Vogtland: Extremismus auf Vormarsch

Erstveröffentlicht: 
15.05.2017
Im Vogtland ist die Anzahl politisch motivierter Straftaten durch Rechts- und Linksextremisten weiter gestiegen. Womit Sachsens Verfassungsschützer jetzt für die Zukunft in der Region rechnen.

 

 

Plauen. Das Landesamt für Verfassungsschutz attestiert dem Vogtland ein veritables Problem mit Rechtsextremismus. Das geht aus dem soeben veröffentlichten Jahresbericht der Verfassungsschützer für 2016 hervor. Die Anzahl politisch motivierter Delikte durch Links- wie Rechtsextremisten ist demzufolge erneut gestiegen: 35 Straftaten aus dem linken Milieu (2015: 15) stehen 123 aus dem rechten Spektrum (2015: 101) gegenüber.

 

Die Verfassungsschützer führen den Anstieg nicht nur auf Ereignisse im Umfeld des 1. Mai vorigen Jahres zurück, als die Großdemonstration eines "nationalen Aktionsbündnisses" durch Plauen mehrere hundert Teilnehmer und ebensoviele Gegendemonstranten mobilisierte. Es gebe darüber hinaus neben einer straff organisierten neonationalsozialistischen Szene im Vogtlandkreis auch noch eine eher "unstrukturierte, subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene", schätzen die Experten ein.

 

Diese Szene falle "hauptsächlich durch das Begehen von Straf- und Gewalttaten auf, die sich insbesondere gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, aber auch gegen politische Gegner" richten: "So wurde ... in Plauen das Parteibüro der Partei Die Linke mit der Parole ,Linke töten' beschmiert." In Oelsnitz schoben mehrere Täter Rollcontainer mit Müll vor das Tor einer Asylbewerberunterkunft und setzten diese in Brand. Darüber hinaus seien die registrierten Straftaten von einem hohen Anteil an Volksverhetzungs- und Propagandadelikten (70,3 Prozent) sowie Sachbeschädigungen und Körperverletzungen geprägt.

 

Insgesamt ordnen Sachsens Verfassungsschützer der gewaltbereiten rechtsextremen Szene im Vogtland zwischen 100 und 150 Personen zu. Ihr übriges tun Aktivitäten der Kleinpartei Der dritte Weg in Plauen. Deren Präsenz hat laut dem Bericht ebenfalls "zu einem Anstieg des offen rechtsextremistischen Personenpotenzials" geführt. Im Vergleich zu anderen Regionen Sachsens liege der Personenkreis zwar weiter in einem niedrigen Bereich: "Dennoch entfalteten die Rechtsextremisten in der Region über Jahre ein hohes Aktionsniveau."

 

Andere rechtsextreme Parteien entfachen laut dem Bericht dagegen nur wenig Wirkung in der Region. Die NPD im Vogtland sei klein und kaum noch aktiv: "Im Jahr 2016 wurden lediglich eine Mitgliederversammlung sowie zwei Informationsstände bekannt." Von einem im April 2016 in Oelsnitz gegründeten Kreisverband der Partei Die Rechte seien seither keine öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen bekannt geworden. An der Gründungsveranstaltung nahmen nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes auch Vertreter der Partei Der dritte Weg teil.

 

Der linksextremistischen Szene im Vogtlandkreis mit sogenannten Autonomen und Anarchisten ordnen die Verfassungsschützer dagegen weniger als 50Personen zu. Gekennzeichnet sei die Lage dort von Bestrebungen, sich überregional besser zu vernetzen sowie im ländlichen Raum eine "Präsenz antifaschistischer Strukturen" herzustellen: "Mit den Demonstrationen am 1. Mai 2016 in Plauen ... und am 17. Dezember in Plauen, gelang es der linksextremistischen Szene, erste Teilziele dieser Strategie umzusetzen", heißt es.

 

Die Verfassungsschützer sagen den weiteren Ausbau extremistischer Aktivitäten voraus: Der dritte Weg werde mit den herkömmlichen rechtsextremen Themen weiter als Auffangbecken für Neonationalsozialisten dienen. Und durch die Präsenz dieser Partei in Plauen werde sich zugleich die linksextremistische Szene veranlasst sehen, ihre Aktionen dort fortzusetzen.

 

Straftaten-Statistik: Was die Zahlen sagen - und was nicht


Wie aussagekräftig ist die Statistik über links- und rechtsextremistische Straftaten? Darüber sind sich selbst Fachleute uneins. Naturgemäß schlagen nur Fälle zu Buche, die den Ermittlern bekannt werden. Kriminalisten sprechen von einem sogenannten Hellfeld. Hinzu kommt ein "Dunkelfeld", also jene Straftaten, die der Polizei nicht bekannt werden - zum Beispiel, weil keine Anzeige erstattet wird.

 

Die Anzahl rechts- und linksextremistischer Straftaten, wie sie die Statistik ausweist, bildet nicht ab, wie oft tatsächlich gegen das Gesetz verstoßen wurde, sondern nur, wie oft Beamte das vermuteten. Dabei kann sich eine Anschuldigung später auch als haltlos erweisen; das vermeintliche Vergehen mit dem Anfangsverdacht bleibt dennoch in der Statistik -selbst bei einem späteren Freispruch durch ein Gericht.

 

Die Kriminalitätsstatistik ist fehlerbehaftet, aber dennoch aussagekräftig. Das sagt Uwe Backes von der TU Dresden. Trotz Makel gebe es kein alternatives Instrument in ähnlich hoher Qualität. Zudem sei die Datenqualität im Laufe der Jahre verbessert worden.

 

Das Landesamt für Verfassungsschutz ist kein "geheimer Dienst", sondern versteht sich eigenen Angaben zufolge als Informationsdienstleister für die Öffentlichkeit. Die Behörde stellt interessierten Bürgern, Medien und Wissenschaftlern Analysen und Erkenntnisse zu extremistischen und damit verfassungsfeindlichen Bestrebungen zur Verfügung. Die Information der Öffentlichkeit über derartige Bestrebungen gehört zu den gesetzlichen Aufgaben des Verfassungsschutzes. Im Kapitel zum Islamismus findet das Vogtland im aktuellen Bericht keine Erwähnung.