Der Simon von der Polizei

Erstveröffentlicht: 
21.12.2010

Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg führt die Abteilung für „Verdeckte Ermittlungen“ unter der Abkürzung I540. Einen V-Mann soll das LKA in die linke Heidelberger Studentenszene eingeschleust haben.

 

Die Romanreihe des österreichischen Schriftstellers Wolf Haas beginnt zumeist mit demselben Satz, einem Stoßseufzer seines kauzigen Krimihelden Simon Brenner: „Jetzt ist schon wieder was passiert!“

 

Anders als die literarische Vorlage aber hat jener Simon Brenner, der im vergangenen Mai im linken Heidelberger Studenten-Milieu aufkreuzte, wohl einiges dazu beigetragen, dass schon wieder was passierte. Simon Brenner, 24, soll an der Planung und Ausführung mehrerer Aktionen, darunter der Südblockade des Castor-Transports am 6. November im pfälzischen Berg, beteiligt gewesen sein, die von der Polizei als Straftat angesehen wurden. Simon Brenner aber, das macht die Sache problematisch, ist allem Anschein nach selbst Polizist.


Er sei auf einmal dagewesen, sagt Michael Csaszkoczy von der Antifaschistischen Initiative Heidelberg, ein „offener, freundlicher junger Mann, der sich engagieren wollte“. Csaszkoczy selbst ist bekanntgeworden durch die rechtswidrigen und letztlich erfolglosen Versuche der Landesregierungen in Baden-Württemberg und Hessen, ihm wegen mangelnder Verfassungstreue die Anstellung als Lehrer zu verweigern. Das ist Jahre her, doch am vorvergangenen Wochenende hat es ihn wieder eingeholt. Seither glauben die linken Studenten in Heidelberg zu wissen, dass Simon Brenner gar nicht so heißt. Und dass er auch kein linker Aktivist ist, sondern verdeckter Ermittler vom Landeskriminalamt in Stuttgart.

 

Aufgeflogen ist der mutmaßliche V-Mann bei den Linken während einer Party, ganz plötzlich, ganz einfach. Eine Urlaubsbekanntschaft aus Südfrankreich, der er erzählt hatte, Polizist zu sein, erkannte ihn wieder, es soll der Satz gefallen sein: „Du bist doch der Simon von der Polizei.“ Die Studenten stellten ihn daraufhin in einer Kneipe zur Rede

 

LKA und Innenministerium schweigen

 

„Er hat alles sofort zugegeben“, sagt Csaszkoczy, „er hat eingeräumt, dass die Antifaschistische Initiative das Zielobjekt war, dass er keine namentliche Zielperson habe, dass er die Szene aushorchen sollte“. Auch seine Abteilung soll „Brenner“ benannt haben: 540. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg führt die Abteilung für „Verdeckte Ermittlungen“ unter der Abkürzung I540.

 

Hacker aus der Szene begannen daraufhin, die Identität ihres vermeintliches Freundes zu erforschen, seine E-Mail-Accounts zu knacken und seine Handy-Abrechnungen, die der FR vorliegen. Genau 47-mal rief „Brenner“ demnach allein aus dem No-Border-Camp vom 27. September bis 3. Oktober in Brüssel auf einer deutschen Handy-Nummer an. Wählt man nun die Nummer, meldet sich ein Mann, der auf die Frage, ob er Angehöriger des Landeskriminalamts sei, sofort auflegt. Das LKA selbst äußert sich auf FR-Anfrage nicht. Ebenso das Innenministerium des Landes.

 

Neben Einzelverbindungsnachweisen fanden die Hacker etwa 2000 E-Mails, die sich der Mann mit Mitgliedern der Szene schrieb, darunter solche, in denen er zur Blockade von Biblis aufruft, sich „mit Schrecken“ über den Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten äußert oder sich auf Brüssel freut. Dazu seine Immatrikulation an der Heidelberger Uni für die Fächer Germanistik und Ethnologie, seine Mietverträge für gleich zwei Wohnungen, seine Suche nach einem Stellplatz in einer Tiefgarage.

 

Csaszkoczy erinnert das alles an einen Skandal vor 18 Jahren, als verdeckte Ermittler die linke Szene in Baden-Württemberg ohne Rücksicht auf Bürgerrechte und Datenschutz aushorchten und erst aufflogen, als eine Tübinger Studentin ein Kind von einem der V-Männer bekam. Die Affäre ging als „Spätzle-Stasi“ in die Geschichte ein. Damals sei es wenigstens um das RAF-Umfeld gegangen, sagt Csaszkoczy. „Die jetzige Aktion bei Antifaschisten, Klimaschützern und Castorgegnern ist völlig abwegig, ein Einsatz der Polizei gegen die außerparlamentarische Opposition. Das ist eindeutig rechtswidrig.“

 

Der junge Mann, der sich Simon Brenner nannte, ist verschwunden seit der Kneipenrunde. Ans Telefon geht er nicht.