Scharfe Kritik an Rückkehrberatung

Erstveröffentlicht: 
12.06.2017

Mit Einschüchterungen sollen Geflüchtete, die im Main-Kinzig-Kreis leben, unter Druck gesetzt und zur „freiwilligen Rückkehr“ aufgefordert worden sein.

 

Für Hoffnung lässt der Brief fast keinen Raum: Es sei „sicherlich davon auszugehen, dass auch die momentan anhängigen Asylverfahren komplett abgelehnt werden“, wegen der aktuellen Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf). So steht es in dem Schreiben, mit dem pakistanische Geflüchtete zur Rückkehrberatung aufgefordert wurden, in der es um eine freiwillige Ausreise geht. Die Abteilung Hilfen für Migranten des Main-Kinzig-Kreises hat es an alle im Kreis lebenden Geflüchteten aus Pakistan verschickt – sowohl an solche, deren Asylantrag abgelehnt wurde, als auch an jene, deren Antrag noch geprüft wird.

 

Da sie bereits zur Ausreise aufgefordert werden könnten oder dies „eventuell in Kürze“ der Fall sein werde, „halten wir es für unsere Pflicht, Sie über die Möglichkeiten einer freiwilligen dauerhaften Rückkehr in Ihr Heimatland zu informieren“, heißt es weiter. Und zum Schluss werden die Flüchtlinge, die Sozialleistungen beziehen, auf ihre Mitwirkungspflicht hingewiesen – was bei Verstößen zu Kürzungen führen kann.

 

Mit dem Angebot zur freiwilligen Ausreise wollen Bund und Land nach eigenen Angaben Abschiebungen vermeiden, im Gegenzug sollen die Rückkehrwilligen Starthilfen erhalten, vor allem finanzielle. Das Rundschreiben des Kreises hat Kritik ausgelöst. Das Land müsse sein Rückkehrkonzept dringend ändern, fordert Horst Rühl, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen. Das Konzept sollte „ergebnisoffen und freiwillig“ sein. Stattdessen ziele es darauf ab, Menschen auch mit Einschüchterungen und Zwangsandrohung schnell zur Rückkehr zu bewegen. Ein solcher Druck sei nicht hinnehmbar.

 

„Für besonders bedenklich halten wir die Aufforderung zur Rückkehrberatung gegenüber Menschen, deren Asylverfahren noch gar nicht entschieden sind oder die nicht einmal einen Asylantrag gestellt haben.“ Der Brief des Kreises sei kein Einzelfall, sondern „gängige Praxis“. In der Gießener Erstaufnahmeeinrichtung mussten Schutzsuchende schon am zweiten Tag nach der Ankunft, bevor sie einen Asylantrag gestellt hatten, zur Rückkehrberatung. Das Vorgehen „nährt Zweifel bei den Schutzsuchenden, ob ihr Verfahren unvoreingenommen geprüft wird“.

 

Enis Gülegen, Vorsitzender der Landesausländerbeirats, sagt zum Brief des Main-Kinzig-Kreises: „Perfide ist die Prognose im Schreiben, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sicherlich noch anhängige Asylverfahren komplett ablehnen wird.“ Erhöht werde der Druck „durch einen geschickt platzierten Hinweis auf die Mitwirkungspflicht“. Er fordert: „Das Innenministerium muss jetzt dafür Sorge tragen, dass landesweit nachvollziehbar, behördeneinheitlich, vor allem aber ohne unnötigen Druck verfahren wird.“

 

Das hessische Innenministerium teilt zu der Kritik mit: Ziel der Termine sei es, „die Wiedereingliederung in das jeweilige Heimatland zu erleichtern“, die Teilnahme sei freiwillig. „Eine frühzeitige Beratung ist insbesondere bei Angehörigen solcher Nationalitäten sinnvoll, bei denen nur eine geringe Bleibeperspektive besteht“, sagt Sprecher Michael Schaich. In den Erstaufnahmen werde jeder Asylsuchende, der in Hessen bleibt, „am zweiten Tag zielgruppenspezifisch und in Abhängigkeit seiner eigenen Interessenslage“ beraten. Das Schreiben des Kreises sei nicht mit dem Ministerium abgestimmt. Schaich kündigt an: „Die Regierungspräsidien werden eine Formulierungshilfe für die zuständigen Behörden erstellen und künftig entsprechende Einladungen oder Informationsschreiben prüfen.“

 

Der Main-Kinzig-Kreis weist die Vorwürfe zurück: „Unser Vorgehen ist insgesamt angemessen, rechtlich einwandfrei und steht in vollem Einklang mit der allgemeinen Praxis“, teilt Sprecher John Mewes mit. Der Kreis habe den Brief als Träger der Sozialleistungen versandt, eine Abstimmung mit dem Ministerium sei nicht notwendig. Die kritisierte Veranstaltung und die „Einladung“ dazu seien Teil der Rückkehrberatungs-Offensive des Landes, der Kreis setze lediglich Gesetze und Verfahren um. Er sei verpflichtet, Menschen, deren Asylanträge negativ beschieden wurden oder werden könnten, über die „Vorteile einer freiwilligen Ausreise“ zu informieren, genauso wie über die Mitwirkungspflicht. Für die pakistanischen Asylbewerber sei belegt, dass 2016 bundesweit 95,4 Prozent der Asylanträge abgelehnt wurden. Die Formulierungen in dem Schreiben seien „völlig gerechtfertigt“.

 

Diakoniechef Rühl lehnt die Beratung nicht kategorisch ab: „Für Menschen, die nach einer rechtskräftigen Ablehnung für sich keine Bleibeperspektive sehen, kann eine Rückkehrberatung durchaus sinnvoll sein.“ Doch „Zwangsandrohungen und Masseneinladungen“ seien falsch. Wer unter starkem existenziellen Druck und größten Gefahren geflüchtet sei, brauche Zeit anzukommen, könne erst dann Pläne machen. Die kritisierten Vorgehensweise verängstigten und demotivierten die oft traumatisierten Menschen, sagt Rühl. „Mit einer Rückkehr in Würde ist das nicht vereinbar.“