NSU-Prozess - Akten über Nazi-Frau vernichtet

Erstveröffentlicht: 
09.06.2017

Heute soll im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss Corryna Görtz befragt werden. Die Frau aus Kassel gilt als Schlüsselfigur der rechten Szene. Der Verfassungsschutz hat jedoch ihre Personalakte vernichtet.

 

Drei Neonazis werden am heutigen Freitag im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags vernommen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Befragung von Corryna Görtz. Die Frau aus Kassel gilt als Schlüsselfigur der rechten Szene und soll Mitglied im Thüringer Heimatschutz gewesen sein, aus dem die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) hervorging.

 

Ob sie allerdings kommt, ist ungewiss. Görtz soll sich beim Ausschuss unpässlich gemeldet haben. Der Landtag hält sie für verpflichtet zu erscheinen.

 

Abgeordnete wollen sie zu ihren Verbindungen ins Nazi-, Rocker- und Rotlichtmilieu hören. Im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags hatte der ehemalige Nazi und V-Mann Michael See gesagt, Görtz sei die richtige Ansprechpartnerin, wenn man Genaueres über die Suche der rechten Szene nach einem Unterschlupf für das untergetauchte NSU-Trio Ende der 90er Jahre erfahren wolle.

 

Der hessische Verfassungsschutz hat Görtz beobachtet. Allerdings wurde ihre Personalakte offenbar 2009 vernichtet. Der Linken-Abgeordnete Hermann Schaus berichtete im NSU-Ausschuss, dies habe die hessische Staatskanzlei mitgeteilt. Das bestätigte Verfassungsschutz-Abteilungsleiterin Iris Pilling. Zu den Gründen erklärte sie dem Ausschuss: „Eine Aktenvernichtung erfolgt dann, wenn eine Prüfung ergeben hat, dass eine mehrjährige Inaktivität gegeben ist oder dass eine Person tatsächlich fälschlicherweise dem Extremismus zugeordnet worden ist.“

 

Linken-Politiker Schaus zeigte sich entsetzt über die Aktenvernichtung – denn im Falle Görtz gebe es weder eine falsche Zuordnung noch eine mehrjährige Inaktivität. Görtz sei „langjährig und überregional in einem extrem militanten Umfeld aktiv“ gewesen, sagte Schaus der Frankfurter Rundschau. Der Abgeordnete schließt, Hinweise auf möglichen Rechtsterrorismus seien „aufgrund der katastrophalen Aktenführung und Geheimhaltung kaum noch zu überprüfen“.

 

Als weiterer Zeuge wird am Freitag Christian Wenzel vernommen, der eine Nazi-Kameradschaft in Kassel aufgebaut und Kontakte zum inzwischen verbotenen Netzwerk „Blood and Honour“ unterhalten haben soll. Er ist Halbbruder des einstigen V-Manns Benjamin Gärtner. Dieser hatte Informationen über die rechte Szene an den Verfassungsschützer Andreas Temme geliefert, welcher beim NSU-Mord in Kassel 2006 am Tatort war.

 

Vernommen wird außerdem Philip Tschentscher, der in der Nazi-Szene als Liedermacher „Reichtstrunkenbold“ mit einschlägigen Texten auftritt. Tschentscher war bereits im April 2016 vom NSU-Ausschuss vernommen worden. Die CDU nannte es „mehr als fraglich“, ob die Zeugen den Ausschuss voranbringen. „Im Gegenteil: Das Entfernen vom Untersuchungsauftrag sowie die Doppelladungen durch die Opposition führen zu weiteren Verzögerungen der Arbeit“, beklagte CDU-Obmann Holger Bellino.