Burschentag in Eisenach
Der Eklat um den "Ariernachweis" drohte die Deutsche Burschenschaft zu spalten. Beim diesjährigen Burschentag auf der Wartburg bemüht sich die Führung um Geschlossenheit. Doch gegen die reaktionären Kräfte in der Verbindungsszene ist sie machtlos.
Auf dem ersten Blick sehen die 250 Männer im Innenhof der Wartburg alle gleich aus: Sie tragen rote, grüne oder violette Kappen, eine goldene Büxennadel am Revers und Scherpen mit ihren Verbindungsfarben um den Bauch. Aber Unterschiede gibt es doch: Manche Jungburschen stecken in eng geschnittenen schwarzen Anzügen, tragen randlose Brillen und könnten so auch bei McKinsey arbeiten. Andere haben ihre Vollbärte mit Lederhose und Trachtenjanker kombiniert oder ihre langen Haare zum Zopf gebunden.
123 Mitglieds-Bünde des Dachverbandes Deutsche Burschenschaft treffen sich seit Donnerstag zum jährlichen Burschentag auf der Wartburg im thüringischen Eisenach. Die Männer mit den Bierhumpen in der Hand verbindet neben dem Alkohol einzig ihr gemeinsames Motto: "Ehre, Freiheit, Vaterland". Ihre Weltanschauungen und Überzeugungen sind vielfältig - auch wenn es auf den ersten Blick anders aussieht.
Nach außen werden die Männerbünde meist als traditionsbewusste Verbindung reaktionärer Studenten und ihrer Alten Herren wahrgenommen. So inszeniert sich die Deutsche Burschenschaft auch jetzt, als Bläser den Einmarsch der Chargierten kundgeben: Junge Männer in weißen, militärähnlichen Uniformen und Reiterstiefeln marschieren durch das mächtige Steinportal der Wartburg, stellen sich in Reihe auf und erheben Fechtwaffen.
Der Verfassungsschutz beobachtet einige Burschenschaften
Sie wirken in diesem Moment wie eine Einheit, dabei drohte in den vergangenen Tagen ein Eklat den Dachverband zu spalten: SPIEGEL ONLINE hatte herausgefunden, dass die Verbindung Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn einen rassistischen Antrag auf dem Burschentag einbringen wollte. Nur Söhne von deutschstämmigen Eltern sollten in Mitglieds-Burschenschaften des Dachverbandes aufgenommen werden dürften. In einem zweiten Antrag forderten die Bonner darum gleich den Ausschluss der Verbindung Hansea Mannheim, weil sie Kai Ming Au aufgenommen hatte. Sein vermeintlicher Makel: Er hat chinesische Eltern.
Doch nach massiver Kritik hatte die Burschenschaft die beiden auch als "Ariernachweis" bezeichneten Anträge noch vor der Verhandlung zurückgezogen. "Dieser Antrag wäre nicht satzungsgemäß gewesen und ist daher zwingend von der Tagesordnung gestrichen worden", erklärt Burschen-Pressesprecher Michael Schmidt.
Es war nicht das erste Mal, dass Burschenschaften durch rassistische Tendenzen aufgefallen sind: Einige werden sogar vom Verfassungsschutz beobachtet. Denn in ihren Reihen fühlen sich auch NPD-Kader oder Mitglieder anderer rechtsextremistischer Organisationen wohl, einige Verbindungen laden gern mal Holocaust-Leugner zu Vorträgen ein oder inserieren in rechtsextremem Publikationen wie der Jungen Freiheit oder der Deutschen Militärzeitschrift.
In einem Drittel der Bünde werden rechtsextreme Positionen vertreten
Der Rückzug der Hardliner hat wohl die Spaltung eines der ältesten deutschen Burschenschaftsverbände verhindert. Denn so reaktionär wie die rechtsgerichteten Raczeks denken bisweilen nicht alle Mitgliedsbünde: Einige kritisieren darum auch ein "mangelhaftes Demokratieverständnis" sowie ein "Kokekettieren mit nationalsozialistischer Symbolik" im Verband.
Auch der chinesischstämmige Bundesbruder Kai Ming Au aus Mannheim sieht diese Tendenzen im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE kritisch: "Hintenrum bekomme ich natürlich diese Beleidigungen mit. Aber Mitglieder mit dieser Haltung sind in der absoluten Minderheit", sagte er.
Das schreibt auch der Hamburger Verfassungsschutz, der die Deutsche Burschenschaft 2010 nach langer Abstinenz wieder in seinem Bericht erwähnt: In lediglich einem Drittel der Bünde würden "rechtsextremistische Positionen vertreten". Eine eindeutig rechtsextreme Prägung sei nur "bei wenigen Burschenschaften nachweisbar".
Dieses Spannungsverhältnis spiegelt sich auch im Programm des diesjährigen Burschentags: Neben Fackelumzug und Fechtseminar ist auch ein Jazz-Frühshoppen geplant. Ginge es nach Kai Ming Au, würden die gemäßigten Bünde gewinnen: Er will im kommenden Jahr für einen Führungsposten im Dachverband kandidieren, um "das Feld nicht wortlos zu räumen, und damit die Chance auf eine liberale Zukunft der Deutschen Burschenschaft zu vergeben."
"Wir sind aufgerufen für unser Volk zu kämpfen!"
Er müsste sich mit Menschen wie Lutz Weinzinger anlegen. Der Alte Herr einer schlagenden Wiener Verbindung war Spitzenkandidat der rechtspopulistischen FPÖ in Oberösterreich und sitzt seit fünf Jahren als Abgeordneter im österreichischen Nationalrat. Als Festredner tritt er jetzt ans Pult und schilt die Medien. Danach erinnert er an die - angeblich - auf die Burschenschaften zurückgehenden Errungenschaften: Freiheit, Demokratie, Gewaltenteilung, Versammlungs- und Meinungsfreiheit.
Natürlich hätten die Burschenschaften auch Fehler gemacht in den vergangenen Jahrzehnten, räumt er ein. "Aber andere Völker und Religionen wie der Islam" seien auch nicht fehlerfrei. So will er beispielsweise den Fehler von zu viel Nähe der Bundesbrüder zu den Nationalsozialisten relativieren. "Wir sind aufgerufen für unser Volk zu kämpfen!", ruft er den versammelten Burschen zu und meint damit Deutschland und Österreich. "Aber wir sind nicht aufgerufen, unsere Knochen für das koreanische Volk zu brechen."
Die Burschenschafter fühlen sich der freien Meinungsäußerung verpflichtet - das gebietet die Tradition und gilt auch für auch extreme Positionen. Das ist ihr Dilemma. Denn durch die basisdemokratische Struktur des Verbandes gibt es kein Gremium, das solche Tendenzen als Minderheitenmeinung abfängt. "Wir glauben jedoch, dass sich Minderheitsmeinungen von selbst desavouieren", sagt Pressesprecher Schmidt.
In den vergangenen Tagen ist eine dieser Minderheitenmeinung an die Öffentlichkeit gelangt - zum Missfallen des Pressesprechers. Und das Thema dominierte natürlich auch den Burschentag: "In einer eineinhalbstündigen Generaldebatte haben wir über den Abstammungsparaphen gestritten", sagt Schmidt, "aber auch über andere Themen." In der restlichen Zeit wählten die Mitglieder neue Ämter.
Vielleicht nimmt man den Burschenschafts-Verband auch deshalb so einseitig wahr: Er beschäftigt sich zu viel mit sich selbst.
Von der Maas bis an die Memel - Deutschland, Deutschland über alles
Es ist Abend geworden in Eisenach. Die Teilnehmer des Burschentags versammeln sich am Fuße des Burschenschaftsdenkmals auf der Göpelskuppe im verbandeseigenenen Berghotel. Hier liegt nur eine einzige Zeitung aus: die rechtsgerichtete "Junge Freiheit". Einige Teilnehmer sitzen auf der Terrasse und schauen von hier auf die Wartburg. Auf dem Grill liegen Bratwüste und Steaks, das Bier fließt in Halblitergläser. Ein Teilnehmer mit roter Mütze erhebt sich und sagt: "Liebe Bundesbrüder, wer noch gern am Fackelzug teilnehmen möchte, der möge sich bitte jetzt zur Wiese bewegen."
Hunderte folgen seinem Aufruf und treffen sich auf einem Feld. Von dort marschieren sie im Dunkeln, von Trommeln begleitet, zurück zum Denkmal. Hier wollen sie der getöteten Verbandsbrüder gedenken.
Während des Totengedenkens liegt Fackelgeruch in der Luft, es ist andächtig still geworden, die Burschen sind unter sich. Nur ein paar Polizisten schleichen betont unauffällig in Zivil mit Walkie Talkies herum.
Die Fackelträger stehen in einer Formation um den Redner. Eine Schweigeminute geht fließend in Gesang über. Hunderte Burschen singen zum Ende des Tages das Deutschlandlied - aber nicht nur die dritte Strophe, die deutsche Nationalhymne. Sie singen alle drei Strophen: Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt - Deutschland, Deutschland über alles.