Viele Asylsuchende bleiben trotz Ausreisedruck

Erstveröffentlicht: 
28.05.2010

Bezug von Nothilfe teilweise über Jahre – Handlungsspielraum der Kantone

Eine Studie zeigt, dass ein Teil der weggewiesenen Asylsuchenden über lange Zeit Nothilfe bezieht. Die Wirkung sozialer Restriktionen hängt auch vom Willen der Kantone ab, die Ausreisepflicht durchzusetzen.


C. W. ⋅ Seit 2004 erhalten Asylsuchende nach einem Nichteintretensentscheid und seit 2008 alle ausreisepflichtigen Bewerber statt der üblichen Sozialhilfe nur noch eine minimale Nothilfe. Eine Abhaltewirkung lässt sich kaum erkennen; die Zahl der neuen Asylgesuche nahm zwar 2004 ab, 2008 aber stark zu. Auch die Hauptfrage, ob mit diesem materiellen Druck mehr Wegweisungen durchgesetzt werden können, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Eine Studie, die das Büro Vatter AG für Bund und Kantone durchgeführt hat, beleuchtet indessen erstmals genauer jene Weggewiesenen, die relativ lange Nothilfe beziehen.

Grosse Minderheit

Das Bundesamt für Migration hält zwar fest, die Regelung habe sich grundsätzlich bewährt, nur 15 Prozent der abgewiesenen Asylsuchenden bezögen nach einem Jahr noch Nothilfe. Von den Personen, die 2008 oder im ersten Halbjahr 2009 nach einem negativen Asylentscheid ihr Aufenthaltsrecht verloren hatten, erhielten aber in diesem Zeitraum 55 Prozent solche Unterstützung (die Dauer wird nicht angegeben). Und 44 Prozent der Bezüger im zweiten Quartal 2009 hatten die Ablehnung schon vor 2008 erhalten, 30 Prozent sogar 2005 oder früher. Die Langzeitbezüger sind allerdings unter jenen Personen besonders zahlreich, die zuerst noch unter dem Sozialhilfe-Regime standen. Der Anteil dieser Gruppe nimmt laufend ab.

Rolle der kantonalen Praxis

Personen in höherem Alter, Frauen, Paare und Familien nehmen häufiger Nothilfe in Anspruch als andere – sei es, weil sie eher in der Schweiz bleiben oder weil sie sich hier weniger gut anderweitig durchschlagen können als junge Männer. Am deutlichsten sind die Unterschiede nach Nationalität, was teilweise mit der Kooperation der Herkunftsländer bei der Identifikation und der Ausschaffung beziehungsweise mit der konkreten Möglichkeit zur Rückkehr zusammenhängt. Ein Faktor sind dabei der Abschluss und der Vollzug von Rückübernahmeabkommen.

Erhebliche Unterschiede zeigen sich auch innerhalb der Schweiz. So waren in den Kantonen Waadt und Zürich 36 Prozent der erfassten Nothilfe-Bezüger seit mindestens vier Jahren rechtskräftig weggewiesen, im Tessin und in Graubünden hingegen weniger als 10 Prozent. Nach einem anderen Massstab verzeichnen die Kantone Baselland und Zug die grössten Anteile von «bleibenden» Personen, die kleinsten Kantone die geringsten. Städtische Zentren und deren Umgebung begünstigen einen «schwarzen» Aufenthalt; der Bericht nennt als Stichworte Drogenhandel, Anonymität, Netze von Landsleuten und paralleles Fürsorgesystem.

Mit einer gewissen Vorsicht weisen die Autoren darauf hin, dass auch Einstellung und Praxis der kantonalen Behörden die Zahl der Nothilfe-Bezüger beeinflussen. Spielraum besteht bei der Ausgestaltung der Nothilfe (was die Hilfswerke kritisieren), bei der Intensität polizeilicher Kontrollen am Wohnort der Weggewiesenen, beim Umgang mit polizeilich angehaltenen Personen und bei der Anwendung von Zwangsmassnahmen. Ferner dürfte eine grosszügige Erteilung von Härtefallbewilligungen ein Verbleiben eher fördern.

Wirksam erscheint vor allem eine Kombination von Instrumenten. Rückkehrhilfe wird vor allem beansprucht, wenn sonst härtere Massnahmen drohen. Doch die Anwendung der Durchsetzungshaft (um die Beschaffung von Reisepapieren zu erwirken) hat erfahrungsgemäss kaum einen Effekt. Eine «konsequente» Praxis setzt im Übrigen entsprechende Ressourcen voraus, namentlich Polizeikräfte und Haftplätze. Mehrere Faktoren kumulieren sich bei den Extrembeispielen Waadt (large) und Graubünden (restriktiv).

Psychische Probleme

Die für die Studie geführten Gespräche bestätigten, dass die Einschränkung der Fürsorge nicht zu vermehrter Delinquenz führt. Der Bericht registriert aber Klagen, dass eine «aufwendige Parallelstruktur» geschaffen worden sei und die Erfolglosigkeit der Bemühungen demotivierend wirke. Eher am Rand ist die Lage der Betroffenen selbst ein Thema. Oft leiden sie unter gesundheitlichen Problemen, speziell die Häufung psychischer Erkrankungen ist im Urteil medizinischer Experten besorgniserregend. Die Ursache sei weniger die materielle Knappheit als das Fehlen von Sicherheit und Perspektiven.