Die deutsche Polizei rüstet auf - die Folgen könnten tödlich sein

Erstveröffentlicht: 
21.03.2017

50.000 Volt schießen durch den Körper. Schlagartige Schockstarre. Totale Handlungsunfähigkeit. Zuweilen mit Todesfolge. Der Taser als vermeintlich zivile Variante aus dem Waffenschrank wird seit einigen Wochen von der Berliner Polizei im Streifendienst erprobt.

 

Was soll erprobt werden? Die Fakten liegen bereits auf dem Tisch: Allein in den USA und Kanada führte der Taser-Einsatz zu Dutzenden Todesfällen. Frei nach Clausewitz: "Der Taser ist eine bloße Fortsetzung der Schußwaffe mit anderen Mitteln."

 

Neue "Wunderwaffe" in der Verbrechensbekämpfung?

 

Wunder sind rar, gerade im Waffengeschäft. Die "Wunderwaffe" Taser wird als "nicht tödliche Waffe" von ihren BefürworterInnen angepriesen. Wenn nicht als Ersatz einer Schusswaffe so doch als Einsatzalternative.

 

Aber was ist der Taser? Zunächst einmal: Der Taser hat eine literarische Vorlage, nämlich "Tom Swift and his Electric Rifle" von Victor Appleton, erstmals 1911 erschienen. Ein Titel aus der Jugendliteratur lieferte dem Erfinder des Tasers, Jack Cover, den Stoff.

 

Gemeinhin sagt man lesen bilde und rege die Fantasie an. Letzteres dürfte im Fall des Taser-Erfinders stimmen. Die in dem Buch beschriebene Betäubung von Menschen mit Elektrizität weckte offensichtlich seinen Erfindergeist. 1972 ließ Cover seine Elektroschockwaffe patentieren.

 

 


 

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Die Distanz-Elektroimpulswaffe, so die amtsdeutsche Wortschöpfung, schießt zwei oder vier mit Widerhaken versehene Projektile in Richtung der Zielperson ab. Die Höchstweite beträgt 10 Meter.

 

Über die mit den Projektilen verbundenen Drähte werden elektrische Impulse von der Pistole auf den Körper der Zielperson übertragen. Die getroffene Person erhält einen oder mehrere elektrische Schläge und ist infolge einer kurzzeitigen Lähmung regungslos.

 

Der Taser wird in Berlin nicht als zusätzliches Hilfsmittel der körperlichen Gewalt im Rahmen des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges (UZwG) eingestuft, sondern als Schusswaffe, was den Einsatz einschränken soll. Ein Indiz für die Gefährlichkeit. Für die Tödlichkeit.

 

Dreht der Staat an der Eskalationsschraube?

 

Wie führt man neue Waffen am überzeugendsten ein? Wie schafft man Akzeptanz? Mit vollem Körpereinsatz natürlich. PolizistInnen, aber auch mutprobenwütige JournalistInnen ließen sich als Testpersonen spektakulär mit dem Taser beschießen, um deren "nicht tödliche" Wirkung zu beweisen. Reife Bühnenleistungen.

 

Der Taser ist eine Art Abschiedsgeschenk des im vergangenen Herbst aus dem Amt gewählten Innensenators Frank Henkel (CDU). Die SPD geführte Innenverwaltung Berlins geht nun ihrerseits mit der Taser-Waffe auf Werbetour. Nicht ohne Erfolg.

 

Gegenstimmen aus dem eigenen Regierungslager von Grünen und Linkspartei fallen seltsam geräuscharm aus.

 

Der Taser füllt das Arsenal bundesdeutscher Polizisten auf. Vorgegeben wird eine Lücke zu schließen. Die Lücke zwischen Schlagstockeinsatz, Pfefferspray-Fontäne und Schusswaffengebrauch. In diese Lücke passe der Taser, sagen die AnhängerInnen des Elektrowaffen-Schocks.

 

Der erste Dammbruch ist bereits mit der Testphase erfolgt. Nicht mehr nur Spezialeinsatzkommandos führen den Taser als Grundausstattung, sondern auch der freiwillig angetretene Schupo an der Straßenecke in Kreuzberg-Friedrichshain oder hinter der Weltzeituhr am Berliner Alexanderplatz.

 

Der zunächst lokal begrenzte Taser-Einsatz wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeweitet. Polizeiabschnitt für Polizeiabschnitt. Bezirk für Bezirk. Bis er die gesamte Stadt räumlich erfasst hat. Und weitere Städte und Bundesländer nachziehen.

 

Der Taser ist nichts anderes als eine Aufrüstungsinitiative des Staates. Mir ist bewusst, dass die Chance auf Rüstungskonversion außerhalb des Realpolitischen zu liegen scheint. Der Übereifer der SicherheitsexpertInnen" ist grenzenlos. Immer neue Konzepte, die dem alten Denken folgen. Der Taser ist ein Produkt davon.

 

Wo sind die kritischen Stimmen der Gefahrenabwehr?

 

In einer Studie von Amnesty International (AI) sind für den Zeitraum von 2001 bis 2015 allein in den USA 670 Todesfälle registriert worden, die "in Zusammenhang" mit einem Einsatz des Elektro-Schockers stehen.

 

In Dutzenden Fällen hätten RechtsmedizinerInnen nachweisen können, dass die 3,1 Milliampere, die den menschlichen Körper traktieren, entweder die Todesursache waren oder "zumindest mit dazu beigetragen" haben.

 

Der Anti-Folter-Ausschuss der Vereinten Nationen hat den Taser gleichfalls im Visier der Grundsatzkritik. Der Taser ist, da er nicht direkt äußerlich erkennbare Blessuren hinterlässt, ein Idealmodell einer Methode für "Weiße Folter".

 

Insbesondere für Menschen mit Handicaps sind die rund 50.000 Volt Spannung des Tasers lebensgefährlich. Bei Herzrhythmusstörungen und schwacher körperlicher Konstitution sowieso. Aufgrund der potentiell tödlichen Wirkung des Tasers scheint eine Gefahrenabwehr erforderlich.

 

Schutzwesten für potentielle Opfer. Aus Aluminium mit hoher Leitfähigkeit. Das macht die Taser-Waffe stumpf und wirkungslos. Noch gilt eine solche Schutzkleidung nicht als passive Bewaffnung.

 

Es dürfte nach den Erfahrungen vom nordamerikanischen Kontinent nur eine Frage der Zeit sein, bis in den Gazetten die erste Todesanzeige zu lesen ist. In etwa mit folgendem Wortlaut: "Im Rahmen eines Polizeieinsatzes musste unser Freund und Kollege aufgrund der Einwirkung von 50.000 Volt einer Distanz-Elektroimpulswaffe sein Leben lassen."