Auf der Todesliste

Erstveröffentlicht: 
22.12.2016

Reicht der Arm des türkischen Geheimdienstes bis nach Deutschland? Der kurdische Funktionär Yüksel Koc erhielt mehrfach Morddrohungen.

 

Dass er auf der Todesliste steht, weiß Yüksel Koc seit acht Monaten. Erfahren hat es Koc, einer der höchsten Kurdenfunktionäre Europas, ausgerechnet vom Feind: einem türkischen Nationalisten, der in Deutschland für den türkischen Geheimdienst MIT arbeitet. Im April kam er in Bremen zu ihm. „Es gibt neun Ziele, eines davon bist du“, habe der Mann ihm gesagt, weil er Skrupel bekam. „Ziele“, das heißt: der verbotenen PKK nahestehende Kurdenführer, die getötet werden sollen.

 

„Mir geht es gut“, sagt Yücel Koc am Mittwoch. Bislang ist er entkommen. 52 Jahre ist er alt, Lagerist in Bremen war er bis zum Sommer, dann konnte er nicht länger arbeiten, musste sich verstecken. Seither wechselt er ständig seinen Aufenthaltsort, bekommt SMS, in denen Botschaften stehen wie: „Du hast nicht mehr viel Zeit“ oder „Wir werden dich immer verfolgen, bis wir dich haben“.

 

Am letzten Donnerstag nun nahmen Fahnder des BKA im Auftrag des Generalbundesanwalts in Hamburg den 31-jährigen Mehmet Fatih S. fest – wegen des „dringenden Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit“. S. soll für den MIT Kurden wie Yücel Koc ausgespäht haben, als Teil eines Mordkommandos.

 

Lange hatte Koc an der Basis der legalen Kurdenorganisationen gearbeitet. Er lebte mit seiner Familie in einer kleinen Wohnung nahe des Weserufers in Bremen. Neben seinem Lagerjob war er Vorsitzender des lokalen Kurdenvereins Birati. Die Behörden halten den für PKK-nah, verboten war er nicht. Jedes Mal, wenn in Bremen Kurden Schwierigkeiten bekamen, war es Koc, der Anwälte vermittelte, Pressearbeit machte. Vor einigen Jahren dann stieg er auf: 2011 wurde er zum Vorsitzenden des bundesweiten Kurden-Dachverbandes Yek-Kom, 2016 Vize-Vorsitzender des europäischen Kurden-Verbandes KCD-E.

 

Erst einmal geschah gar nichts

 

Als er von den Mordplänen erfuhr, schrieb er an das Bremer Landeskriminalamt und Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). Die Polizei wollte wissen, woher seine Informationen stammten. Mehr geschah nicht, sagt Koc. Polizei und Innenbehörde wollen dazu nichts sagen, nur der Generalbundesanwalt in Karlsruhe „spricht zu der Sache“, heißt es. Doch dort ist am Mittwoch nichts zu erfahren.

 

„Ich weiß, dass der türkische Staat solche Methoden gegen Kurden und oppositionelle Menschen anwendet“, sagt Koc der taz. In der Türkei seien viele Intellektuelle und Politiker ermordet worden. „Die AKP versucht jetzt, die gleichen Methoden in Deutschland anzuwenden. Seit dem Putsch gehen sie immer offensiver gegen Gegner im Exil vor.“ Offen habe die Türkei Europa gedroht: „Wenn ihr nichts gegen die PKKler bei euch macht, machen wir was.“

 

Seine Arbeit setzte Koc fort, er besuchte zum Beispiel die Konferenz der irakischen Jesidinnen in Räumen der katholischen Kirche in Berlin. Hat die Polizei ihm Personenschutz angeboten? „Nein“, sagt Koc. So muss er sich dauernd neue Aufenthaltsorte suchen, im Juli kündigte er nach über zehn Jahren seinen Job bei DHL.

 

Im September dann bekam er den zweiten Hinweis: Die Frau des nun festgenommenen Mehmet Fatih S. hatte bei diesem Unterlagen gefunden, die die Mordpläne offenbarten. Demnach hatten S. und seine Komplizen unter anderem erwogen, Koc mitten auf einer Demonstration zu töten. Außer Koc wurde noch der kurdische Funktionär Remzi Kartal, der in Belgien lebt, namentlich in den Papieren genannt.

 

Endlich im Zeugenschutzprogramm

 

Über den Redakteur einer kurdischen Zeitung meldete die Frau sich bei Koc. Sie übergab ihm die Unterlagen, die ihren Mann belasteten. Koc kannte diesen: 2014 hatte Mehmet Fatih S. sich Koc gegenüber als Journalist ausgegeben und interviewt. Als Journalist des kurdischen Fernsehsenders Denge TV war S. schon seit Jahren als Spitzel auf die Kurdenszene in Norddeutschland angesetzt, so berichtet es nun der Bremer Weser-Kurier.

 

Koc wandte sich erneut an die Behörden, diesmal mit Hilfe der Vorsitzenden der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft, Cansu Özdemir. Sie sprachen mit der Innenbehörde, der Polizeiführung. Die reagierte endlich. Ende September holte die Polizei S.s Frau aus ihrer Wohnung in Bremen ab. Sie kam in ein Zeugenschutzprogramm. Koc erhielt erneut Nachrichten auf sein Telefon: „Du bist nur noch einmal davongekommen, weil diese Hure dich verraten hat.“

 

Laut Koc gab es nicht nur eines, sondern drei Kommandos, die in Deutschland Kurden töten sollten. Die Linken-Abgeordnete Sevim Da ğ delen wollte von der Bundesregierung Näheres darüber wissen, was der türkische Geheimdienst in Deutschland treibt. Am 19. Dezember beantwortete das Bundesinnenministerium ihre Fragen allerdings recht schmallippig.

 

Wie viele offizielle Mitarbeiter der MIT in Deutschland habe, könne man Da ğ delen „aus Gründen des Staatswohls“ nicht sagen, nicht mal, wenn man sie zur Geheimhaltung verpflichten würde, schreibt das Ministerium. Die Türkei würde dies „als Störung der wechselseitigen Vertrauensgrundlage“ werten. Die kursierende Zahl von 800 haupt- und 6.000 nebenamtlichen MIT-Agenten in Deutschland könne das Ministerium deshalb nicht bestätigen. Sehr wohl aber sei zu beobachten, dass der MIT seit dem Putschversuch im Juli seine Aktivitäten „ausgeweitet und intensiviert“ habe.

 

Tiefes Misstrauen

 

PKK-nahe Organisationen wie die, in denen Koc aktiv ist, werden in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet. Insofern stellt sich die Frage, welche Informationen MIT und BND austauschen, ob der MIT auf diesem Wege auch Informationen über Menschen wie Koc erhält. Auf eine Frage Da ğ delens zum Umfang der deutsch-türkischen Geheimdienstkooperatiion heißt es: keine Auskunft. Ansonsten sei ein „Rückgang der Kooperationsbereitschaft“ anderer Geheimdienste zu befürchten, der „nachteilig für die Bundesrepublik wäre“.

 

Auf Da ğ delens Frage, ob angesichts der Lage in der Türkei der MIT ein legitimer Partner für den BND bleiben kann, antwortet die Regierung nur, dies werde „im Einzelfall jeweils anlassbezogen geprüft“.

 

Da ğ dalen sagt dazu: „Die Bundesregierung gefährdet die Sicherheit der Menschen in Deutschland, weil sie immer noch nicht bereit ist, dem Erdo ğ an-Netzwerk das Handwerk zu legen.“ Die Bundesregierung müsse sich über die Generalbundesanwaltschaft dafür einsetzen, dass die Verfahren gegen türkische Agenten nicht wieder eingestellt werden. Sie fordert die Ausweisung aller Agenten der türkischen Geheimdienste inklusive der Imame der AKP-treuen Ditib-Gemeinden, die „für den türkischen Geheimdienst in Deutschland Menschen bespitzeln“.

 

Das Misstrauen der Kurden sitzt tief. Dazu hat auch ein Vorfall in Frankreich beigetragen: Vor fast vier Jahren, am 9. Januar 2013, waren in Paris die PKK-Mitgründerin Sakine Cansız sowie die Funktionärinnen Fidan Doğan und Leyla Şaylemez erschossen worden. Später tauchten im Internet Mitschnitte von Gesprächen auf, die belegen sollten, dass der schwerkranke Tatverdächtige Ömer Güney im Auftrag des türkischen Geheimdienstes MIT gehandelt haben soll. Entsprechende Belege sollen auch in den Untersuchungsakten der französischen Justiz zu finden sein. Doch die verschob die Prozesseröffnung immer wieder – bis Günay am Montag starb. „Der Verdacht einer Liquidierung von Güney, um die Hintergründe des Mordes im Dunkeln zu lassen, liegt im Raum“, kommentiert das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit in Frankfurt.

 

Koc ist über die Festnahme in Hamburg zufrieden. „Spät, aber immerhin“, sagt er. „Ich möchte vom Generalbundesanwalt erfahren: Wer war der Auftraggeber?“ Für Koc ist das klar. „Höchstwahrscheinlich der türkische Staat. Das schlimmste Signal an diesen wäre, die mutmaßlichen Agenten am Ende wieder freizulassen. „Juristisch und politisch“ solle Deutschland sich gegen die MIT-Machenschaften stellen“, sagt Koc. Politisch heiße: „Keine geheimdienstliche, polizeiliche und militärische Zusammenarbeit.“