[B] Dezentral bei Berliner Aktionstagen

NO G20

Selbstverständlich wünschen wir uns, dass der G20-Gipfel im Juli überschattet wird von Rauchwolken über Hamburg und unsere Ideen einer besseren, solidarischen Welt Widerhall finden. Dennoch: wir werden mehr machen müssen, als einmal im Jahr irgendwo hin zu fahren und es knallen zu lassen. Es muss darum gehen, im Alltag aktiv zu werden und lokal Strategien zu entwickeln, die Welt der G20 anzugreifen und den Weg zu Alternativen aufzuzeigen.


In Berlin gibt es viele Initiativen und Kämpfe, die dies schon lange tun. Wir rufen dazu auf, diese im Kontext des herannahenden Gipfels sichtbarer zu machen. Deshalb möchten wir die Berliner Anti-G20-Aktionstage (actiondaysberlin.noblogs.org) nutzen und rufen dazu auf, dezentral aktiv zu werden, durch Sabotage, direkte Aktionen, Debattenbeiträge.

 

Wir möchten nur einige Beispiele nennen anhand derer sich die Rolle Berlins innerhalb der Welt der G20 mit all ihren Widerwärtigkeiten skizzieren lässt.

Gentrifizierung. Kapitalistisches Wohnen.

Der Mietspiegel 2017 weist eine Erhöhung um 10% aus. Das bedeutet 10% mehr Profit für Immobilienbesitzer*innen und dieses Geld kommt von uns Mieter*innen. Wenn wir uns nicht organisieren und Berlin zu Risikokapital machen. Es gibt viele Beispiel kämpfender Mieter*innen. Die angedrohte Friedel54-Räumung ist eine zusätzliche Eskalation einer kapitalistischen Stadtpolitik, in der das Profitinteresse der Eigentümer*innen über den Bedürfnissen vieler hier lebender Menschen steht. Ähnlich wie im letzten Jahr, als Henkels Truppen die Rigaer Straße belagerten, wird es auch bei der Friedel54 richtig sein, dezentral für Unruhe zu sorgen. Es gibt genügend Adressen von Verantwortlichen und Profiteur*innen des kapitalistischen Wohnungsmarktes. Der Druck in deren Richtung muss soweit steigen, dass sie sich zweimal überlegen, ob es das wert ist in Berlin auf Kosten von Mieter*innen Profit zu machen. Es wird sich auch lohnen, politisch Verantwortliche zu benennen. Die Parteien, die im Bundestagswahlkampf mal wieder so tun, als böten sie soziale Alternativen, werden sich nicht freuen, wenn sie bundesweit als Verantwortliche steigender Mieten und der Räumung eines Kiezladens zugunsten weiterer Immobilienprofite in die Schlagzeilen geraten. Zur Erinnerung: in Berlin regiert ne Grünen-“Links“partei-SPD-Clique.

Wohnen und Eigentum

 

Es wäre allerdings ein Fehler, diese Grundsäule kapitalistischer Ökonomie, nämlich Eigentum an Grund und Boden, nur im städtischen Raum zu kritisieren und in dem dagegen gerichteten Widerstand bei der Parole für ein „Recht auf Stadt“ zu verbleiben. Selbstverständlich  muss es diesen Kampf um ein Recht auf Wohnen ohne Verpflichtung einem Eigentümer gegenüber geben! Immer mehr Menschen auf der Welt leben in Städten und neben der Ausbeutung durch kapitalistische Lohnarbeit sind es Miete und Immobilienwirtschaft/Wohnungsmarkt, bei denen einige richtig dickes Geld scheffeln, während andere dafür zahlen (Mieter*innen, Lohnarbeitsabhängige – die, die kein Eigentum haben, weder Produktionsmittel, noch Häuser/Wohnungen). Die Auseinandersetzung darüber, wem diese verfluchte Welt gehört, findet aber ebenso und oft erbitterter auf dem Land statt. Dort stehen Landlose den Interessen einer globalen Ressourcenwirtschaft entgegen, deren Hauptziel die Profitmaximierung ist. Ob das  Palmöl, das benötigt wird, um kapitalistisches Wachstum durch entsprechende Energieträger abzusichern oder die Sojazucht, die den Interessen einer grotesken globalen Fleischindustrie dient – Bedürfnisse der Bewohner*innen betroffener Gebiete oder ökologische Aspekte werden übergangen, wenn Weltmarktkonkurrenz und Profitstreben das Handeln der Akteure dominieren. Ein Beispiel. Im G20-Staat Brasilien, neuntgrößtes BIP der Welt, wurde in der letzten Woche das erste Mal seit der Militärdiktatur das Militär gegen Demonstrierende eingesetzt. Auslöser massiver Proteste war ein Vergleich vor Gericht mit dem Boss des weltweit größten Fleischproduzenten JBS. Deren Boss hatte auf der einen Seite 65 Millionen Euro ans Gericht gezahlt (offenbar kein Problem für jemanden in entsprechender Position), um nicht im Knast zu landen, auf der anderen Seite aber auch eingeräumt, dass ihm vom Putsch-Präsidenten Temer (der massive Sozialkürzungen durchsetzt, u.a. Rente mit 75 also für viele nach dem Tod) seit Anbeginn von dessen Regierungsübernahme Schweigegeld in Bezug auf Informationen über Korruption im staatlichen Öl-Geschäft (Petrobras) gezahlt hatte. Alles Durcheinander? Dies ist der alltägliche Wahnsinn der Welt der G20. Ganze Regionen (z.B. in Brasilien), die größer als die Fläche der BRD sind, werden dazu auserkoren, dem Profitprinzip und Rohstoffbedarf des globalen Kapitalismus zu dienen und, wenn es dann mal nicht so gut läuft (Öl- und Rohstoffpreise sinken), wird geputscht, geschmiert und gegen die, die das durchschauen, das Militär eingesetzt. Und Brasilien ist leider exemplarisch für die gesamte Welt der G20. Und die Hauptstadt eines Exportweltmeisters (BRD), dessen „erfolgreiches“ Wirtschaftsmodell ohne die Ausbeutung globaler Wertschöpfungsketten (massive Rohstoffnachfrage inkl.) keine Grundlage hätte, ist der richtige Ort, um dagegen zu protestieren. Dass ein Staat von der Größe Deutschlands mit solch stolzem Exportüberschuss glänzen kann, wäre unmöglich, wenn nicht global Rohstoffabbau und Monokulturen unter genau solchen Verhältnissen wie in Brasilien stattfänden, inkl der sozialen und ökologischen Zuspitzung. Selbstverständlich gilt das gleiche für die Ausbeutung von Arbeitskräften entlang der Wertschöpfungsketten „deutscher“ Exportprodukte. Aber wir lassen es mal bei dem knappen Schlaglicht auf die gobale Rolle von Eigentum an Grund und Boden. Und hoffen, dass Aktivist*innen sich inspiriert fühlen, weiter zu recherchieren, Zusammenhänge aufdecken und durch direkte Aktionen intervenieren.

Es gilt, die Kritik an Gentrifizierung und unsere lokale Bewegung gegen steigende Mieten auszuweiten und den Horizont zu schärfen: Gegen das profitorientierte Eigentum an Grund und Boden als ganzes. Ob der Mietspiegel in Berlin um 10% steigt oder die Pacht, die eine bäuerlich wirtschaftende Familie in Brasilien entrichten muss, der Widerstand dagegen ist derselbe. Und der sollte als solcher formuliert und praktiziert werden. In Solidarität mit Hausbesetzungen überall, aber auch widerständigen Landlosen- und kleinbäuerlichen nachhaltig-kooperativ orientierten Zusammenschlüssen oder Bewegungen, ob in Indien, Brasilien, Mexiko, aber auch in Brandenburg, Russland oder Griechenland. Für eine Welt, in der die Häuser, Felder, Wälder, Meere und Seen von denen genutzt werden, die das benötigen: Ökologisch und solidarisch, jenseits des zerstörerischen Profitprinzips kapitalistischer Wachstumszwänge.

Eskalation globaler Konflikte. G20 bedeuten Krieg.
Syrien, Türkei, Kurdistan.


Syrien ist ein zynisches Beispiel dessen, was diese Welt konkurrierender Staaten, kapitalistischen Wettbewerbs um Einfluss und Ressourcen, rassistisch, sexistisch und nationalistisch aufgeladener Herrschafts-Legitimierungen hervorbringt. Hier führen verschiedene G20-Staaten Stellvertreter*innen-Kriege und ungeachtet der Opfer und des Leids, dass sie verursachen, setzen sie sich weiterhin an einen Tisch, speisen edel, genießen die akustische Harmonie der Elbphilharmonie und lassen Fotos von sich schießen, auf denen gelächelt wird und die Reihen geschlossen sind. Die sogenannten Menschenrechte, beispielhaft das Menschenrecht auf Asyl, sind ihnen egal, wenn es um Aufrechterhaltung rassistisch-konstituierter Nationalstaatlichkeit geht. Die Stabilität der NATO hat Priorität, da kann medial noch so viel über die faschistische Dynamik in der Türkei oder die Vertreibungen und den Krieg in Kurdistan gesprochen oder lamentiert werden. Daran wird auch das deutsche Wahlkampfgetöse nichts ändern. Gerade letzte Woche hatte es Außenminister Gabriel halbherzig versucht. Er wollte im Wahlkampf „Kante“ zeigen und wollte der CDU ein Ultimatum setzen, dass die Bundeswehr aus Incirlik abziehen solle. NATO-Sekretär Rasmussen musste den Außenminister rüffeln, dass das so nicht ginge. Man(n) gibt doch nicht einfach so ne Militärbasis auf, stupid German Wahlkampftrottel!
Wobei es ja kein Geheimnis ist, dass Dinge wie die deutsche Partnerschaft mit der Türkei keine Ausnahmen in der Geschichte sind (weder aktuell noch in der Vergangenheit). Es ist business as usual, wenn der Westen im Sachzwang von Weltmarktkonkurrenz und geostragischer Interessenskonkurrenzen mit Autokratien, Faschisten etc (Bsp. Schahbesuch vor 50 Jahren, inkl. Erschießung Benno Ohnesorgs) zusammenarbeitet. 

 

Aber zuhause ist es am Schönsten?

 

Neben außenpolitischem Pragmatismus ist klar, dass der Abbau sogenannter Grund- und Menschenrechte selbstredend auch im Inneren stattfindet. Der Ausnahmezustand, den Polizei und Politik rund um die Ausrichtung des G20 ausrufen, ist als ein Blick und ein Schritt in die Zukunft zu verstehen: Demokratie gibt es nur für den Kirchentag, da werden sogar Schulen als Pennplätze für geschlossen (letzten Mittwoch und letzten Montag fiel deshalb für einige Schüler*innen der Unterricht aus. Sieht es allerdings nach einem größeren anarchistischen Happening aus, kotzen die Polizeistaats-Politiker*innen uns in deutscher Pünktlichkeit die Verschärfung des Widerstandsparagrafen vor die Füße. Tatsächliche und entschlossene Opposition wird auch hierzulande mit den altbewährten Mitteln der Herrschaftssicherung begegnet werden und zwar dem gesamten Repertoir. Als vor 50 Jahren Benno Ohnesorg erschossen wurde, war das ebenso wenig ein Zufall, sondern genauso Teil systematischer Repression wie die Ermordung Carlo Guilianos, als sich in Genua 2001 das Potential einer neuen globalistisch-solidarischen Bewegung in massenmilitanter Mobilisierung Ausdruck verschaffte. So etwas sind und waren immer klare Ansagen von Seiten der Staaten, dass sie bereit sein würden, ihre Ordnung mit den aus ihrer Sicht notwendigen Mitteln, vom Zweck geheiligt, zu verteidigen. Es ist schlimm, dass immer noch viele auf die staatliche Propaganda hereinfallen, dass Grundrechte tatsächlich ehrlicher Bestandteil dieser westlichen Demokratien seien, statt lediglich umkämpftes Gut auf der einen Seite und Legitimierungsstrategie gegenüber anderen Staaten mit konkurrierenden Interessen auf der anderen. Spitzen sich soziale Konflikte zu, gibt es am Ende nur noch weniges, das diese westlichen Staaten verteidigen werden: vermutlich das Recht auf Eigentum und die Sicherung der eigenen Herrschaft. Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Recht auf ausreichende Bildung, Wohnen, Essen, Freizeit. Hinfällig, sie werden ihre Begründungen finden und haben sie auch schon heute, diese Rechte eben nicht zu garantieren. Bewegungsfreiheit? Asylrecht? Schon heute präferieren die europäischen Regierungen, dass 5000 Menschen jährlich im Mittelmeer ersaufen statt diese Rechte zu ermöglichen. Die Verhinderung von legaler Migration via Kollaborationen und Anti-Reiseabkommen mit der Türkei, Tunesien, Marokko etc und der militärischen Abschottung durch Frontex kalkuliert das Sterben an den Grenzen als Teil repressiver Abschreckungspolitik ein – das Sterben-Lassen ist ein sukzessives Ermorden, die Verantwortlichen sind die Schreibtischtäter*innen und, weil sie das wissen, schüren sie die rassistischen Ressentiments oder belügen die Welt mit der dummen Behauptung die „Schleuser“ seien die Verantwortlichen (also einzelne Symptome ihrer Abschottungspolitik)…
Wir sehen, was passiert und es ist an der Zeit, sich organisierter dagegen zu stellen. Sowohl zu Rojava, Syrien, der Türkei als auch zur deutschen Migrationspolitik gab und gibt es viel Aktivität in Berlin. Wir hoffen, dass sich entsprechende Verbindungen zu den G20 knüpfen lassen und vielleicht die ein oder andere Gruppe sich zur Aktion entschließt!

Was also nun? Was tun. Wir haben es eingangs formuliert und im Prinzip nur einzelne Nachrichten aus der Welt der G20 aufgegriffen. Mietspiegel, Brasilien, Syrien, Migrationsbekämpfung. Wir hätten mehr schreiben können. Zu der neokolonialen G20 Africa Parntnership Conference verweisen wir auf deren Blog (wirsindwuetend.blogsport.eu) und hoffen, dass wir uns alle diese verschiedenste Zusammenhänge besser erschließen, mit besserer Recherche, schärferer Kritik. Denn nur so können wir strategisch dagegen halten.

Vor allem aber dürfen wir uns nicht verstecken. Wir müssen uns zeigen, uns gegenseitig, aber auch der Welt. Es reicht, und dies muss seinen Ausdruck finden. In alltäglichen Aktionen. Wir möchten deshalb zu einer dezentralen militanten Kampagne anregen, die mit den Berliner Aktionstagen beginnt, im Rahmen von Africa-Partnership-Conference und Friedel-Räumung verschärft wird, um eine klare Entschlossenheit zu demonstrieren. Allein zum Gipfel fahren und dort (zwar notwendig) ganz konkret den globalen Ausnahmezustand zu Gast in Hamburg anzugreifen, wird nicht ausreichen.

Also: Militant und dezentral gegen die G20 in Berlin und überall!

Beteiligen wir uns an den Aḱtionstagen!


Autonome Gruppen