Braune »Kameradinnen«

Bei einer Neonazi-Demonstration in Ulm marschieren Frauen in der ersten Reihe
Erstveröffentlicht: 
08.09.2010

08.09.2010 / Antifa / Seite 15

 

Braune »Kameradinnen«


Seit zehn Jahren analysiert das »Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus« die Rolle weiblicher Neonazis

 

Von Lilian Muscutt

 

Die beiden Mädchen scheinen Gefallen an der Provokation zu finden. Immer wieder nähern sie sich mit herausforderndem Blick den Jounalisten, die sie fotografieren. Doch die aggressiven Drohgebärden überlassen die jungen Frauen den männlichen Neonazis. Es ist Freitag, der 3. September, vergangene Woche und etwa 200 Rechtsextremisten haben sich in der Dortmunder Innenstadt versammelt. In der Nähe des Hauptbahnhofes veranstalten die sogenannten Freien Nationalisten ein Rechtsrockkonzert, um für einen »Nationalen Antikriegstag« zu werben. Der soll am nächsten Tag in Dortmund stattfinden. Die Zahl der militanten Neonazis wächst – und auch Mädchen und Frauen fühlen sich von der Szene angezogen.

Doch welche Rolle spielen sie dort? Seit zehn Jahren untersucht das »Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus« dieses Thema. Jahrelang wurde Rechtsextremismus nur als reines Männerphänomen begriffen, erinnert sich die Sozialwissenschaftlerin Renate Bitzan im Gespräch mit junge Welt. Deshalb gründete sie im Jahr 2000 in Rostock gemeinsam mit Politologinnen, Historikerinnen, Erziehungswissenschaftlerinnen sowie Expertinnen aus der Jugendarbeit, aus mobilen Beratungsstellen und der politischen Bildung das Verbundnetzwerk.

Der eher lose Zusammenschluß aus derzeit elf Expertinnen will die Motivation von Frauen untersuchen, sich in der rechtsextremen Szene zu engagieren. Gleichzeitig sollen Möglichkeiten der Prävention erörtert werden. 2001 fand die erste Netzwerktagung statt, 2005 erschien der Sammelband »Braune Schwestern?«, 2009 wurde eine Broschüre für Multiplikatorinnen erstellt. »Unser Schwerpunkt sind die Analyse, Informationen – etwa durch Publikationen oder Vorträge«, erzählt Bitzan, die an der Fachhochschule Nürnberg lehrt und bereits seit Anfang der 90er Jahre zum Thema forscht.

Doch bis heute gibt es viele offene Fragen. So ist unklar, wie hoch der Frauenanteil in der rechten Szene ist. So kann der Verfassungsschutz auf Anfrage von jW weder Angaben zu den Mitgliederzahlen der »Gemeinschaft Deutscher Frauen« (GDF) noch zur NPD-Unterorganisation »Ring Nationaler Frauen« (RNF) machen. Ein eigenständiges Handeln sei kaum erkennbar, die Bedeutung weiblicher Mitglieder marginal, erklärte eine Sprecherin des Inlandsgeheimdienstes. Schätzungen, nach denen der Frauenanteil in der NPD 20 Prozent betragen soll, könne das Bundesamt nicht bestätigen, so die Verfassungsschutzmitarbeiterin. Die NPD erklärte auf jW-Nachfrage, daß 23 Prozent ihrer Mitglieder weiblich seien. RNF und der GDF ließen Anfragen nach ihrer Mitgliederzahl unbeantwortet.

Das »Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus« hat das Thema weiter auf der Agenda. Am 25. und 26. September wird zum zehnjährigen Jubiläum eine Fachtagung in Frankfurt/Main die aktuelle, bundesweite Entwicklung ins Visier nehmen. Notwendig ist das allemal. Zu beobachten sei, daß sich Rechtsextremistinnen zunehmend auf lokaler Ebene engagieren – etwa in Elternbeiräten, Kindergärten oder Vereinen, sagt Bitzan. Von dort aus versuchen sie, über ihr harmloses Auftreten, Vertrauen zu gewinnen um ihre Vorstellungen von einer homogenen, »völkischen« Gemeinschaft subtil zu verbreiten. »Das ist ein beunruhigender Trend«, so die Professorin.

Erst kürzlich berichteten Medien über eine Erzieherin aus Lüneburg, die – nachdem ihr Engagement in der rechtsextremen Szene aufgeflogen war – von ihrem Dienst in einer städtischen Kindertagesstätte vorläufig freigestellt wurde. Die Pädagogin soll ihre eigenen Kinder zur neonazistischen und mittlerweile verbotenen »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ) geschickt haben. Nachdem sie jedoch schriftlich versichert hatte, kein Mitglied einer rechtsextremen Vereinigung zu sein, durfte sie ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. Kein Einzelfall. Eine zehnfache Mutter aus Mannheim, die sich in Elternbeiräten engagierte, wurde von der »Autonomen Antifa Freiburg« als Moderatorin des rechtsextremen Forums thiazi.net geoutet. Zu den prominentesten Fällen zählt Stella Hähnel, Mitbegründerin und Pressesprecherin des RNF. Sie arbeitete früher ehrenamtlich in einem Café eines Familienzentrums, in dem sie ihr Kind betreuen ließ – bis ihr politischer Hintergrund bekannt wurde und sie dort Hausverbot erhielt.

Auch Geschlechterrollen sollen bei der Netzwerktagung diskutiert werden. In den 90er Jahren seien sowohl Frauen, die als »emanzipiert« bezeichnet werden können, als auch »Traditionalistinnen« in der rechten Szene aktiv gewesen. »In den letzten Jahren hat anscheinend eine Art Retraditionalisierung stattgefunden – zumindest in den beiden großen Organisationen, dem Ring Nationaler Frauen und der Gemeinschaft deutscher Frauen«, erklärt Sozialwissenschaftlerin Bitzan. Die Reduzierung der Frau auf ihre Mutterrolle zum Erhalt der Deutschen »Volksgemeinschaft« sei dabei das zentrale Thema.

Das Forschungsnetzwerk will sich zudem der Frage widmen, wie in der Praxis verhindert werden kann, daß junge Frauen in die rechte Szene abrutschen. Denn wo Jugendangebote fehlen, seien »die Übergänge oft fließend«, erläutert Bitzan. »Viele Mädchen verkehren in den entsprechenden Kreisen, sie übernehmen Stereotype und Argumentationen von dominierenden Rechtsextremisten, obwohl sie sich gar nicht als solche bezeichnen.« Hier müsse man eingreifen. Grund gibt es genug. Beim Neonazikonzert vergangene Woche in Dortmund applaudierten die braunen »Kameradinnen« den männlichen Rednern auf der Bühne.