Dresden: Tumultartige Trauerarbeit

Erstveröffentlicht: 
08.02.2017
Das Gedenken an die Bombenangriffe wird von Rechten in Dresden seit jeher instrumentalisiert. In diesem Jahr löst eine Skulptur aggressive Auseinandersetzungen aus.
Von Doreen Reinhard, Dresden

 

In Dresden hat der Februar eine eigene Stimmung. Der Monat ist so eisig und trüb wie anderswo auch. Aber nicht das Wetter, sondern ein anderes Thema beschwert die Stadt: die Erinnerung an die Bombenangriffe vom 13. Februar 1945, bei denen bis zu 25.000 Menschen getötet und große Teile Dresdens zerstört wurden. 72 Jahre später ist das Datum noch immer traumatisch für die Stadt. Bis heute ringt man mit der Trauerarbeit: Wie gedenkt man richtig? Und weil auch der Umkehrschluss seit jeher die Debatten bestimmt: Wer bestimmt, wie falsches Gedenken aussieht?

 

Auf ein Ritual zumindest hatte man sich in den vergangenen Jahren geeinigt. Am 13. Februar kommen über 10.000 Dresdner im Zentrum zusammen und schließen sich zu einer Menschenkette zusammen. Man hält sich schweigend an den Händen, Kirchenglocken läuten, dann löst sich die Kette auf, und jeder geht wieder seiner Wege. Für eine Weile schien Dresden seinen Frieden mit dem Gedenken gefunden zu haben. Ein Irrtum – nicht die Menschenkette, in die sich auch am kommenden Montag Tausende einreihen werden; vom friedlichen Gedenken aber ist Dresden derzeit weiter entfernt denn je.

 

Der 13. Februar ist in diesem Jahr Anlass für alten Streit und neuen Zorn zugleich. Für Dimensionen von Aggressionen und Hass, die viele so noch nie erlebt haben, und trotzdem mit einer gewissen Routine parieren. Gezwungenermaßen, weil auch das zum Weitermachen in dieser Stadt gehört, in der seit zweieinhalb Jahren das fremdenfeindliche Pegida-Bündnis demonstriert. In dieser Stadt, die immer wieder zum Austragungsort rechter Skandale wird. 

 

Auch Dirk Hilbert (FDP) hat sich der Strategie des Weitermachens verschrieben. "Wer in Dresden Oberbürgermeister ist, muss eine gewisse Gelassenheit mitbringen", sagt er. "Es bleibt nichts anderes übrig. Wir müssen uns damit auseinandersetzen: Es ist in unserer Gesellschaft zunehmend opportun geworden, sich mit plumpen Äußerungen zu Wort zu melden. Und da gilt: Wehret den Anfängen." Mit betont ruhiger Stimme erzählt der Oberbürgermeister von seinem aktuellen Alltag – der genauer betrachtet ein permanenter Ausnahmezustand ist. 

 

"Dresden war keine unschuldige Stadt"


Vor dem Haus, in dem Hilbert mit Frau und kleinem Sohn lebt, patrouillieren gerade rund um die Uhr Polizisten. Eine Vorsichtsmaßnahme, denn der Politiker wurde Zielscheibe von Hetze und Morddrohungen. Hintergrund der Eskalation war diese Äußerung Hilberts in einem Zeitungsinterview: "Es gibt immer noch Versuche, die Geschichte umzudeuten und Dresden in einem Opfermythos dastehen zu lassen. Dresden war keine unschuldige Stadt." Neu sind solche Aussagen nicht. Schon vor Jahren hatte die Arbeitsgemeinschaft 13. Februar, der neben Hilbert auch Mitglieder anderer Parteien und Akteure der Stadt angehören, die öffentliche Debatte um diesen Aspekt erweitert.

 

In rechten Netzwerken und Parteien wird das nun neu skandalisiert. "Herr Hilbert, Sie widern uns an", verkündete die Junge Alternative Dresden auf ihrer Facebookseite. In den Kommentaren liest man unter anderem: "Hilbert pflegt den Schuldkult" und "Es erstaunt mich doch arg, dass der Dreckskerl noch nicht gelyncht wurde." Jens Maier, Dresdner Richter und AfD-Mitglied, veröffentlicht: "Mit der Aussage, Dresden sei keine unschuldige Stadt gewesen, lässt Oberbürgermeister Hilbert die Maske des bürgerlichen Politikers fallen und entlarvt sich endgültig als unwürdiger Bürgermeister dieser Stadt. Es braucht keine Politiker, die sich für die eigenen Opfer schämen und ihnen nachträglich ins Grab spucken."

 

Aggressiv ist die Stimmung nicht nur im Internet, sondern auch draußen im echten Leben, im Dresdner Stadtzentrum, in dem über das Gedenken tumultartig gestritten wird. Vor einem Kunstwerk, das für die einen "spektakulär", für die anderen "entartete Kunst" ist. "Monument" heißt die Installation des Künstlers Manaf Halbouni: drei rostige Busse, hochkant aufgestellt, direkt vor der Frauenkirche.

 

Inspirieren ließ sich der syrisch-deutsche Künstler von einer Busblockade, die vor zwei Jahren während Angriffen auf Aleppo aufgebaut wurde. "Ich habe die Bilder damals gesehen und gedacht: Wahnsinn, was Menschen tun, um sich vor Angriffen zu schützen", sagt Halbouni. In seiner künstlerischen Bearbeitung zieht er Verbindungen zu Dresdner Zivilisten, die sich 1945 ebenfalls vor Angriffen schützen mussten. Insofern versteht sich sein "Monument" auch als Mahnmal für Dresdens Bomben-Opfer.  

 

"Ich verstehe Sie nicht. Und Sie verstehen mich nicht"


Halbounis Werk wurde bewusst als Reibungspunkt in den Gedenkritualen platziert, vorgeschlagen von Dresdner Kunstinstitutionen, abgesegnet von Oberbürgermeister Hilbert. Alle sind am Dienstagmittag zur Eröffnung gekommen, doch die gerät alles andere als feierlich. Es kommt zu Szenen, die mittlerweile zur Dresdner Litanei gehören: Pöbeleien, Beschimpfungen, Ausraster – kritische Auseinandersetzung: Fehlanzeige. Schätzungsweise 400 Menschen haben sich versammelt, Vertreter aus beiden Lagern. Menschen, die keiner der beiden Gruppen angehören, findet man bei solchen Ereignissen in Dresden kaum noch. Einen Deut zahlreicher sind jene, die sich für das Kunstwerk interessieren, es als Bereicherung für die Stadt betrachten.

 

Deutlich lauter jedoch sind die Vertreter der anderen Seite, darunter viele Wiederholungstäter, die bei derartigen "Events" immer wieder auffallen. Sie skandieren "Volksverräter" und "Schande, Schande". Immer wieder treffen beide Seiten aufeinander, oft endet das in Pöbeleien – und unüberwindbaren Differenzen. Der Platz ist von Polizisten gesäumt, die eher zurückhaltend auftreten. Hier und da kommt es zu Auseinandersetzungen, auch, als alle Teilnehmer aufgefordert werden, Plakate und Banner wegzupacken; die seien grundsätzlich verboten bei dieser Veranstaltung. 

 

OB Hilbert muss sich durch seine Rede kämpfen


Auch Sachsens Vizeministerpräsident Martin Dulig (SPD) sucht auf dem Neumarkt Gespräche. "Ich bin doch hier, um mit Ihnen zu reden", erklärt er wieder und wieder einer Frau, die bei ihrem Standpunkt bleibt und ihn überhaupt nicht zu Wort kommen lässt: "Ich verstehe Sie nicht. Und Sie verstehen mich nicht", sagt sie, und: "Das Kunstwerk finde ich abartig." Und dennoch fällt auf, wie sehr manche sich bemühen, in dieser heillos zerstrittenen Stadt zumindest Gesprächsfäden aufzunehmen. "Was haben Sie denn gegen die Busse?", fragt ein Student einen Rentner. Der entgegnet: "Der Neumarkt ist die gute Stube von Dresden. Da hat so ein Schrott einfach nichts zu suchen." Zumindest bleibt es ein leiser Dialog.

 

Den Rednern, die das Kunstwerk schließlich einweihen, brandet unglaubliches Gebrüll entgegen: "Hilbert, hau ab, hau ab!" Der Oberbürgermeister muss sich Satz für Satz durch seine Rede kämpfen. Auch Sebastian Feydt, Pfarrer der Frauenkirche, wird angeschrien. "Nein, ich haue hier nicht ab", sagt er. "Wir wollen mahnen und ein Zeichen der Hoffnung setzen. Aus diesem Grund ist es wichtig, den Dialog auf diesem Platz zu führen und wir werden uns nicht daran hindern lassen. Wir begrüßen auch die Auseinandersetzung und den Dialog um dieses Monument, vor dieser Kirche, auf diesem Platz."

 

Schließlich tritt auch der Künstler ans Mikrofon. Auch Halbouni bleibt ruhig inmitten der Turbulenzen um sein Werk. "Die Menschen, die gepöbelt haben, wollten einfach niemanden zu Wort kommen lassen", sagt er später. "Die meisten standen dort angeblich für die christlichen Werte des Abendlandes und haben noch nicht mal den Pfarrer der Frauenkirche reden lassen – das ist unterstes Niveau." Er habe aber auch gute Gespräche geführt, selbst mit Kritikern seines Werks. Einige Fragen seien ihm immer wieder begegnet. Auch sie sind Ausdruck des schwierigen Umgangs der Dresdner mit dem Gedenken: Ist er überhaupt von hier? Was gibt ihm das Recht, sich mit diesem Dresdner Thema zu befassen?

 

Halbounis Antwort: seine Biografie. Sein Vater ist Syrer, seine Mutter Dresdnerin. Er ist in Damaskus geboren, hat aber schon als Kind viel Zeit in Dresden verbracht. Seit neun Jahren lebt er hier. Er hat Kunst studiert, war Meisterschüler und ist inzwischen mit renommierten Projekten befasst. Viele seiner Kommilitonen verlassen Dresden schnell, für einige ist es eine Flucht aus einer zerstrittenen Stadt. Manaf Halbounis Weg ist das nicht. "Ich liebe Dresden und lasse mich hier nicht vertreiben, bloß weil manche eine andere Meinung haben."

 

Sein Kunstwerk ist nicht der einzige Beitrag zu diesen Dresdner Gedenktagen. Ab Freitag wird auf dem Theaterplatz, direkt vor der Semperoper, die Installation Lampedusa 361 gezeigt. 90 großformatige Fotos von Gräbern sollen auf dem Platz ausgebreitet werden – Gräber von Flüchtlingen, die im Mittelmeer ertrunken sind. Man hofft auf Ruhe auch für diese "Ruhestätten". Aber sicher kann man sich da in Dresden nicht sein.