Risiko und Strafvollzug

Gitterstäbe

Diskussionen über Kriminalität im Allgemeinen und Strafvollzug im Besonderen sind wesentlich geprägt vom Begriff des Risikos. Sei es das „Risiko“ eines Rückfalls, das „Risiko“ einer Entweichung aus der Haft und derlei mehr. Risiken wohin man schaut. Ich möchte im folgenden zuerst den Begriff des Risikos näher zu bestimmen versuchen (1.), danach einige Situationen im Strafvollzug unter dem Risiko-Blickwinkel vorstellen (2.), um dann im Schlussteil (3.) zu fragen, was diese Fixierung auf das „Risiko“ mit den Beteiligten macht.

1.) Was ist „Risiko“?

Über das Risiko wird heute in sehr verschiedenen wissenschaftlichen Fächern ebenso gesprochen, wie im ganz normalen Alltag. Angesichts der aktuellen Krise in Griechenland ist viel vom Ausfall-Risiko griechischer Staatsanleihen die Rede. Versicherungen kalkulieren mit dem Risiko des Eintretens von Naturkatastrophen, um die Höhe von Versicherungsprämien zu berechnen. Schweinepest und Vogelgrippe ließen uns darüber nachdenken, wie hoch das Risiko eigener Ansteckung und schwerer Erkrankung, oder gar Tod wäre.

Es wird also klar, dass Risiko etwas mit Zukunftsungewissheit zu tun hat. Nun war eh und je die Zukunft ungewiss, aber zu früheren Zeiten begnügte man sich damit nicht den Zorn der Götter zu erregen oder durch Opfer zu besänftigen und wohlgesinnt zu stimmen. Schäden sollten demnach vermieden werden.

In der sich als aufgeklärt verstehenden Gesellschaft bedarf es rationaler Begrifflichkeiten und Systeme um künftig möglicherweise eintretende Schäden tunlichst zu vermeiden.

Hier kommt nun das Risiko in die Diskussion. Kann ein eingetretener Schaden als Folge einer Entscheidung gesehen, also auf die Entscheidung zugerechnet werden, spricht man von „Risiko“, nämlich dem Risiko der Entscheidung. Von einer „Gefahr“ wird gesprochen, wenn der Schaden als extrem veranlasst gesehen also auf die Umwelt zugerechnet wird.

Diese Unterscheidung zwischen den Begriffen Risiko und Gefahr ist deshalb von Bedeutung (ganz abgesehen davon, dass sie unterschiedliches bezeichnen), da man sich politisch von Gefahren leichter distanzieren kann, als von Risiken- eben weil diese auf konkrete Entscheidungen zurückführbar sind.

Der Ausbruch jenes isländischen Vulkans der seine Asche über Europa verteilte, stellte eine Gefahr dar; die folgenden Entscheidungen den Flugverkehr einzustellen ein Risiko.

Wir können also als Zwischenergebnis festhalten, dass der Begriff des Risikos eng verknüpft ist mit der Ungewissheit der Zukunft und dem Versuch zukünftige Schäden zu vermeiden; wobei Risiken (im Gegensatz zu Gefahren) auf konkrete Entscheidungen zurückführbar sind.


2.) Risiken im Strafvollzug

Letztlich wohnt jeder vollzuglichen Entscheidung ein Risiko inne, denn es gibt keine garantiert risikofreien Entscheidungen.
Entsprechend ist der Vollzugsalltag seitens des Personals davon geprägt entweder Entscheidungen zu vermeiden, zu delegieren oder aber Kontrollen und Verbote exzessiv auszuweiten.

Um mit letzterem zu beginnen: die Liste jener, im Grunde völlig banaler Gegenstände welche Gefangene nicht besitzen dürfen, wird immer länger. Fernseher mit DVB-T, Festplattenrekorder, Playstation-3, Handy, Computer, uvm. Nahezu jeder Gegenstand ließe sich letztlich „missbrauchen“, insbesondere zur unkontrollierten Kontaktaufnahme nach „draußen“, was in den Augen der Entscheidungsträger ein Risiko darstellt. Dass nämlich eventuell Straftaten geplant oder begangen oder Ausbrüche vorbereitet werden.

Zugleich werden alle Lebensäußerungen der Gefangenen kontrolliert. Besuche, Telefonate, Briefe, Kommunikation mit dem Personal oder mit anderen Gefangenen.

Welche Folgen hier eine unterlassene Kontrolle haben kann, zeigt der Vorfall in der JVA Remscheid im April 2010.
Ein Gefangener tötete seine Freundin während des Besuchs; er war vor dem Besuch nicht umfassend durchsucht worden. Hier verwirklichte sich also ein Risiko (Übergriff auf eine andere Person), welches auf eine konkrete Entscheidung (Unterlassen einer gründlichen Durchsuchung) zurechnen lässt.

Entscheidungsvermeidung und -delegation sind weitere prägende Verhaltensmuster. So wurden im Verlaufe der letzten circa 10 Jahre bundesweit die Plätze im „Offenen Vollzug“ (also jener Vollzugsform welche ermöglicht, dass Gefangene tagsüber in Freiheit arbeiten und nur abends und an Wochenenden „hinter Gittern“ sitzen) teilweise erheblich reduziert. In Hessen binnen vier Jahren um 50 %! oder Hamburg: befanden sich 1996 noch 31% der Erwachsenen Strafgefangenen im Offenen Vollzug, waren es 2008 nur noch 13%.
Vermeide ich es Gefangenen im Offenen Vollzug unterzubringen, reduziere ich selbstredend das Risiko, dass sie flüchten, oder erneut Straftaten begehen. Diesem kurzfristigen „Erfolg“ stehen aber langfristig erheblich höhere gesamtgesellschaftliche Kosten gegenüber. Denn im Vergleich Offener Vollzug zu geschlossenem Vollzug haben Gefangene welche aus ersterem entlassen werden, ein signifikant geringeres Rückfallrisiko.

Beispiel für Entscheidungsdelegation ist der rapide Anstieg der psychologischen, wie psychiatrischen Begutachtungen der Gefangenen vor der Gewährung von Vollzugslockerungen und vor einer Entlassung auf Bewährung. Verwirklicht sich dann doch ein Risiko können die Entscheidungsverantwortlichen in den Gefängnissen und bei Gericht auf die Gutachter verweisen.

Jedoch führt die Ausweitung der, auch von Politik, wie Öffentlichkeit geforderten Begutachtungspraxis zu einem Dilemma. Da es keine risikofreien Entscheidungen gibt, muss man die Hoffnung aufgeben, dass durch ein mehr an Wissen auch ein mehr an Sicherheit gewonnen würde. Denn je mehr man weiß über eine Person (hier: den/die Gefangenen), desto mehr weiß man, was man gerade nicht weiß. Je komplexer mithin die Kalkulation angelegt wird, umso mehr Facetten kommen in den Blick.


3.) Schlussteil - Was macht diese Risikofixierung mit den Beteiligten?

Zum einen erzeugt die Fixierung auf das Risiko ein permanentes zumindest unterschwellig spürendes Gefühl der Verunsicherung, Abgespanntheit bis hin zur Unwilligkeit (was die Seite der Beschäftigten angeht); sowie auf Seiten der Gefangenen ebenfalls Verunsicherung, Angespanntheit und auch Unwilligkeit.

So ähnlich die Gefühlslage, so unterschiedlich die Motivation.

Die der Beschäftigten soll hier nicht weiter interessieren, zumal diese üppig für ihr „Wirken“ besoldet werden und freiwillig in den Gefängnissen tätig sind. Nein, ich möchte mich abschließend der Situation der Inhaftierten zuwenden.

Sie sind verunsichert, weil sie nicht wissen, welches Verhalten, welche (späteren) Folgen nach sich zieht. Gerade angesichts der Verschärfungen im Strafrecht (z.B nachträgliche Sicherungsverwahrung) kann authentisches Verhalten in einem Fall dazu führen, dass man sanktioniert wird, in einem anderen Fall bleibt es folgenlos.

Permanent angespannt sind Gefangene, weil jede Lebensäußerung von ihnen beobachtet und schriftlich fixiert wird und sie damit rechnen müssen noch nach Jahren mit Äußerungen der Verhalten im Alltag konfrontiert zu werden.

Unwillig sind sie, da sie in der Regel ohne eigenes Zutun als personifiziertes Risiko, weniger als Mensch wahrgenommen werden. Sie sind ein Risiko in den Augen der Stockwerksbeamten, in den Augen der Psychologen, der Juristen, der Werkbeamten. All dieses Personal hat ein auskömmliches Leben- jede Entscheidung oder auch Nicht-Entscheidung im Vollzugsalltag ist mit dem Risiko behaftet, dass ein Schaden eintritt (siehe oben der Mord beim Besuch), der dieses sorgenfrei Leben gefährdet. Nur ist das Risiko, dass tatsächlich ein Schadensfall realisiert wird, äußerst gering. Die Mehrzahl der Gefangenen wird also präventiv in Haftung genommen für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich ein Risiko verwirklicht.

Dass dies nicht förderlich für eine positive Entwicklung oder ein menschenwürdiges Dasein ist, sollte keiner weiteren Begründung bedürfen.


Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA-Z.3113, Schönbornstr. 32, 76646 Bruchsal
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