Mit Brandsatz und Bekennerschreiben

Linke Militanz ist seit dem Hamburger G20-Gipfel das bestimmende Thema im Sommer 2017
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Erstveröffentlicht: 
27.07.2017

Die klandestinen militanten Kleingruppen in der Bundesrepublik seit den 1990er Jahren. Von Oliver Rast

 

Ein Jahr voller Gedenktage. Der 50igste Jahrestag der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg durch den Polizeibeamten Karl-Heinz Kurras während des Schahbesuchs am 2. Juni 1967 vor der Deutschen Oper in Westberlin liegt hinter uns, der 40igste Jahrestag des Todes der RAF-Gründer Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe in der Nacht zum 18. Oktober 1977 im Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim liegt hingegen noch vor uns. Mittendrin ein Jahrestag, der weit weniger im Fokus steht: vor exakt 10 Jahren erlebten in den frühen Morgenstunden des 1. August 2007 klandestine Militante, die der militanten gruppe (mg) angehört haben sollen, nach dem Versuch, NATO-Kriegsgerät in Brandenburg/Havel zu sabotieren, ihr Fiasko.


Nach dem Ende der bundesdeutschen Stadtguerillaprojekte Bewegung 2. Juni (1980), Revolutionäre Zellen (RZ) (1991) und Rote Armee Fraktion (RAF) (1998) fiel der militante Zweig der radikalen Linken keineswegs in eine Paralyse. Hinter dem Schattenwurf der „großen Signets“ bewegten sich seit Anfang der 1990er Jahre Gruppierungen der militanten Linken, die als klandestine Kleingruppen mit einem „Markennamen“ agierten. Die Gruppe „Klasse gegen Klasse“ (KgK), die antiimperialistische zelle (aiz), D.A.S. K.O.M.I.T.E.E. und eben die militante gruppe (mg) gaben dem „gewalttätigen Linksextremismus“ in unterschiedlicher Ausprägung Inhalt, Praxis und Struktur. Diese Gruppierungen verübten über Jahre hinweg nicht nur eine Vielzahl von Brand- und Sprengstoffanschlägen, sondern wollten mit Diskussionsbeiträgen und Konzeptpapieren der klandestinen Militanz einen festen organisatorischen Rahmen geben.


Klandestin-militante Kleingruppen sind ein bislang ungeschriebenes Kapitel, ein Kapitel, das mit den folgenden Ausführungen aufgeschlagen werden soll.


KgK und der „Nobelkarossentod“


Militanz ist Handwerk, ein praktisches Fanal. Deshalb zeugen die „Arbeitsnachweise“ (mg) vom Grad der Aktivität oder auch vom Nichtstun. „Klasse gegen Klasse“ hatte vor allem in den 1990er Jahren als Berliner Phänomen aufgrund einer hohen „militanten Schlagzahl“ für einige mediale Aufregung gesorgt. Als im Mai 1992 zeitgleich die PKW der SPD-Lokalgrößen Heinz Buschkowski und Peter Strieder "flambiert" wurden, war KgK Stadtgespräch.


Aufgrund des verwendeten Brandsatzmodells „Nobelkarossentod“ steht das Kürzel „KgK“ auch für die sogenannte Wagensportliga. Ein Euphemismus für das Abfackeln vermeintlich hochwertiger Automobile, deren Eigentümer pauschal verdächtigt werden, Gewinner der Gentrifizierung, d.h. der Stadtumwandlung durch Luxussanierungen von preisgünstigem Altbaubestand, zu sein.


KgK hatte frühzeitig Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache gemacht, um sich gegen die alteingesessene autonome Szene zu positionieren. Im Frühjahr 1993 erschien eine über 40 Seiten starke DIN-5-Broschüre, die vom Umfeld von KgK herausgegeben und verbreitet wurde. Darin wurden die Zielpunkte der KgK-Politik markiert. Unter der Zwischenüberschrift „Der Stadtteil – ein proletarischer Hauptkampfbereich“ heißt es: „[...] Da im Stadtteil fast alle Fraktionen unserer Klasse leben, vom arbeitslosen Einwanderer bis zur deutschen Facharbeiterin, bietet sich gerade hier die Möglichkeit, die Gräben und Brüche innerhalb unserer Klasse zu überwinden.“ Und an anderer Stelle heißt es ergänzend: „Vor allem dieser Grund, die Unterschiedlichkeiten der proletarischen Individuen auch in unseren Gruppen, führte uns zum gemeinsamen Schwerpunkt, dem Stadtteil.“ Auffallend ist, dass KgK das eigentliche Terrain des Klassenkampfes, den Betrieb, nicht als den entscheidenden Ort einer proletarischen Organisierung betrachtet. Die Situation in den Wohnquartieren und die unsoziale Stadtpolitik waren der thematische Aufhänger der angewandten Militanz von KgK.


Nach der Lesart von KgK waren die Mittel- und Oberklassen mit ihrem „parasitären rüchsichtslosen Lebensstil“ in erster Linie ins Visier zu nehmen. Demzufolge müsse der vorhandene "Klassenhass" derjenigen, die von den negativen Auswirkungen der Gentrifizierung betroffen sind, nur in die „richtige Richtung“ gelenkt werden, damit sich eine offene Revolte entfalten könne. Über den KgK-spezifischen Aktivismus sollte der Ausbruch der heraufbeschworenen Revolte gegen die mittel- und oberschichtsdominierte Kreuzberger Schickeria befördert werden: „Angriffe auf ihre Luxusautos, teure Geschäfte und ihre Unterhaltungsorte stellen dabei auch das Abfahren auf diesen kaputten Lebensstil durch Teile unserer Klasse in Frage.“ „Hinzu kommen Aktionen," so die praktische KgK-Stoßrichtung, „die im direkten Interesse aller Teile unserer Klasse im Stadtteil sind, wie die Vertreibung bestimmter Spekulanten, Verhinderung von Umstrukturierungsprojekten, Organisation von Plünderungen, Angriffe auf Kader demokratischer und faschistischer Parteien, Vergewaltiger und Dealer, Schutz von Flüchtlingen. Solidaritätskampagnen müssen von uns im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang gestellt werden.“


KgK hat in einem Zeitraum von vier, fünf Jahren die militante Szene Berlins aufgrund des provokanten Sprachstils, der proletarischen Klassenorientierung, des stark lokal geprägten Kampfes gegen Umstrukturierung sowie eines intensiven militant-klandestinen Aktivismus öffentlichkeitswirksam bestimmt. Ein Aktivismus, der thematisch durchaus breiter war, als nur den Stadtteilkampf zu propagieren; und ein Aktivismus, der praktisch weiterging, als lediglich den „Nobelkarossentod“ in Anschlag zu bringen. Die Verschickung von scharfen 9mm-Patronen an zumeist von auswärts zugezogene Bewohner von Dachgeschoßwohnungen schaffte es ebenso auf die Titelseite der Boulevardgazetten wie die Explosion eines Sprengkörpers Ende März 1996 am Privathaus des Berliner Arbeitsrechtlers Klaus Adomeit.

Jahre nach dem mutmaßlichen Ende von KgK tauchten bei zwei medial beachteten Aktionen Schriftzüge mit dem Kürzel „KgK“ in Tatortnähe auf. Einmal bei einem Brandanschlag auf das Auto des damaligen Kreuzberger Baustadtrats Franz Schulz, und einmal bei einem Feuer im Hof des Deutschen Architektur-Zentrums (DAZ) in Kreuzberg. Diese Aktionen aus den Jahren 2002 und 2003 wurden als Indiz gewertet, dass die Gruppe weiterhin sporadisch aktiv sei.


Unklar ist, ob sich Trittbrettfahrer mehr öffentliche Aufmerksamkeit versprechen, wenn das KgK-Kürzel an einer Fassade prangt, oder ob eine Restgruppe von KgK militante Aktionen in großen zeitlichen Abständen fortsetzt. Eine von KgK unterzeichnete Auflösungserklärung ist bis zum heutigen Tage nicht bekannt.


aiz und „potentiell tödliche aktionen“


Die antiimperialistische zelle (aiz), die sich aus Angehörigen des Sympathisantenumfeldes der RAF, dem Anttimp-Spektrum, zusammensetzte, meldete sich erstmals nach der "Deeskalationserklärung" der RAF im April 1992, in der die Zurücknahme tödlicher Attentate verbreitet wurde, öffentlich zu Wort.


Zweifelsohne nimmt die aiz innerhalb der radikalen Linken eine Sonderrolle ein. Fälschlicherweise wird die aiz, die anfangs unter verschiedenen Namen bzw. unter dem Zusatz „Nadia Shehadah“ firmierte, als „Nachlassverwalterin“ der RAF etikettiert. Die aiz kann allein deshalb nicht als „RAF-Nachfolgeorganisation“ gelten, weil die RAF bis April 1998 nominell existierte, und die aiz bereits im Februar 1996 durch eine Festnahmeaktion de facto zerschlagen wurde.


Die aiz-Aktivisten opponierten mit ihrer ersten Veröffentlichung gegen die neue RAF-Linie, das Konfrontationsniveau gegen den Staatsapparat herunterzuschrauben. Sie propagierten, dass der „Kampf um Befreiung“ längst nicht vorbei sei. „Und wir, als Teil des Widerstands in der BRD, fügen jetzt (22.4.92) hinzu: Widerstand steht dafür, daß das, was in den letzten 22 Jahren war, nicht dem Staatsapparat und seinen Medien gehört. Diese Geschichte lebt in uns. Widerstand gegen die imperialistische Großmacht BRD bestimmt sich durch diese Erfahrung. Der Kampf geht gemeinsam weiter.“ Einen Monat später präzisierte die aiz ihren Appell. Sie akzeptierte darin zwar die „Deeskalationserklärung“ der RAF, fügte aber an, dass das der alleinige Entschluss der RAF sei.


Um einen Klärungs- und Neubestimmungsprozess in der radikalen Linken auszulösen, sollten der aiz zufolge inhaltliche Diskussionen und Organisierungsversuche jeweils über militante und bewaffnete Aktionen begleitet werden. Die Aktivisten hoben hervor, dass diese Neubestimmung antiimperialistischer Politik in der BRD von unterschiedlichen bewaffneten und militanten Kollektiven getragen werden solle. Die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung der beteiligten Gruppen hinsichtlich der Aktionsdurchführung sei dabei unbedingt zu respektieren. Ebenso könne kein Zusammenhang im gleichzeitigen Prozeß von Diskussion und Aktion im Mittelpunkt stehen. Das politisch Verbindende der aktiven militanten und/oder bewaffneten Gruppen entstehe demnach im gemeinsamen Kampfprozeß schrittweise und formuliere sich in einer öffentlichen Debatte über Foren der radikalen Linken. Unter Organisierung verstand die aiz keinen Aufbau formaler parteiähnlicher Strukturen, sondern einen Prozeß der Verständigung und des Zusammenwirkens auf der Basis des Diskutierten.


Besonders kontrovers wurde die Entwicklung der inhaltlichen Positionierung der aiz in der radikalen Linken diskutiert. Als sich deren Hinwendung zu „revolutionär-islamischen Organsiationen“ erst abzuzeichnen begann, argumentierte die aiz noch sehr „szene-typisch“. Inhaltliche Basis war der Kampf gegen Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat „vor dem Hintergrund des internationalen Kriegsverhältnisses zwischen dem Imperialismus und den Weltmassen“. In den folgenden Erklärungen wurde der Politische Islam als der eigentliche neue revolutionäre Pol betont.


Ähnlich kontrovers wurden die aiz-Aktionen von anderen Linksradikalen aufgefasst. Der aiz werden in summa neun Anschläge bzw. Anschlagsversuche zugerechnet, zu denen Bekennerschreiben vorliegen. Mit einem Brandanschlag auf die Jura-Fakultät der Hamburger Universität Ende November 1992 begannen die aiz-Aktionen. 1994 führte die aiz zwei Sprengstoffanschläge auf regionale Parteibüros der CDU und der FDP in Düsseldorf und Bremen aus. 1995 war das aktionistische Jahr der aiz: drei Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser von Bundestagsabgeordneten sowie ein Bombenanschlag auf das Generalkonsulat Perus in Düsseldorf.


Die potentiell tödliche Wirkung von Sprengstoffanschlägen, die mit den personenbezogenen Aktionen an den Wohnorten parlamentarischer Hinterbänkler aufgezeigt werden sollte, sah die aiz als legitimes Mittel an, da bloße Sachbeschädigungen mittels von Brandanschlägen lediglich eine „versicherungstechnische Angelegenheit“ sei. Im Bekennerbrief zum Sprengstoffanschlag auf das Wohnhaus des CDU-Bundestagsabgeordneten Joseph-Theodor Blank im April 1995 heißt es hierzu: „für potentiell tödliche aktionen dort, wo die brd-eliten wohnen/arbeiten – als angriff auf den nationalen konsens der brd-gesellschaft und als brd-frontabschnitt im internationalen kampf um befreiung!“ In der Bundesrepublik seien zudem keine massenhaften militanten Aktionen zu erwarten, damit im erforderlichen Maß über den materiellen Schaden hinaus politischer Druck erzeugt werden könne. „ohne potentiell tödliche aktionen wird die brd-linke hier nicht den druck auf die eliten ausüben können, der im rahmen der internationalen auseinandersetzung zwischen imperialismus und den um befreiung kämpfenden menschen notwendig ist“, so der Wortlaut einer weiteren Stellungnahme der aiz.


Mit der Verhaftung der beiden islamischen Konvertiten und mutmaßlichen aiz-Mitglieder Bernhard Falk und Michael Steinau im Februar 1996 endete die Anschlagserie der aiz abrupt. Die beiden Angeklagten wurden Anfang September 1999 wegen Mordversuchs und Sprengstoffverbrechen zu 13 bzw. neun Jahren Gefängnis verurteilt.


Komitee und “das Osterei”


Die Gruppe „D.A.S. K.O.M.I.T.E.E.“ bestand unter diesem „Markennamen“ nur etwa anderthalb Jahre. In dieser Zeit führte die Gruppe Mitte der 1990er Jahre zwei militante Aktionen durch, wobei die zweite nicht über das Versuchsstadium hinauskam.


Mit dem Brandanschlag auf ein Gebäude des Verteidigungskommandos 852 der Bundeswehr im Brandenburgischen Bad Freienwalde Ende Oktober 1994 sollte der kurdische Befreiungskampf unterstützt und die Forderung nach der Aufhebung des Verbots der Kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in der Bundesrepubblik erhoben werden. „Deutschland ist Kriegspartei im Völkermord in Kurdistan – militärisch, ökonomisch, politisch“ hieß es in dem verbreiteten Bekennerschreiben.


Der gescheiterte Sprengstoffanschlag auf den im Bau befindlichen Abschiebeknast in Berlin-Grünau im Stadtbezirk Köpenick zu Ostern 1995 war unmittelbar vor dem in Berlin abgehaltenen „Autonomie-Kongress“ der undogmatischen radikalen Linken platziert. Die Durchführung des Anschlags scheiterte, weil ein Streifenwagen der Polizei den mit Sprengstoff-Propangasflaschen beladenen Transporter in der unmittelbaren Nähe des Neubaus des Abschiebeknastes entdeckte und durchsuchte. Die Tatbeteiligten konnten sich dem direkten Zugriff entziehen und durch Flucht jahrzentelang entkommen.


Mit persönlichen Wortmeldungen aus dem Exil bezogen die Entkommenen Stellung zu den Umständen in der Tatnacht und gaben in einer gemeinsamen Erklärung die Auflösung der Gruppe als Folge des Desasters bekannt. Sie schrieben: „Wir werden unsere politische Arbeit als K.O.M.I.T.E.E. beenden.“ Weiter führten die Aktivisten aus: „Unsere Entscheidung ist kein Abgesang auf militante Politikformen im Allgemeinen, sondern unsere persönliche Konsequenz aus dem Debakel. Wir finden es nach wie vor wichtig und richtig, auch mit militanten Mitteln, in die politischen und militärischen Pläne der Herrschenden einzugreifen und ihre Projekte, wo immer möglich, zu benennen, anzugreifen und zu verhindern.“


In der Auflösungserklärung erwähnten die Komitee-Mitglieder des Weiteren die moralische Dimension von Militanz: „Nicht zuletzt hat radikale Politik für uns natürlich auch einen moralischen Aspekt: selbst wenn wir die endgültige Lösung auch nicht vorweisen können, wollen wir uns nicht damit abfinden, einfach nur zuzusehen und unser Plätzchen im Trocknen zu sichern.“


Als Begleiterscheinung des fehlgeschlagenen Anschlags wurden Mitte Juni 1995 zahlreiche Wohnungen und Objekte aufgrund von Beschlüssen der Bundesanwaltsachaft (BAW) durchsucht. Schwerpunktmäßig ging es den Ermittlern um das Aufdecken von Strukturen der klandestin hergestellten und vertriebenen Zeitschrift „radikal“, denen Verbindungen zu den Verfolgten von Komitee und aiz unterstellt wurden.


In einem im November 1995 in der „radikal“ veröffentlichten Papier zum Komitee-Konzept und zur Situation linkradikaler militanter Gruppen melden die Autoren deutliche Kritik an: „Der Schritt von der anonymen Gruppe, die Brandanschläge verübt, zur Gruppe mit Markennamen, die Sprengstoff benutzt, hat in der autonomen Leistungsgesellschaft irgendwie auch was von Hocharbeiten.“ Zudem könne das Engagement klandestiner Militanter, die das Aktionsniveau merklich anheben würden, keine linksradikale Bewegungspolitik ersetzen. Die "radikal"-Schreiber schlussfolgern: „Das strukturelle Problem scheint uns aber durch das Konzept der Kleingruppe mit Markennamen keineswegs lösbar.“


Aufgrund aufwändiger Fahndungsmaßnahmen des BKA und internationaler Haftbefehle gegen die untergetauchten Komitee-Mitglieder wurde der “Fall Grünau” regelmäßig neu aufgerollt. Ermittler vermuteten sie im fernen Ausland, was sich bestätigen sollte. Im März dieses Jahres tauchten die beiden bisher unentdeckt gebliebenen Linksradkalen auf, um in Venezuela Asyl zu beantragen. Der dritte, Bernhard Heidbreder, wurde bereits im Juli 2014 in Venezuela durch Interpol-Beamte aufgespürt und verbrachte zwei Jahre in Haft. Seine Auslieferung nach Deutschland lehnten die örtlichen Behörden ab. Der Ausgang des Asylersuchens ist weiterhin offen. Vor diesem Hintergrund wird D.A.S. K.O.M.I.T.E.E. auch mehr als zwei Jahrzehnte nach der Abwicklung ein Thema bleiben.


mg und die „militante Plattform“


Vor 10 Jahren, in der Nacht zum 1. August 2007, wurden drei Militante bei dem Versuch, ein halbes Dutzend Bundeswehr-LKW auf einem MAN-Gelände in Brandenburg/Havel in Brand zu setzen, von Fahndern eines Mobilen Einsatzkommandos (MEK) festgenommen. Obwohl für diese „Abrüstungsinitiative“ von NATO-Kriegsgerät keine Anschlagserklärung der mg vorliegt, wird diese misslungene Sabotageaktion von den Ermittlungsbehörden der mg zugeschrieben.


Ein breites Medienecho erhielt der Anschlagsversuch, weil zeitgleich der in Berlin lebende Stadtsoziologe Andrej Holm verhaftet wurde und mit den anderen in Brandenburg festgesetzten mutmaßlichen „Brandstiftern“ nach Karlsruhe zum Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH) ausgeflogen wurde.


Entgegen der von einem Teil des damaligen Solidaritätsbündnisses im mg-Verfahren, dem „Einstellungsbündnis“, kolportierten Interpretation wurden keine „kritischen Wissenschaftler“ kriminalisiert, sondern zuvörderst mutmaßliche Herausgeber und Verteiler der linksradikalen Zeitschrift „radikal“. Letztlich wurde der Haftbefehl gegen Holm aufgehoben, das Verfahren gegen ihn eingestellt und die drei “Brandstifter” wegen Mitgliedschaft in einer “kriminellen Vereinigung” nach § 129 StGB zu 3 bzw. 31/2 Jahren Strafhaft nach einem einjährigen Prozess vor dem Berliner Kammergericht verurteilt.


2001 trat die mg erstmals in Erscheinung. Die Auftaktaktion, zu der ein mg-Bekennerschreiben vorliegt, war ein Brandanschlag auf ein Fahrzeug auf dem Gelände der damaligen Daimler-Chrysler-Niederlassung in Berlin-Marienfelde und die Verschickung von scharfen Kleinkaliberpatronen an die Exponenten der sogenannten Stiftungsinitiative zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter. „Kein Schlusstrich unter Nazi-Verbechen! 180 Milliarden DM für ehemalige ZwangsarbeiterInnen und Angehörige sofort und bedingungslos!“ waren die mit dieser Aktion verknüpften Forderungen der mg.


Bis zu ihrer Auflösungs- bzw. Transformationserklärung von Mitte 2009 hat sich die mg zu rund 30 Aktionen bekannt. Addiert man die „militanten Interventionen“ ihrer vermeintlichen Vorläufer- und Parallelgruppen hinzu, steigt das Konto auf etwa 40 Aktionen, die sich nach Angaben des BKA bis ins Jahr 1993 zurückverfolgen lassen. Ermittlerkreise vermuten, dass der Ursprung der mg mindestens bis in das Jahr 1996 zurückreicht als eine „Selbstporträt-Gruppe“ ein Positionspapier zu Militanz in der Szeneöffentlichkeit lancierte.


Sowohl die Aktionsdichte als auch die Textproduktion der mg waren hoch. Das zentrale Strukturprojekt war die Bildung eines informellen Netzwerks militanter Gruppen. Über diese „militante Plattform“ sollte eine Koordinierung der im Verborgenen agierenden Zellen erfolgen.


In ihrem ersten Debattenbeitrag formulierte die mg, dass „die Eröffnung eines Diskussionsraumes […] einen Beitrag für eine künftige militante Offensive“ darstelle. Unter dem Motto „Für einen revolutionären Aufbauprozess! Für eine militante Plattform!“ brachte die mg ein knappes Jahr später einen konkreten Organisierungsvorschlag ein, in dem der Charakter klandestiner Kerngruppen fixiert wurde: „Wenn wir versuchen, militante Gruppen als eine eigenständige Komponente innerhalb einer widerstandsebenenübergreifenden Struktur zu etablieren, so kommt uns die Aufgabe zu, nicht nur Teilbereichskämpfe militant zu ´kommentieren´, sie zu flankieren, sondern eine inhaltlich-praktisch orientierende und Themen initiierende Rolle einzunehmen. Wenn wir von militanten Gruppen als einer eigenständigen Widerstandsebene innerhalb eines inhaltlichen, praktischen und strukturellen Organisationsgeflechts reden, dann können diese nicht auf eine ´Vorform´ der Guerilla reduziert werden. Militante Gruppen können auch nicht einzig als ´Durchlauferhitzer´ für künftige GuerillaaktivstInnen fungieren.“


Die mg stand für eine ergebnisoffene Kontroverse hinsichtlich der Frage der Aktualität der Aufnahme einer bewaffneten Propaganda der Tat. In einem ausführlichen schriftlichen “radikal”-Interview aus dem Jahre 2005 erklärte sie: „Eine solche Auseinandersetzung ist also aus unserer Sicht, wenn man wie wir den bewaffneten Kampf gerade auch in den imperialistischen Zentren als ´objektive Notwendigkeit´ setzt, eine logische Konsequenz revolutionärer Politik. Von daher ist eine gezielte Diskussion um ´organisatorische Formate´ des bewaffneten Kampfes ((Stadt-)Guerilla oder Miliz) eine Vorbedingung der ´Neu-Formulierung des bewaffneten Kampfes in der BRD´.“ Der bewaffnete Kampf der mg blieb indes ein Papiertiger.


Nach einer anderthalbjährigen Funkstille nach der Festnahmeaktion im Hochsommer 2007 erkannte die mg die Begrenztheit einer Militanzdebatte. In dem Text „´Militanz ohne Organisation ist wie Suppe ohne Salz´. Abschlussworte zur Militanzdebatte“ vom Jahreswechsel 2008/2009 schreibt die Gruppe: „Die inhaltlich-thematische Enge ist augenscheinlich, wenn es vordergründig um die Bestimmung von Militanz, militanten Aktionsformen und einer sich verdichtenden militanten Politik geht.“ Abhilfe sollte eine Erweiterung der Diskussionspunkte “in Richtung einer Organisierungsdebatte” bringen.


In einem weiteren schriftlichen “radikal”-interview, das Mitte 2009 veröffentlicht wurde, bekannte sich die mg zu drei zurückliegenden militanten Aktionen und erklärte ihre Auflösung infolge interner Reibereien: “Wir lösen uns heute und hier mit diesem Beitrag als (mg) auf! Von nun an ist die (mg) in die Widerstandsgeschichte der revolutionären Linke in der BRD eingegangen. Es gibt von nun an nur noch eine ex-(mg); und demzufolge auch nur noch ehemalige Mitglieder der (mg). Momentan befinden wir uns im ´Stadium des Ehemaligen´, ausgestattet mit einem umfangreichen inhaltlich-ideologischem Rüstzeug (inklusive aller Widersprüche und Leerstellen), einer langen Kette von militanten Aktionserfahrungen und verschiedenen organisatorischen Versuchen des Strukturaufbaus und der entsprechenden reproduktiven Absicherung.” Gleichzeitig kündigte die mg etwas nebulös eine “Transformation” ihres Projekts an: “Und das, was dem ´Stadium des Ehemaligen´ folgt, kommt erst noch.“


Als „Nachfolgeorganisation“ gelten den Verfolgungsbehörden seitdem die „Revolutionären Aktionszellen“ (RAZ), deren Spuren sich aber im Jahr 2012 verlaufen haben, ohne dass es zu weiteren Aktivitäten in Wort oder Tat gekommen wäre.


Die militante Kleingruppe – ein Auslaufmodell?


Linke Militanz ist seit dem Hamburger G20-Gipfel das bestimmende Thema im Sommer 2017. Kein Tag, an dem nicht selbsternannte „Experten“ über Herkunft, Hintergrund und Herausforderung linker Militanz dozieren.


Mit den vier Skizzen von militanten Kleingruppen aus den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten sollte ein Spektrum innerhalb der radikalen Linken vorgestellt werden, was bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben ist. Allen vier im Schnelldurchlauf vorgestellten Gruppierungen ist gemeinsam, dass sie nicht mehr existieren. In drei der vier Fälle führten der Repressionsdruck bzw. Fahndungserfolge dazu, dass die Aktivitäten offenkundig eingestellt werden mussten.


Dennoch ist Militanz in der radikalen Linken nicht passé. Die Anschlagsserie insbesondere im Vorfeld des G20-Gipfels zeigte, dass weiterhin ein Potential von Militanten vorhanden ist, das zumindest anlassbezogen über Monate hinweg aktiv sein kann. Inwieweit sich aus diesem militanten Widerstand klandestine Kleingruppen herausbilden, die an zurückliegende Erfahrungswerte, Praxisbeispiele und Organisierungsprojekte anknüpfen, bleibt abzuwarten.


Die periodisch wiederkehrenden Anläufe einer Militanzdebatte von „Feierabendterroristen“ aus den letzten Jahrzehnten belegen, dass weder ein „kollektives Gedächtnis“ in der radikalen Linken ausgebildet wurde, noch dass klandestine Militante generationsübergreifend in einen Austausch kommen. Militante verausgaben sich nicht nur in einer Wiederholungsschleife, sondern kehren in einem Dreijahres-Rhythmus immer wieder an den Nullpunkt zurück.


Vielleicht haben aktive Militante aus dem Scheitern von KgK, aiz, Komitee und mg allerdings die Lehre gezogen, dass unter den aktuellen Bedingungen jeder klandestine Kern, der seine Bekennerschreiben nach einem Brandanschlag mit einem fixen Gruppenlabel abzeichnet, verstärkt ins Fadenkreuz der Ermittlungsbehörden geraten muss – und früher oder später lokalisiert und zerschlagen wird. Ein sporadischer und temporärer militanter Auftritt legt möglicherweise weit weniger Ermittlungsspuren – und verlängert die Lebensdauer.


Eine Positionsbestimmung der kleinen klandestin-militanten Szenerie innerhalb der radikalen Linken im Rahmen einer Militanzdebatte steht ein weiteres Mal aus. Ausreichend inhaltliches, praktisches und organisatorisches Material aus den einzelnen skizzierten Gruppengeschichten liegt jedenfalls vor.