Wehrhahn-Anschlag - Opfer zweifelt an Einzeltäter-Theorie

Erstveröffentlicht: 
03.02.2017

Düsseldorf/Solingen. Die Opfer des Wehrhahn-Anschlags sind nach der Festnahme eines Verdächtigen erleichtert, aber auch aufgewühlt. Nicht alle sind überzeugt, dass die Polizei mit Ralf S. den Richtigen geschnappt hat.

 

Seine damalige Frau Tatjana verlor bei dem Sprengstoffanschlag im Juli 2000 an der Düsseldorfer S-Bahn-Haltestelle "Wehrhahn" ihr ungeborenes Kind, Michail L. trug schwerste Verletzungen davon. Nach der Verhaftung eines Tatverdächtigen, Ralf S. aus Ratingen, wollen Michail L. und seine Angehörigen nicht über ihre Gefühle und den Anschlag von damals reden. Aber sie äußern Zweifel: Fast 17 Jahre nach der Tat misstrauen sie dem Fahndungserfolg. "Er war es nicht", sagt L.s Vater. Und auch Michail glaube nicht, dass der richtige Mann gefasst worden sei.

 

Das Bündnis "Düsseldorf stellt sich quer!" zweifelt zumindest daran, dass S. ein Einzeltäter ist, und hat für Freitagabend an der S-Bahnstation Wehrhahn zu einer Kundgebung aufgerufen. Der Düsseldorfer Extremismus-Forscher Alexander Häusler sagt, dass es bekannt war, dass die Neonazi-Kameradschaft einen Treffpunkt in S.'s Militaria-Laden hatte.

 

Tatjana L., die damals ihr Kind verlor und der ein Bein amputiert werden musste, lebt heute nicht mehr in Deutschland. Sie hat sich nach Informationen unserer Redaktion von ihrem damaligen Mann Michail getrennt. Die heute 42-Jährige, gebürtig aus Odessa, soll nun wieder in der Ukraine wohnen. 

 

Opfer hat immer noch Splitter im Körper


Die zehn Opfer haben wohl untereinander bis heute nicht den Kontakt gehalten. Vier von ihnen lebten zum Tatzeitpunkt in einem Übergangsheim für Spätaussiedler im Solinger Stadtteil Ohligs. Sie besuchten damals einen Sprachkursus in der Landeshauptstadt. Mit einem Ehepaar steht Leonid Goldberg, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Wuppertal, zu der auch Solingen gehört, bis heute im Kontakt. "Die Familie hat drei Kinder und inzwischen auch Enkelkinder", sagt Goldberg, der selbst in Solingen lebt. "Die Menschen sind gut in Deutschland integriert", berichtet der Gemeindevorsitzende. Über den Anschlag redet die Familie, die nach wie vor im Bergischen zu Hause ist, allerdings nicht mehr, da sie nicht ständig an die schlimmen Erlebnisse erinnert werden will. "Ich kann das verstehen. Das Leben geht schließlich ja irgendwie weiter", sagt Leonid Goldberg.

 

Auch Ekaterina P., eine gebürtige Kasachin, wohnt heute noch in Solingen. "Noch immer habe ich Bombensplitter in meinem Körper", sagte sie der "Bild"-Zeitung. Ein etwa 25 Zentimeter großer Splitter hatte damals ihr Bein getroffen und eine Arterie verletzt. Sie habe in kürzester Zeit viel Blut verloren.

 

Ralf S. soll nach Überzeugung der Ermittler am 27. Juli 2000 einen Sprengsatz in eine Plastiktüte gepackt, sie am Geländer der S-Bahnstation Düsseldorf-Wehrhahn befestigt und in die Luft gejackt haben. Erst über 16 Jahre nach der Tat sitzt der heute 50-Jährige nun in Untersuchungshaft. 

 

Die Polizei hatte am Dienstag die Opfer und deren Angehörige über den Ermittlungserfolg informiert. Bei denjenigen, die sie nicht antrafen, hinterließ sie einen Brief. "Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen", sagte Ekaterina P. Ein wenig froh sei sie aber schon, dass der Verantwortliche gefunden sei.