Fotos aus dem amerikanischen Foltergefängnis während des Irak-Kriegs

Erstveröffentlicht: 
22.02.2017

"Sie legten Sandsäcke auf seine Schultern. Warfen Steine auf ihn. Hauten seinen Kopf gegen eine Stahlplatte, bis er bewusstlos wurde."

 

Ein irakischer Gefangener steht auf einer Pappkiste, auf seinem Kopf eine Papiertüte, an seinen Händen Kabel. US-Soldaten drohen ihm, dass er durch Elektroschocks hingerichtet würde, falls er von der Kiste falle. Das Foto dieser Szene aus dem Foltergefängnis Abu Ghraib im Irak, 20 Kilometer westlich von Bagdad, ging um die Welt. Während des Irak-Kriegs – genauer von 2003 bis 2006 – wachten hier US-Soldaten über bis zu 3.800 Gefangene. Sie wurden gefoltert mit Schlafentzug, sexueller Erniedrigung und Gewalt. "Sie legten Sandsäcke auf seine Schultern", steht in der Akte eines Häftlings. "Warfen Steine auf ihn. Hauten seinen Kopf gegen eine Stahlplatte, bis er bewusstlos wurde." Die Bilder sind zum Symbol der gescheiterten Außenpolitik der USA geworden, ihrem Versagen darin, vermeintliche moralische Überlegenheit in die Welt zu exportieren. Doch erst zwölf Jahre später veröffentlichte das Pentagon 198 weitere Fotos aus internen Ermittlungen.

 

Der Schweizer Künstler Christof Nüssli, 30, las davon im Februar 2016, in einer kleinen Zeitungsmeldung. "Pentagon veröffentlicht 198 Bilder misshandelter Gefangener". Die Menschenrechtsorganisation ACLU hatte über ein Jahrzehnt dafür gekämpft, dass die Bilder aus den Foltergefängnissen aus den Ermittlungen des Militärs öffentlich werden. Sie hatte die Freigabe von 2.000 Fotos gefordert – nur ein Zehntel davon hat sie bekommen und auf die Website torturedatabase.org gestellt. Sie sprechen nicht für sich wie jene Bilder aus dem Jahr 2004, sie zeigen das Grauen nicht plakativ, sie landen nicht auf Seite Eins der Zeitung. 198 Fotos – von einem Knie, einem Rücken, geschwärzten Fingerabdrücken der Täter. Es sind Bilder, die die amerikanische Regierung selbst ausgewählt und herausgegeben hat. Nüssli beschloss, die Fotos so aufzuarbeiten, damit jeder das Ausmaß des Leids der Gefangenen versteht.

 

Wochenlang tauchte er in den veröffentlichten Bilder und Akten ab. Dann machte er ein Buch daraus. Es heißt withheld due to:, zu Deutsch "vorenthalten". Es sind lose Seiten, die auseinanderfallen, wenn man sie nicht festhält. Ein Buch, das nicht schön sein will, sondern anstrengend. Das einiges zeigt, aber noch viel mehr Zeugnis dafür sein will, was weiter unter Verschluss bleibt. Neun von zehn Bildern sind weiter geheim – etwa mit der Begründung, dass Fotos von US-Soldaten, die Gefangene vergewaltigen, die Sicherheit der Amerikaner gefährden würde, die noch im Irak stationiert sind.

 

Die veröffentlichten Fotos haben Nummern und keine Namen. Doch hinter jedem Bild in Nüsslis Buch steckt eine Geschichte. Die Menschenrechtsorganisation ACLU hat Informationsschnipsel kombiniert und konnte einigen Bildern Namen oder Geschichten zuordnen. Drei davon können wir hier nacherzählen. 

 

1. Diese Prellungen waren auf Manadel al-Dschamadis Bein

 

Die CIA hatte den Iraker als ehemaligen Offizier in Saddam Husseins Armee und als Hauptführer einer terroristischen Zelle identifiziert. Im Gefängnis zogen Militärpolizisten al-Dschamadis Arme im 90-Grad-Winkel nach hinten und fixierten sie mit Handschellen an einem Fenstergitter. Während des Verhörs sackte al-Dschamadi vornüber, nur noch von seinen Handschellen gehalten. Als Militärpolizisten ihn wieder in Position bringen wollten, entdeckten sie, dass er tot war. So berichteten es US-Medien. Er hatte nach seiner Festnahme keine fünfeinhalb Stunden überlebt. Das Foto eines grinsenden Amerikaners neben seinem Leichnam wurde eines der Symbole des Folterskandals.  

 

2. Dieser Fuß gehört mit großer Wahrscheinlichkeit Ibrahim Khalid Samir al-Ani


Dieses Foto zeigt den Fuß des irakischen Häftling Ibrahim Khalid Samir al-Ani, schreibt die Menschenrechtsorganisation. Er wurde laut eines Berichts des Constitution Projects zu Unrecht beschuldigt, sich mit dem 9/11-Attentäter Mohammed Atta getroffen zu haben. Al-Ani wurde von Joint-Special-Operations-Command-Truppen im Juli 2003 gefangen genommen. Er schrieb in einem Brief über seine Folter: "Er legte seinen Fuß auf meinen Rücken und fing an zu schreien und fluchen. Und nach 15 Minuten fühlte ich, dass eine Seite von meinem Bauch und Oberschenkel zu brennen begann, wegen der heißen Luft, die aus dem Auto kam." Al-Ani war anschließend drei Monate lang in Behandlung wegen seiner Brandverletzungen. Er bekam Hauttransplantationen. Ein Finger musste amputiert werden. 

 

3. Diese Körperteile gehören einem damals 31-jährigen Mann


Diese Fotos gehören zu einem irakischen Gefangenen, damals 31 Jahre alt, der im März 2004 von US-Streitkräften gefangen genommen und in der Nähe von Mossul im Irak festgehalten wurde. Der Gefangene berichtete, dass sie ihn geschlagen und mit heißem Wasser verbrannt haben. Sie haben ihm verboten zu schlafen und zu essen und ihn mit kaltem Wasser übergossen. Der Gefangene schrieb in einer Erklärung, dass seine Verhörer ihm "drohten, dass sie meine Frau und meine Mutter mitbringen würden, und dass sie sie vergewaltigen würden, wenn ich mich nicht bekenne." Die Untersuchung der Armee ergab, dass "kein Vergehen irgendeiner der beteiligten Personen vorliege".

 

Die Geschichten der meisten anderen Gefolterten werden unerzählt bleiben.

 

Der Autor Robert Zagolla schreibt in seinem Buch über die Frage, ob Folter je legitim sein kann: "Ein Rechtsstaat kann dauerhaft nur bestehen, wenn er auch in Extremsituationen an seinen Grundlagen festhält." 

 

Der neue US-Präsident Donald Trump sagte kürzlich: "Folter funktioniert. Absolut." 

 

Christof Nüssli sagt dennoch: "Es ist auch kein antiamerikanisches Buch." Zumindest würde den möglichen Folterverbrechen in den Staaten überhaupt nachgegangen.