Grüner Ex-Senator legt Andrej Holm Rücktritt nahe

Erstveröffentlicht: 
16.12.2016

Mit Wolfgang Wieland fordert erstmals ein führender Berliner Grüner den neuen Staatssekretär Andrej Holm zum Amtsverzicht auf. Der hatte der Humboldt-Universität seine Stasi-Tätigkeit verschwiegen.

 

Die Berliner rot-rot-grüne Koalition gerät gleich zu Beginn in Turbulenzen. Im Mittelpunkt steht Andrej Holm, der neue Staatssekretär für Wohnen, der von der Linkspartei nominiert worden war. Der 46-jährige Beamte auf Probe hatte 2005 eine Stelle bei der Humboldt-Universität als wissenschaftlicher Mitarbeiter erhalten und in einem Lebenslauf sowie in einem Personalfragebogen seine hauptamtliche Stasi-Tätigkeit geleugnet.

 

Jetzt legt erstmals ein Politiker des Koalitionspartners Die Grünen Holm den Rücktritt nahe. Der frühere Justizsenator Wolfgang Wieland sagte der „Welt“: „Es wäre am besten, wenn Herr Holm selber die Konsequenzen zöge. Der Personalfragebogen mit Fragen zu einer früheren Stasi-Tätigkeit ist für Hunderte ein Knock-out-Kriterium in Polizei, Bezirksverwaltungen und im gesamten öffentlichen Dienst gewesen.“

 

SPD-Abgeordneter fordert Rücktritt

 

Auch ein Politiker des anderen Koalitionspartners, der Berliner SPD-Abgeordnete Sven Kohlmeier aus dem Bezirk Marzahn-Hellersdorf, fordert den Rücktritt von Holm. Auf seiner Internetseite schreibt er: „Dieses Rumgeeiere, diese Ausreden, sich nicht erinnern zu können, diese Halbwahrheiten und der gefälschte Lebenslauf zerstören das Vertrauen in die Redlichkeit von Herrn Holm.“ Es sei nicht glaubwürdig, dass Holm angeblich nicht gewusst habe, „was er da und für wen er es tat“. Wenn Holm nicht wisse, was er tue, sei „er schon deshalb als Staatssekretär ungeeignet“.

 

Der Versuch, im Lebenslauf die hauptamtliche Stasi-Mitarbeit zu vertuschen, stellt für Kohlmeier ein klares K.o.-Kriterium für Politiker dar. „Bei jedem Angestellten würde die Lüge im Lebenslauf sofort zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen, möglicherweise bis zur Kündigung“, sagt der SPD-Rechtsexperte.

 

Die Universität als Arbeitgeber von Holm, der derzeit beurlaubt ist, prüft nun rechtliche und disziplinarische Schritte gegen den Stadtsoziologen. Dazu ist zunächst die Stasi-Unterlagen-Behörde um Auskunft gebeten worden. Im Raum steht der Vorwurf des Anstellungsbetrugs. Anfang der Woche hatte die Hochschule der „Welt“ auf Anfrage den genauen Wortlaut der falschen Angaben von Holm mitgeteilt. Demnach hatte dieser verneint, hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter gewesen zu sein, eine Verpflichtungserklärung unterschrieben und Geld erhalten zu haben. Bei allen drei Fragen hätte er „Ja“ ankreuzen müssen.

 

Historiker hält Darstellung für „dreiste Lüge“

 

Holm begründete die wahrheitswidrigen Auskünfte gegenüber der Universität mit seiner subjektiven Wahrnehmung. Er habe gedacht, bei der Stasi lediglich Wehrdienst geleistet zu haben. Diese Darstellung hält Ilko-Sascha Kowalczug, DDR-Historiker und Forscher in der Stasi-Unterlagen-Behörde, für eine „dreiste Lüge“. Der „Berliner Zeitung“ sagte er, dass Holm damals ein außergewöhnlich hohes Gehalt bezogen habe: „Der Grundsold betrug 150 DDR-Mark. Holm bekam 675 DDR-Mark pro Monat.“ So etwas vergesse man doch nicht.

 

Kritisch zu Holm hatte sich bereits der Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu in der „Welt“ geäußert: „Die Aussage, Andrej Holm sei mit seiner Vergangenheit immer transparent umgegangen, trifft offenbar auf das Verhältnis zu seinem Arbeitgeber nicht zu.“ Unter dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) lautet die Devise in der Causa Holm allerdings noch: abwarten.

 

 

Die Opposition im Abgeordnetenhaus glaubt nicht, dass sich diese Strategie durchhalten lässt. „Wenn sich bei Andrej Holm der Verdacht eines Anstellungsbetruges oder einer arglistigen Täuschung erhärtet, dann ist das ein weiterer Grund, ihn als Staatssekretär abzuberufen. Holm macht in seiner ganzen Vita deutlich, dass er das Wertesystem und die Grundordnung der Bundesrepublik ablehnt“, sagte der Berliner FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja der „Welt“. Müllers Verhalten sei ein „Beschleunigungsprogramm für Politikverdrossenheit“.

 

Grundausbildung beim Stasi-Wachregiment

 

Am Mittwochabend hatte Holm eingeräumt, fünfeinhalb Monate lang für die Stasi gearbeitet zu haben. Nach eigener Darstellung sei ihm das jedoch erst jetzt klar geworden, nachdem er seine kürzlich veröffentlichte Kaderakte habe einsehen können.

 

Bisher sei er davon ausgegangen, dass die militärische Grundausbildung beim Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ in der Wendezeit noch nicht als hauptamtliche Stasi-Tätigkeit zu werten sei, hatte Holm vor Journalisten erklärt. Das sehe er inzwischen aber anders und habe deshalb seine Lebensläufe für den Senat und die Universität entsprechend korrigiert.

 

Holm gab die Erklärungen auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz ab. Der Grund: Die „Welt“ hatte einen Fragenkatalog an die Humboldt-Universität dazu gestellt, welche Angaben er 2005 in seinen Personalbögen bei der Bewerbung als wissenschaftlicher Mitarbeiter gemacht hatte. Die Auskunft der Uni lag vor den Erklärungen von Holm auf dem Tisch: Damals hatte er die Frage nach einer Stasi-Tätigkeit noch mit „Nein“ beantwortet und in Klammern hinzugefügt: „siehe Wehrdienst“.

 

Holm wurde über den Stasi-Dienstausweis belehrt

 

Dass sich Holm erst anhand der Kaderakte über seine hauptamtliche Stasi-Tätigkeit bewusst wurde, ist wenig glaubhaft. Denn in der dort dokumentierten handschriftlichen Verpflichtungserklärung von ihm steht, dass er „den Dienst, getreu dem Fahneneid, ehrlich und gewissenhaft an jedem Einsatzort zu leisten“ bereit sei. Über den ausgehändigten „Dienstausweis“ des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wurde er laut den Unterlagen ausdrücklich belehrt.

 

Der Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, Roland Jahn, hält Holm die Falschaussagen vor, weil er in der Aufarbeitung seiner Biografie Transparenz und Respekt gegenüber den Opfern des DDR-Unrechts vermissen lasse. In einem Interview mit der „Berliner Morgenpost“ sagte Jahn: „Die Debatte, die jetzt geführt wird, zeigt, dass es der Linkspartei in Berlin nicht gelungen ist, eine glaubhafte Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit voranzubringen.“ Jahn ist davon überzeugt, dass die Partei ohne eine solche Aufarbeitung keine glaubhafte Politik machen könne.