Interview zur Stabsübung GETEX und zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren

Terrorabwehr! Vorwärts, Marsch! - Von der Bundeswehr in Großstädten bis zu Kriegswaffen für die Polizei
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Hallo Martin, am 6. März wirst Du in Tübingen im Epplehaus zum Bundeswehreinsatz im Inneren und zur Aufrüstung der Polizei referieren. Was ist der konkrete Anlass?

Ab dem 07.03.17 findet eine gemeinsame Terrororabwehrübung von Bundeswehr und Polizei unter dem Namen GETEX statt. Beteiligt an dieser Stabsrahmenübung sind neben Verteidigungsministerium und Bundesinnenministerium auch Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Schleswig-Holstein. Geübt wird aber vermutlich nicht auf den Straßen, sondern in muffigen Dienstzimmern, in denen virtuelle Szenarien in Echtzeit bearbeitet werden müssen. Im Fokus steht also die Kommunikation zwischen Entscheidungsträger_innen und nicht die einfachen Soldat_innen und Polizist_innen.

 

Was ist an dieser Stabsübung denn neu? Im Ausland, auf dem Balkan etwa, übt die Bundeswehr doch regelmäßig mit Polizeieinheiten und in Deutschland sind beide regelmäßig, z.B. bei der Münchner Sicherheitskonferenz oder bei Gelöbnissen, gemeinsam im Einsatz?


Stabsrahmenübungen mit Beteiligung von Polizei und Bundeswehr finden im Bereich Katastrophenschutz unter dem Label LÜKEX bereits seit 2004 statt. Das hat die Bundeswehr bereits genutzt, um sich in diesem Bereich immer weiter breit zu machen. Überspitzt gesagt ist die Bundeswehr dort aber zum Sandsäcke schleppen vorgesehen.
In der anstehenden Übung soll es allerdings auch um Objektschutz, also eine klassische Polizeiaufgabe gehen, in der Soldat_innen der Bevölkerung mit dem Gewehr in der Hand gegenübertreten. Das ist in der Größenordnung neu.
Es geschieht zwar auch jetzt schon in begrenzten Fällen in Militärischen Sicherheitsbereichen, die z.B. für Gelöbnisse und die SIKO in München auch mal temporär eingerichtet werden, lässt sich aber kaum auf ganze Städte oder Landstriche ausweiten.
Was die Auslandseinsätze angeht übt die Bundeswehr z.B. mit der Bundespolizei und der European Gendarmerieforce, v.a. den Umgang mit Demonstrationen und Menschenmassen, also eine klassische Polizeiaufgabe. Für die Terrorbekämpfung in Deutschland wirkt es anders herum, als ob sich die Polizei auf Häuserkampf und Schießereien mit Terroristen in Innenstädten vorbereiten würde.
Ob die Armee dabei behilflich sein kann, wenn sie erst aus der Kaserne ausrücken muss und denn mit Oma Lise konfrontiert ist, die zum Arzt will, hinterfragen selbst Funktionäre der Berufsverbände von Bundeswehr und Polizei, die ja sonst eher als Scharfmacher bekannt sind.

 

Was ist denn ein realistisches Szenario, bei dem es zu solch einem gemeinsamen Einsatz kommen könnte?


Das vom Innenministerium geplante Szenario beinhaltet mehrere anhaltende Terroranschläge auf Flughäfen, Bahnhöfen und Schulen zwischen Bremen und München, gerahmt von diversen Anschlägen in ganz Europa. Es ist quasi so zurecht geschnitten, dass die Polizei überfordert sein muss und der eine Ausnahmefall eintritt, in dem die Bundeswehr laut aktueller Rechtssprechung zur Hilfe geholt werden darf. Ein NDR-Reporter hat das Planspiel also nicht ohne Grund als „Terror – Armageddon“ bezeichnet.
Dass ein Bundeswehreinsatz zur Terrorabwehr in Deutschland allerdings auch deutlich unter dieser Schwelle zu haben ist, beweist das Vorgehen der Verteidigungsministerin während eines Amoklaufs im letzten Sommer in München, der zur Alarmbereitschaft der Bundeswehr führte. Ein Einsatz stand also kurz bevor. Mit diesem Präzedenzfall wurde übrigens die öffentliche Debatte erst geschaffen, die zur jetzigen GETEX-Übung geführt hat.
Wie weit die Schwelle in Zukunft sinken wird, wenn sich Bundeswehr und Polizei erst mal als selbstverständliche Partner aneinander gewöhnt haben, ist schwer zu sagen. Die Erfahrungen aus dem Bereich des Katastrophenschutzes legen aber nahe, dass die Einsätze merklich zunehmen werden.
Alles Unterhalb der Verfassungsänderung, die von der Leyen in der Debatte um das neue Weißbuch 2016 in der Koalition nicht durchbekommen hat, wird versucht um die Bundeswehr als Player der inneren Sicherheit im Feld zu behalten und ihre Spielräume auszubauen.

 

Auch beim G8-Gipfel in Heiligendamm war die Bundeswehr mit Feldlazaretten, Spähpanzern und sogar Tornados im Einsatz, jetzt wird kurz vor dem G20-Gipfel in Hamburg hochoffiziell der gemeinsame Einsatz von Polizei und Militär zur Terrorbekämpfung geübt. Siehst Du da einen Zusammenhang?


Das ist eine spannende Frage. Vor rund zehn Jahren wurden die Verbindungsstrukturen der Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit innerhalb der Bundeswehr geschaffen. Dienen sollten sie dem Katastrophenschutz und der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr.
Der G8-Gipfel in Heiligendamm war allerdings ein erster Gradmesser, wofür diese Strukturen noch dienen können. Wahrscheinlich wollten auch Polizeiführung und Generäle mal wissen, was sie sich in so einem Szenario erlauben können.
Auch wenn es einen solch massiven Einsatz der Bundeswehr gegen Demonstrationen seit dem nicht wieder gegeben hat, wurde die Kooperation mit der Polizei kontinuierlich ausgebaut. Die GETEX-Übung ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg. Ihre volle Wirkung werden diese Übungen wahrscheinlich erst über die Jahre entfalten.
Das hält die Bundeswehr aber keinesfalls davon ab, im Sommer in Hamburg zur Unterstützung der Polizei aus den Kasernen zu kommen. Es sitzen höchstwarscheinlich schon jetzt Soldaten in den Planungsstäben und beraten mit.
Eine Ausnahmesituation wie ein Gipfeltreffen bietet für die Behörden immer auch einen Rahmen um Dinge, z.B. den Umgang mit der relativ neuen Rechtslage zur Terrorbekämpfung auszuprobieren, die im Alltag für einen Aufschrei sorgen könnten. Ob die Bundeswehr aber aktiv im Objektschutz von Angesicht zu Angesicht mit dem Demonstrant_innen oder eher in der zweiten Reihe wie bisher eingesetzt wird, lässt sich im Vorherein kaum sagen.
So oder so wird versucht, im Vorfeld des G-20 die Akzeptanz für Inlandseinsätze der Bundeswehr zu erhöhen.

 

Neben dem Bundeswehreinsatz im Inneren thematisierst Du auch die Aufrüstung der Polizei? Was sind hier die wichtigsten Entwicklungen?


Das Thema ist breit und umfasst selbstverständlich die Ausweitung von Videoüberwachung, Predictive Policing, neue Spionagesoftware des BKA, usw., usf.
Mir geht es allerdings um die unmittelbare physische Aufrüstung der Polizeikräfte, denen wir im Alltag oder spätestens bei Demonstrationen begegnen.
So wurde seit dem Anschlag auf ein Satiremagazin und einen jüdischen Supermarkt in Paris im Januar 2015 höhere Millionensummen in den Kauf von neuer Ausrüstung gesteckt. Im Prinzip alte Forderungen der Polizeigewerkschaften, die allerdings mit einem Horrorszenario im Nacken im Handumdrehen umgesetzt und teils sogar übertroffen wurden. Es kam sogar zu einer Art Rüstungswettlauf zwischen den Innenministern der Länder.
Beispielhaft dafür stehen die BFE+-Einheiten der Bundespolizei, die weiterhin als Greiftrupps bei Demonstrationen und Fußballspielen ihren Dienst schieben werden, aber parallel für den Häuserkampf mit schwer bewaffneten Terroristen eine paramilitärische Ausbildung und Ausrüstung erhalten. Hinzu kommt, dass in allen Bundesländern mindestens Teile der Streifenwagen mit Maschinenpistolen und militärischen Schutzwesten, sowie Stahlhelmen ausgestattet werden, weil – so die Logik – die Streifenbeamt_innen als erste am Ort eines Anschlags sind und dort effektiv Terrorist_innen bekämpfen müssten.
Militärische Waffen, Ausrüstungsgegenstände, aber auch Taktiken erhalten damit Einzug in den Polizeialltag und werden damit das Vorgehen dieser ohnehin repressiven Institution über Jahre und Jahrzehnte prägen.

 

Bundeswehr im Inneren und Aufrüstung der Polizei sind ja letztlich nur zwei Teilgebiete einer umfassenden Aufrüstung der Inneren Sicherheit. Worin siehst Du die besten Perspektiven für linke Bewegungen, gegen diese Aufrüstung aktiv zu werden?

 

Grundlage sollte sein, dass wir gut informiert sind, um für eine inhaltliche Auseinandersetzung gewappnet zu sein.
Um genügend Druck auf die institutionellen Ebenen auszuüben sind wir meiner Meinung nach aktuell nicht stark genug und in einer direkten Konfrontation mit diesem Kriegsgerät können wir ohnehin nur verlieren.
Deshalb muss es vielmehr darum gehen, den aktuellen Sicherheitsdiskurs zu demontieren und Polizei und Militär überall dort zu konfrontieren wo sie ohnehin in der Öffentlichkeit stehen. Z.B. die schwer bewaffnete Polizeistreife im Hauptbahnhof einfach mal Fragen, wie viele Leute wohl umfallen würden, wenn er/sie mit einer Maschinenpistole in die Masse ballern würde.
Besonders gut treffen lassen sich Polizei und Militär aber dort, wo sie aktiv um öffentliche Zustimmung werben und von der Bevölkerung gerne für ihren Einsatz gelobt werden würden. Also bei Stadtfesten, Gelöbnissen, Tagen der offenen Tür, usw. Dort können wir an der Akzeptanz einerseits und an ihrem Selbstbewusstsein andererseits sägen.


Am 7.3. ab 17:30 rufen der Friedenstreff Bad Cannstatt und weitere Unterstützer_innen anlässlich der GETEX-Übung zu "Protest und öffentlicher Beobachtung" vor der Theodor-Heuss-Kaserne in Bad Cannstatt auf.