Regierungszeuge im Untersuchungsausschuss Gorleben: Kernenergie nicht nur vertretbar, sondern moralisch verpflichtend

Gorleben Ortsschild

Die Zeugenvernehmung im Untersuchungsausschuss Gorleben steht unter dem Eindruck der atomaren Havarie in Japan. Der Name des japanischen Ortes musste gar nicht ausgesprochen werden. Die Bilder von Fukushima sind dieser Tage fast übermächtig und die dadurch ausgelöste neue Atom-Debatte in Deutschland so präsent, dass dies die erste Zeugenanhörung im Gorleben-Untersuchungsausschuss nach der Katastrophe hintergründig immer begleitete.

 

Der Zeuge Dr. Alois Ziegler wurde zu Sicherheitskriterien für Atommülllager befragt und zu den Umständen wie das vor 30 Jahren war, als die Entscheidung fiel, einzig und allein den damals schon strittigen Standort Gorleben zu erkunden. Damals wie heute Befürworter der Atomenergie, gibt Ziegler sich hartleibig. Während der Bundestag nebenan über die Energiepolitik nach Fukushima debattiert, äußert der Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss ohne Not die Ansicht, „Kernenergie“ sei nicht nur vertretbar, sondern setzt dem noch eins drauf, indem er erklärt, „Kernenergie“ sei „moralisch verpflichtend für ein Industrieland wie unseres, auch heute noch“. Es sagt dies mehr über diesen Mann aus als viele Stunden der Befragung ans Licht bringen.

 

Das verfängliche Telefax
 
Ziegler war zwischen 1973 und 1983 im Bundesforschungsministerium (BMFT) tätig und leitete Anfang der 1980er Jahre das für „Entsorgung“ zuständige Referat. Sein Name wurde 2009 im Zuge der Enthüllungen von Manipulationen bei der Gorleben-Entscheidung in der Presse genannt. Er war der Verfasser eines Telefax vom 13. Mai 1983, in er inhaltliche Veränderungen an dem sogenannten PTB-Zwischenbericht forderte, der wenige Wochen später die wichtigste fachliche Entscheidungsgrundlage für die Kohl-Regierung war, Gorleben (und nur diesen einen Standort) untertägig als Atommülllager zu erkunden.

 

In dem Telefax hatte Ziegler beispielsweise die Autoren dieses Berichts gebeten, den „hypothetischen Störfall des Wasser- und Laugenzutritts … etwas weiter vom Zentrum der Betrachtung wegzurücken“ sowie die „Eignungshöffigkeit“ – also hohe Wahrscheinlichkeit der Eignung – des Salzstocks zu betonen.

 

Wie so eine Bitte aus dem BMFT, also der  auftraggebenden und vorgesetzten Behörde, sich in den Ohren der Berichtschreiber niederschlägt, kann man sich ausmalen. Diese Bitten, die auch von anderer Seite formuliert wurden, kamen durchaus als Weisungen bei den Wissenschaftlern an, und der Bericht wurde folglich umgeschrieben. Die ursprüngliche Empfehlung, weitere Standorte neben Gorleben zu untersuchen, wurde gestrichen.


Standortvergleich verhindert
 
Vor dem Untersuchungsausschuss konnte Ziegler sich an das Fax nicht erinnern. Sah es aber gleichwohl als völlig normal und legitim an, solche „Empfehlungen“ zu geben, denen die Wissenschaftler angeblich frei waren zu folgen oder nicht. Es sei ein konstruktiver fachlicher Austausch gewesen, mehr nicht. Die Wissenschaftler seien schließlich selbstständig gewesen.

 

Doch zumindest was die Erkundung anderer Standorte angeht, hatte Prof. Röthemeyer schon im Juli 2010 eine andere Ansicht vertreten. Keine weiteren Standorterkundungen in dem Bericht zu empfehlen, widersprach damals Röthemeyers Meinung als Wissenschaftler.

 

Auch heute noch lehnt Ziegler hingegen einen Standortvergleich ab. In einem Vermerk vom 20.06. 1983 hatte er geschrieben: „Die politische Zielvorgabe läuft darauf hinaus, ein im Rahmen der Schutzziele hinreichend sicheres Endlager zügig zu errichten. Es geht nicht um das best-denkbare Endlager irgendwann.“ Das würde auch heute noch gelten, denn schließlich sei es eine eher intellektuelle Einsicht, das bestmögliche Endlager zu finden. Die Technik schreite ja immer voran, das Optimum sei ja auch im Grunde nie erreichbar.

 
Nicht unmöglich
 
Dass ein Standortvergleich gar nicht so idealtypisch sein muss, wie Ziegler bis heute denkt, macht der zweite Zeuge am Beispiel Schweiz vor. Dr. Helmut Hirsch - wie Ziegler Physiker - ist heute Berater für die österreichische Bundesregierung in Fragen der nuklearen Sicherheit.

 

Er hat mitgewirkt bei der Schweizer Endlagersuche, wo seit einigen Jahren nach den deutschen Empfehlungen des AKEnd von 2002 eine ausführliche Standortvorauswahl vorgenommen wird. Hirsch hält es für sehr wichtig, dass man diese Vorauswahl sehr sorgfältig durchführt, dann vier Standorte untersucht, von denen schließlich einer ausgewählt wird. 

 

So haben es übrigens auch die internationalen Wissenschaftler empfohlen, die auf Einladung der Niedersächsischen Landesregierung im März/April 1979 insgesamt sechs Tage lang beim sogenannten Gorleben-Hearing über Endlager-Fragen diskutierten. Hirsch hatte für dieses Treffen eine Experten-Runde von 20 Wissenschaftlern koordiniert.

 

Die Niedersächsische Regierung Ernst Albrecht unterband allerdings eine Debatte über den Salzstock Gorleben. Es sollte nur allgemein über die Bedingungen für ein Endlager diskutiert werden.

 

Immerhin bewirkte dieses intensive Fachgespräch, bei dem Albrecht fast die ganze Zeit anwesend war, dass das Unfallpotenzial eines atomaren Endlagers und die Verwundbarkeit bei Kriegseinwirkungen größere Aufmerksamkeit erhielten.

 

Nur wenige Wochen später, am 16. Mai 1979, verzichtete Ernst Albrecht in einer Regierungserklärung auf die Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben, erklärte den Ort aber gleichzeitig zum einzig möglichen Standort für ein Endlager. „Das Endlager war ihnen sehr wichtig“, stellte Hirsch damals bereits fest.

 

Das ungelöste Atommüllproblem kommt mit Fukushima wieder auf die Tagesordnung. Wie erschütterbar der Glaube an die Notwendigkeit der Atomkraft sein kann, führt uns die Bundesregierung derzeit vor.

 

Die Kanzlerin und ein Großteil ihrer Partei geben sich nachdenklich, beweglich, ja fast einsichtig. Ob Wahlkampftrick oder nicht, zurück zur alten Losung wird diese Koalition nun nicht mehr können.

 

Auch in der Endlagerfrage werden Bundesregierungen es sich nicht mehr leisten können, noch länger so unbeweglich zu bleiben wie bislang.  
 
Die nächsten Zeugen


12.Mai:

Heinrich Getz (BMI), auf Antrag der Opposition, war von 1979 bis 1982 in Bundesministerium des Innern in der Abteilung RS, Referat RS I 1 tätig und dort für Fragen des Atomrechts zuständig.

  
Arnulf Matting (BMI), auf Antrag der Koalition, war im Jahr 1983 im Bundesministerium des Inneren Mitarbeiter des Referats III B 3 und dort an der Erstellung der Kabinettsvorlage zur Entscheidung über die untertägige Erkundung des Salzstockes Gorleben beteiligt.

  
 Reinhold Ollig, auf Antrag der Koalition, war Anfang der 80er Jahre zuständiger Referent in der Unterabteilung 31 „Kernenergie, Energieforschungsprogramm“ im Bundesministerium für Forschung und Technologie

 

Kurt-Dieter Grill, auf Antrag der Koalition, war Mitglied des Kreistages des Landkreises Lüchow-Danneberg seit 1976 und von 1978 – 1991 Vorsitzender der Gorleben-Kommission

 
Ausschuss-Zeitplan

 

12.Mai:  Öffentliche Zeugenvernehmung, Heinrich Getz, Arnulf Matting

Weitere Sitzungstermine:

26. Mai
9. und 30. Juni
7. Juli

 

Jenseits von Gorleben - Reden zur aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag:

Dorothée Menzner, DIE LINKE: Restrisiken ausschalten - Raus aus der Atomkraft 23.03.2011 - Wir erleben seit Monaten -- und im Moment mit wachsender Geschwindigkeit -- eine Achterbahnfahrt in Sachen Atomenergie und energetischer Nutzung von Atomtechnik. Ich möchte an den 28. Oktober letzten Jahres erinnern. Sie haben die Laufzeiten nach einem Verfahren verlängert, das mit den Produzenten, den Atomkonzernen ausgekungelt war. Man hätte meinen können, dass eine Sicherheitsüberprüfung der Kraftwerke vorgenommen worden wäre, bevor man zu einem solchen Schritt kommt.  

 

Johanna Voß, DIE LINKE: Atommüll ist hochgefährlich - Raus aus der Atomenergie 23.03.2011 - Auch ein abgeschaltetes Atomkraftwerk ist kein sicheres Atomkraftwerk. Nur ein zurückgebautes Atomkraftwerk ist sicher. Wir brauchten nicht erst Fukushima, um zu wissen, dass es keinen Schutz bei Flugzeugabstürzen, bei Naturkatastrophen oder vor Terrorangriffen gibt. Problematisch genug bleibt der schon angefallene Atommüll. Die Sicherheitsanforderungen bei Transport und Lagerung müssen dringend massiv erhöht werden.   
 
Einer Zeugenvernehmung im Ausschuss beiwohnen

Einfach beim Ausschusssekretariat anmelden: Tel: 030 227 39400, Email: 1.untersuchungsausschuss@bundestag.de

Sitzungsort ist im Deutschen Bundestag in Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.900 
 
Kontakt

MdB Dorothée Menzner – Obfrau im 1.Untersuchungsausschuss 17.WP - Platz der Republik 1 - 11011 Berlin
Email: dorothee.menzner@bundestag.de  - Tel.: 030 227 73167 - Fax: 030 227 76166