Zum Prozess um Vermummung ("Demonstranten dürfen keine Papiermasken und Perücken tragen", BZ vom 30. März).
Der Bericht zum Strafprozess um Vermummung auf der Demonstration vom 14.
November 2009 geht leider am Hauptproblem des Falls vorbei: Die
Aufmachung aus Theatermaske und Perücke musste laut der Verteidigung
nicht nur objektiv dazu geeignet sein, eine polizeiliche
Identitätsfeststellung des Demonstranten zu verhindern, sondern sie
musste auch subjektiv genau darauf gerichtet sein. Staatsanwaltschaft
und Gericht waren dagegen – anders als etwa das Landgericht Hannover
2009 – der Meinung, dass auch eine Verkleidung, die nicht gegen eine
Identifizierung durch die Polizei gerichtet ist, sondern nur vor
Nazi-Fotografen schützen soll, strafbar sein kann.
Diese Interpretation des Vermummungsverbots ist sehr problematisch: Wenn
der ganze Straftatbestand nicht verfassungswidrig sein soll, muss er
zumindest sehr grundrechtsfreundlich ausgelegt werden. Man darf ihn
jedenfalls nicht als allgemeines Verkleidungsverbot interpretieren. Bei
vielen Demonstrationen werden bestimmte Kleidungsstücke und Masken
verwendet, um Meinungen auf künstlerische Art zum Ausdruck zu bringen.
Solche Aktionen, etwa parodistische Auftritte im Clownskostüm, sind von
ihrer Zielsetzung her gerade nicht auf Vermummung gerichtet. Deswegen
sind verkleidete Demonstranten zwar für die Polizei nicht ohne Weiteres
identifizierbar, sie machen sich aber auch nicht ohne Weiteres strafbar.
Für eine enge Auslegung spricht rechtlich auch der (politisch
fragwürdige) Zweck des Vermummungsverbots: Weil Demonstrationen mit
unfriedlichem Verlauf früher häufig damit begannen, dass man sich in die
Anonymität zurückzog, soll schon diese an sich ungefährliche
Vorfeldhandlung bestraft werden. Es gibt aber viele Konstellationen, in
denen Personen gemeinsam unerkannt auf die Straße gehen, sich aber
keineswegs gewalttätig zu verhalten drohen. Wenn zum Beispiel, wie
kürzlich in Dortmund, Prostituierte für den Erhalt eines sicheren
Straßenstrichs demonstrieren, ohne ihre Gesichter später in der
Boulevardpresse abgedruckt sehen zu wollen, kann es nicht strafbar sein,
dass sie sich mit Perücken und Sonnenbrillen schützen. Ihre Verkleidung
ist dann zwar dazu geeignet, nicht aber darauf gerichtet, polizeiliche
Identitätsfeststellungen zu verhindern.
Aus dem gleichen Grund trägt das Vermummungsverbot auch nicht die
Bestrafung von Demonstranten, die ihr Gesicht nur aus begründeter Sorge
um eventuelle "Outings" und spätere tätliche Angriffe durch
Rechtsradikale verbergen. Auf tatsächlich anwesende politische Gegner
kommt es dabei nicht an; es genügt, dass die Umstände erkennen lassen,
weshalb sich jemand verkleidet hat. Im Freiburger Fall machte das
gesamte Verhalten des Angeklagten mehr als deutlich, dass es ihm nicht
auf Anonymität gegenüber der Polizei ankam, sondern er angesichts der
realistischen Bedrohungslage im Sommer 2009 eine Vorsichtsmaßnahme
gegenüber möglichen Nazi-Fotografen treffen wollte. John Philpp Thurn, Freiburg