Prozess um Vermummung "Diese Interpretation ist sehr problematisch"

Erstveröffentlicht: 
04.04.2011

Zum Prozess um Vermummung ("Demonstranten dürfen keine Papiermasken und Perücken tragen", BZ vom 30. März).

 

Der Bericht zum Strafprozess um Vermummung auf der Demonstration vom 14. November 2009 geht leider am Hauptproblem des Falls vorbei: Die Aufmachung aus Theatermaske und Perücke musste laut der Verteidigung nicht nur objektiv dazu geeignet sein, eine polizeiliche Identitätsfeststellung des Demonstranten zu verhindern, sondern sie musste auch subjektiv genau darauf gerichtet sein. Staatsanwaltschaft und Gericht waren dagegen – anders als etwa das Landgericht Hannover 2009 – der Meinung, dass auch eine Verkleidung, die nicht gegen eine Identifizierung durch die Polizei gerichtet ist, sondern nur vor Nazi-Fotografen schützen soll, strafbar sein kann.

Diese Interpretation des Vermummungsverbots ist sehr problematisch: Wenn der ganze Straftatbestand nicht verfassungswidrig sein soll, muss er zumindest sehr grundrechtsfreundlich ausgelegt werden. Man darf ihn jedenfalls nicht als allgemeines Verkleidungsverbot interpretieren. Bei vielen Demonstrationen werden bestimmte Kleidungsstücke und Masken verwendet, um Meinungen auf künstlerische Art zum Ausdruck zu bringen. Solche Aktionen, etwa parodistische Auftritte im Clownskostüm, sind von ihrer Zielsetzung her gerade nicht auf Vermummung gerichtet. Deswegen sind verkleidete Demonstranten zwar für die Polizei nicht ohne Weiteres identifizierbar, sie machen sich aber auch nicht ohne Weiteres strafbar.

 

Für eine enge Auslegung spricht rechtlich auch der (politisch fragwürdige) Zweck des Vermummungsverbots: Weil Demonstrationen mit unfriedlichem Verlauf früher häufig damit begannen, dass man sich in die Anonymität zurückzog, soll schon diese an sich ungefährliche Vorfeldhandlung bestraft werden. Es gibt aber viele Konstellationen, in denen Personen gemeinsam unerkannt auf die Straße gehen, sich aber keineswegs gewalttätig zu verhalten drohen. Wenn zum Beispiel, wie kürzlich in Dortmund, Prostituierte für den Erhalt eines sicheren Straßenstrichs demonstrieren, ohne ihre Gesichter später in der Boulevardpresse abgedruckt sehen zu wollen, kann es nicht strafbar sein, dass sie sich mit Perücken und Sonnenbrillen schützen. Ihre Verkleidung ist dann zwar dazu geeignet, nicht aber darauf gerichtet, polizeiliche Identitätsfeststellungen zu verhindern.

Aus dem gleichen Grund trägt das Vermummungsverbot auch nicht die Bestrafung von Demonstranten, die ihr Gesicht nur aus begründeter Sorge um eventuelle "Outings" und spätere tätliche Angriffe durch Rechtsradikale verbergen. Auf tatsächlich anwesende politische Gegner kommt es dabei nicht an; es genügt, dass die Umstände erkennen lassen, weshalb sich jemand verkleidet hat. Im Freiburger Fall machte das gesamte Verhalten des Angeklagten mehr als deutlich, dass es ihm nicht auf Anonymität gegenüber der Polizei ankam, sondern er angesichts der realistischen Bedrohungslage im Sommer 2009 eine Vorsichtsmaßnahme gegenüber möglichen Nazi-Fotografen treffen wollte. John Philpp Thurn, Freiburg