Täter wollte die beiden mit einer Axt erschlagen. Nur weil sie absolut hochprofessionell reagiert haben, ist nichts Schlimmeres passiert. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht räumte der Täter dann auch die klare Tötungsabsicht ein. Der zweite Fall war der Banküberfall im Dezember, wo ein Kollege zum zweiten Mal in seinem Berufsleben erleben musste, dass ihm die Kugeln um die Ohren geflogen sind. Und allein im vergangenen Jahr musste ich acht Kolleginnen und Kollegen nach Blutkontakten zur Untersuchung auf Hepatitis C schicken. Das bedeutet für die Betroffenen ein halbes Jahr Belastung, bis das Ergebnis kommt. Das waren drei Beispiele, die zeigen, womit wir es mittlerweile zu tun haben. Wenn früher die Polizei zum Einsatzort kam, dann war die Sache vorbei. So ist es heute nicht mehr, da macht man einfach weiter. Das ist für mich eine sehr bedenkliche Entwicklung.

BZ: Was lässt sich dagegen tun? 

 

Dieterle: Das ist ein gesellschaftliches Problem. Die Polizei kann da nur einen kleinen Brand löschen – für den Brandschutz müssen andere sorgen. Das beginnt beim Thema Gewaltverherrlichung in den Medien, aber auch in den Elternhäusern, die sich darum kümmern müssen, was ihre Kinder anschauen. Das reicht über die Schulen, wo gewisse Dinge nicht einfach ignoriert werden dürfen, und das betrifft die Kommunen. Letztlich geht es darum, dass man all das, was man ja bereits an möglichen Lösungen erkannt hat, auch tatsächlich lebt. Polizei ist für Gesellschaftsprobleme nicht die Lösung.

BZ: Sie kommen aus Karlsruhe, wo sie ein Großstadtrevier geleitet haben. Was hat Sie gereizt, das Polizeirevier Offenburg zu übernehmen?
 

Dieterle: Zunächst mal empfehle ich jedem Berufsanfänger bei der Polizei, eine Zeitlang in einem Großstadtrevier zu arbeiten. Die Geschehnisse sind zwar die gleichen wie in Offenburg auch, aber die Taktung und die Dichte sind ganz anders. Aber wenn man als Streifenpolizist an der Basis Tag für Tag außer bei Verkehrsunfällen nur noch mit einer Problemklientel zu tun hat, dann wird das auf Dauer doch sehr belastend. Auch in der Führungsebene hat man oft nur noch Probleme zu bewältigen. Das ist ein sehr einseitiges Geschäft. Von Offenburg verspreche ich mir etwas mehr von der Vielfalt, die es ja auch gibt. Zudem kann man im ländlichen Raum, wo die Kontakte in der Regel viel persönlicher sind, die Probleme besser lösen. In der Großstadt ist alles viel anonymer. Und natürlich reizt mich auch die Ortenau!

 

BZ: Was genau gefällt Ihnen hier?
 

Dieterle: Die Ortenauer sind ein toller Menschenschlag – sehr herzlich. Und die Landschaft im Revierbereich – von der Rheinebene bis in die Vorbergzone – ist ja auch fantastisch. Das hat mir in der Stadt, wo man das Grün suchen muss, immer gefehlt. Und ich verstehe meinen Vorgänger Adrian Brädle, der den Balkon des Polizeireviers vermisst. So eine Aussicht hatte ich in Karlsruhe nicht.

BZ: Brädle hat als eines der großen Problemfelder die Beschaffungskriminalität benannt, was auch daran liegt, dass Offenburg als einzige Stadt im Kreis Einrichtungen für Drogensüchtige wie die Schwerpunktpraxis und das Kontaktcafé hat. Bringen Sie ein Rezept aus Karlsruhe mit, was unternommen werden kann?
 

Dieterle: Die Konzentrierung von Betreuungseinrichtungen und damit bestimmter Gruppen ist in beiden Revieren ähnlich. Wir werden ein starkes Auge darauf haben und auch in Offenburg den Kontrolldruck hoch halten, um die Probleme in einem erträglichen Maß zu halten. Aber auch das ist eine Sache, die wir als Polizei nicht lösen können. Es wäre natürlich hilfreich, wenn sich auch andere Kommunen mit solchen Betreuungseinrichtungen engagieren würden. Dann verteilt sich die Belastung auf alle und es bekommt nicht eine alleine alles knüppeldick ab.

BZ: Sie sind Chef von bis zu 150 Kolleginnen und Kollegen – ist das Polizeirevier mit seinem Zuständigkeitsbereich weit über Offenburg hinaus damit personell ausreichend ausgestattet?
 

Dieterle: Das kann ich noch nicht beurteilen, das ist noch zu früh. Aber ich werde sicher mit Karlsruhe vergleichen, wo wir rund 100 Kollegen waren, durch viele Abordnungen aber real weniger. Da haben wir sehr oft an der Kante gearbeitet.

BZ: Sie haben in Ihrer Antrittsrede auch gesagt: "Wir kommen immer, wenn man uns ruft". Müsste die Polizei nicht viel stärker schon aktiv sein können, bevor es zu Notrufen kommt?
 

Dieterle: Ganz klar. Die Prävention ist die Königsdisziplin der Polizei, also da zu sein, bevor etwas passiert. Da bemühen wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten sehr. Was dieses Revier im Vorfeld leisten kann, das leistet es auch. Es werden ja auch immer wieder Täter festgenommen, bevor etwas passiert.

BZ: Was wünschen Sie sich von den Menschen in Ihrem Einsatzgebiet?
 

Dieterle: Wie gesagt, ich finde die Menschen hier toll. Die sollen bleiben wie sie sind! Ich habe schon die ersten Kontakte in der Stadt, und wenn sich das wie bisher weiterentwickelt, dann freue ich mich riesig auf das, was kommt. Wichtig ist mir aber auch, dass die Leute Vertrauen zu uns haben. Ich möchte deshalb die von vielen Menschen als anonym wahrgenommene Polizei auch mit Gesichtern füllen. Klar, wir haben unseren Job und unsere Regeln und füllen die uns von der Gesellschaft zugedachte Rolle aus. Aber man soll auch sehen, dass wir nichts Exotisches sind, sondern Teil dieser Stadt und dieser Region – und in der Uniform vor allem auch Menschen stecken, mit denen man reden kann.

BZ: Der jüngste Demo-Nachteinsatz hat gezeigt, dass mit Ihrem Amt auch hoher Zeitaufwand verbunden ist. Wie verbringen Sie denn am liebsten ihre Freizeit?
 

Dieterle: Da setze ich für den Kopf und den Körper einen absoluten Kontrapunkt. Für den Kopf lese ich sehr gerne ein gutes Buch. Das lässt mich in eine andere Welt eintauchen und bringt mir andere Themen und Gedanken. Und für den Körper mache ich Ausdauerläufe bis hin zum Marathon – wobei es mir da weniger um sportliche Erfolge sondern mehr um die Fitness geht.

ZUR PERSON: Peter Dieterle

wurde 1961 in Forbach im Murgtal geboren, ist verheiratet, hat einen 21 Jahre alten Sohn und lebt seit 30 Jahren in Achern. Dieterle trat 1977 in den Bundesgrenzschutz (heute Bundespolizei) ein, machte eine Ausbildung in Bayern und wurde 1980 in die Ortenau versetzt. 1989 wechselte er zur Landespolizei und ins Karlsruher Innenstadtrevier. Nach weiteren Stationen und Studium für den höheren Dienst leitete er bis zum Wechsel nach Offenburg seit 2006 das Revier Karlsruhe Südweststadt, daneben regelmäßig sportliche und politische Großveranstaltungen. Auch an der Planung des Natogipfel-Einsatzes wirkte er mit.