Fall Jalloh: Verschlusssache Feuertod

Erstveröffentlicht: 
16.08.2017

Wie starb Oury Jalloh? Vor einem Jahr wurde im Erzgebirge ein Versuch durchgeführt, der klären sollte, warum im Januar 2005 ein Afrikaner in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte. Die Ergebnisse hält die Justiz bis heute unter Verschluss. Dabei geht es womöglich um Mord in staatlicher Obhut.

 

Von Oliver Hach


Ein rußgeschwärzter Raum, auf dem Boden eine Matratze, darauf eine in Teilen verbrannte Puppe in Menschengröße: Die Bilder gingen im vergangenen Sommer bundesweit durch die Medien. Sie zeigen das Ergebnis eines Brandversuchs, der neue Erkenntnisse liefern sollte zu einem Todesfall in Sachsen-Anhalt, der seit über zehn Jahren ungelöst ist und der schon juristische Instanzen bis zum Bundesgerichtshof beschäftigte.

 

Am 7. Januar 2005 starb der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Zelle des Polizeireviers in Dessau. Beamte hatten den Mann aus Sierra Leone, der unter Alkohol- und Drogeneinfluss stand, am Morgen in der Innenstadt aufgegriffen und in Gewahrsam genommen. Sie fesselten den 36-Jährigen an Händen und Füßen und fixierten ihn auf einer feuerfesten Matratze - in einem gefliesten, sonst leeren Raum. Gegen 12 Uhr mittags brach in der Zelle Feuer aus. Oury Jalloh verbrannte in Obhut von staatlichen Sicherheitskräften.

 

Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau vertrat lange Zeit die Ansicht: Der Mann hat sich selbst angezündet, indem er ein Feuerzeug in die Zelle schmuggelte und die feuerfeste Hülle der Matratze auftrennte. Einer der diensthabenden Polizisten wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er zugegeben hatte, mindestens zweimal einen Feueralarm ausgeschaltet zu haben. Doch Hinterbliebene und eine Gedenkinitiative hatten Zweifel an der Version. Sie stellten eigene Nachforschungen an - und deckten Ungereimtheiten in den offiziellen Ermittlungen auf.

 

So fand sich an dem Feuerzeug, mit dem sich Oury Jalloh angezündet haben soll, kein genetisches Material des Opfers, dafür DNA eines Nichtafrikaners; zudem Faserreste, die nicht zum Tatort passten. Im Jahr 2013 erstatteten die Eltern von Oury Jalloh und die Gedenkinitiative Mordanzeige gegen Unbekannt und zwangen so die Justiz zu neuen Ermittlungen.

 

Drei Jahre später. Schmiedeberg im Osterzgebirge, am 18. August 2016: Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau hat auf das Gelände einer ehemaligen Gießerei eingeladen. Dort betreibt ein Sachverständigenbüro aus Bergisch-Gladbach Deutschlands größtes Brandschutzlabor. Die Presse darf live dabei sein, als der Feuertod in der Dessauer Polizeizelle nachgestellt wird. Staatsanwalt Olaf Braun aus Dessau-Roßlau erklärt: "Wir ermitteln ergebnisoffen." Und auch der Schweizer Experte Kurt Zollinger vom Forensischen Institut Zürich, der die Ergebnisse auswerten soll, sagt: "Wir starten nochmals bei Null."

 

In einem der Zelle nachempfundenen Raum wird eine mit Sensoren bestückte Puppe aus Mineralwolle, Speck und Schweinehaut platziert und die aufgetrennte Matratze in Brand gesetzt; Kameras verfolgen, wie der Dummy anfängt zu brennen. Knapp 40 Minuten später, laut Zeugenaussagen die Zeitspanne zwischen Auslösen des Rauchmelders und Eintreffen der Feuerwehr in Dessau, wird auch in Schmiedeberg gelöscht. Das Ergebnis ist schon damals selbst für Laien gut erkennbar: Der nur in Teilen verbrannte Dummy hat wenig Ähnlichkeit mit den total verkohlten Resten der Leiche von Oury Jalloh, wie sie Videoaufnahmen des Landeskriminalamts vom 7. Januar 2005 zeigen.

 

Was hat sich seither getan? Wie bewerten die Ermittler die Ergebnisse des Brandversuchs? Warum dauert das alles so lange? Staatsanwalt Braun schickt als Antwort einen einzigen Satz: "Die Ermittlungen in dem angefragten Verfahren dauern an, weshalb Zwischenauskünfte, insbesondere zu den Ergebnissen des Brandversuches, derzeit nicht gegeben werden." Ähnlich äußern sich die Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg und des Justizministeriums in Magdeburg. Sie ergänzen noch: Jede Veröffentlichung über den Brandversuch könne die Ermittlungen erschweren.

 

Seit einem Jahr schweigt die Justiz in Sachsen-Anhalt zu einem Fall, dessen fehlende Aufarbeitung Kritiker schon lange für einen Skandal halten. "Die Staatsanwaltschaft verweigert uns die Akteneinsicht", sagt Beate Böhler, die die Nebenklage in dem Endlosverfahren vertritt. Nicht einmal eine Dokumentation des Brandversuches habe man bisher zu sehen bekommen. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft in Schmiedeberg angekündigt, sechs bis acht Wochen später sollten Ergebnisse vorliegen. Die Berliner Rechtsanwältin vermutet: "Der Brandversuch hat das Gegenteil von dem ergeben, was er zeigen sollte." Schon vor einem Jahr stand für Böhler fest: "Die Selbstentzündungsthese ist vom Tisch." Das heißt, Oury Jalloh wurde von Dritten angezündet - ermordet.

 

Im Februar 2017 stellte die Anwältin im Auftrag der Familie einen Antrag auf Überbringung aller vorhandenen Asservate von Oury Jalloh aus der Rechtsmedizin Halle in die forensische Abteilung der Charité nach Berlin, um dort offene Fragen zur Todesursache klären zu lassen. Auch hierauf erfolgte keinerlei Reaktion der Staatsanwaltschaft.

 

Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh spricht von Verschleppung, Vertuschung und Strafvereitelung im Amt. Sie hatte bereits im Jahr 2012 ein eigenes Brandgutachten bei einem irischen Experten in Auftrag gegeben. Ergebnis: Ohne Brandbeschleuniger habe Oury Jalloh nicht derartig verbrennen können. Anfang 2017 veröffentlichten sie zudem die Stellungnahme eines Londoner Brandsachverständigen zum Versuch in Schmiedeberg. Darin heißt es, der Versuchsaufbau habe nicht ansatzweise den Gegebenheiten im Original entsprochen. Eine Vielzahl von Variablen sei verändert worden, sodass das Feuer besser brannte. Doch selbst unter diesen Bedingungen. so der Londoner Experte, seien die Brandschäden deutlich geringer gewesen als im Januar 2005 in Zelle Nummer 5 in Dessau.

 

Auch vom Institut für Brand- und Löschforschung in Schmiedeberg kommt hinter vorgehaltener Hand deutliche Kritik an der Arbeit der Justiz in Sachsen-Anhalt. "Ich bin darüber nicht sehr erfreut", sagt ein Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte, zum offensichtlichen Stillstand im Fall Oury Jalloh. Er berichtet, sein Institut habe nach dem 18. August 2016 aus eigenem Interesse noch zwei weitere Versuche gemacht - das sei üblich, um verlässliche Ergebnisse zu bekommen. "Der Staatsanwaltschaft haben wir das mitgeteilt", so der Experte, "doch das war nicht in ihrem Interesse."

 

Für sein Büro, so der Institutsmitarbeiter, sei der Fall vorerst abgeschlossen. "Wir haben die Ergebnisse des Brandversuchs im Oktober 2016 an die Staatsanwaltschaft übergeben." Danach habe es im Januar oder Februar 2017 noch einmal eine gemeinsame Besprechung gegeben. "Wir haben dort ein paar Punkte angemahnt, die wir noch mal überprüfen würden", berichtet der Brandforscher. Passiert sei jedoch nichts.

 

Über die Ergebnisse der Brandversuche darf der Mitarbeiter nicht berichten. Doch schon Anfang des Jahres hatte er im Gespräch mit der "Freien Presse" auf den völlig verkohlten Körper in der Zelle in Dessau verwiesen und auf das Schadensbild in Schmiedeberg, wo Teile des Dummys und sogar der Matratze intakt blieben: "Sie haben die Bilder gesehen: vorher - nachher. Da können Sie sich selbst zusammenreimen, ob das so passt."

 

Sebastian Striegel sitzt für die Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt und verfolgt den Fall Oury Jalloh seit Jahren. Auch er fragte beim Justizministerium zum Brandgutachten nach, auch ihm wurden alle Informationen verweigert. "Ich fasse mich an den Kopf und frage mich: Wie kann eine Staatsanwaltschaft, eine Justizministerin so unsensibel mit so einem Thema umgehen?" Dies sei ein Signal an die Hinterbliebenen und die Unterstützer, dass das Land Sachsen-Anhalt auch nach über zehn Jahren nicht ernsthaft daran interessiert sei, den fragwürdigen Tod eines Menschen in Obhut des Staates aufzuklären.

 

Striegel kündigt an, seine Fraktion werde nun Druck im Landtag machen. Auf Antrag der Grünen soll sich der Rechtsausschuss des Parlaments mit dem Fall befassen.

 

Die Linke-Landtagsabgeordnete Henriette Quade fasst die Lage mit dem Satz zusammen: "Das ist ein Skandal." Vertrauen in den Rechtsstaat werde zerstört. Die Linke-Politikerin erinnert zugleich an Repressionen gegen die Gedenkinitiative. Deren Mitglieder demonstrieren jedes Jahr zum Todestag Oury Jallohs in Dessau und geraten dabei ins Visier von Polizei und Justiz.

 

Einmal stoppten Beamte den Demonstrationszug mit der Begründung, die Parole "Oury Jalloh - das war Mord" sei strafbar. Da half es nichts, dass die Demonstranten ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts von Sachsen-Anhalt vorlegten, das das Gegenteil belegte. Auch die Staatsanwaltschaft arbeitet gegen die Aktivisten sehr akribisch: Einem 62-Jährigen wird nach der Demons-tration 2016 nun wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung der Prozess gemacht. Der Mann soll versucht haben, Polizisten mit einer Handvoll leerer Feuerzeuge "gefährlich zu verletzen". Die Feuerzeuge, so der Beschuldigte gegenüber der Zeitung "Junge Welt", wurden symbolisch vor die Tür der Staatsanwaltschaft geworfen - um daran zu erinnern, dass Oury Jalloh sich nicht selbst entzündet haben könne.

 

Kurz vor dem Jahrestag des Brandversuches verkündet die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg am Mittwoch dann doch noch eine Neuigkeit: Die Ermittler wurden ausgetauscht. Laut Sprecher Klaus Tewes ist im Fall Oury Jalloh bereits seit Juni die Staatsanwaltschaft Halle zuständig, den Vorwurf der Verschleppung weist er zurück. Dass die Kollegen in Dessau-Roßlau die Medien zu dem Brandversuch nach Schmiedeberg einluden, hält Tewes für einen Fehler: "Ich finde das misslich, dass Ermittlungen in der Öffentlichkeit geführt werden." Die Staatsanwaltschaft Halle werde hier künftig sicher zurückhaltender sein.