Neonazi-Konzert: Geld fliesst an NSU-Helfer

Das internationale Netzwerk hinter dem Konzert in Unterwasser
Erstveröffentlicht: 
23.10.2016

Unterwasser SG Die Lastwagen kamen im Morgengrauen, am Samstag vor einer Woche. Glatzköpfige Männer in schwarzen Kapuzenpullovern transportierten Absperrgitter, Toi-Toi-WCs und Bier zur Tennishalle in Unterwasser. Zu diesem Zeitpunkt ahnte weder der Nachrichtendienst des Bundes noch die St. Galler Kantonspolizei, dass im Dorf am Fusse des Säntis in wenigen Stunden das grösste Neonazi-Konzert der Schweizer Geschichte stattfinden würde.

 

Die Extremisten hatten alle getäuscht: Die Gemeinde, die von einem Nachwuchskonzert mit Schweizer Bands ausging. Die Sicherheitsbehörden, die den Neonazi-Event in Süddeutschland vermuteten, und den Hallenvermieter, der mit nur 600 Besuchern rechnete.

Thüringer Neonazis nutzten Kontakte in die Schweiz   Am Abend feierten knapp 6000 Rechtsextreme, abgeschirmt von 150 Securitys aus den eigenen Reihen. Auf der Bühne standen deutsche Szenegrössen wie Stahlgewitter, Frontalkraft und Die Lunikoff Verschwörung. Die Polizei sah tatenlos zu.

Koordiniert wurde die monatelange Organisation fast 500 Kilometer entfernt vom Schweizer Dorf – im ostdeutschen Bundesland Thüringen. Dort sitzen die Drahtzieher des Konzertes: Militante Neonazis des in Deutschland verbotenen Blood-and-Honour-Netzwerks. Sie alle sind enge Vertraute und eifrige Unterstützer des inhaftierten Terrorhelfers Ralf Wohlleben. Dieser gilt als vierter Mann des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU). Laut Anklage hat er Beihilfe für neun rassistische Morde geleistet und dem Trio um Beate Zschäpe die Mordwaffe aus der Schweiz beschafft.

Die Fäden der Konzertorganisation liefen bei Steffen R., 32, zusammen. Er verbirgt sich hinter der «Reichsmusikkammer», die auf dem Konzertflyer als Veranstalter aufgeführt war. Seit er 12 Jahre alt war, bewegt sich R. im braunen Milieu von Thüringen, organisiert Konzerte und vertreibt rechtsextreme Kleidung und CDs. Seit der Verhaftung seines Jugendfreundes Wohlleben sammelt er Geld, um dessen Prozesskosten zu decken.

Für die Aufgaben im Vordergrund hatte R. Strohmänner installiert. Etwa den Thüringer Matthias M., 29, der für ein Tattoostudio in Rapperswil SG arbeitet und den Anlass bei der Gemeinde angemeldet hat. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn.

M. lebt im zürcherischen Rüti, nur knapp 150 Meter entfernt von einem weiteren Handlanger: Kevin G., 28. Der vorbestrafte Sänger der Rechtsrock-Band Amok stand in Unterwasser selbst auf der Bühne. Auch er pflegt enge Kontakte zu den Blood-and-Honour-Anhängern von Thüringen, insbesondere zu Thomas W., Frontmann der Band Sonderkommando Dirlewanger. W. nahm zusammen mit anderen Neonazi-Grössen eine Solidaritäts-CD für Wohlleben auf, deren Erlös direkt in den Prozess geflossen ist.

Bei 30 Euro pro Billett kamen 150 000 Franken zusammen   Das Konzert in der Schweiz dürfte den ostdeutschen Neonazis rund 150 000 Franken in die Kassen gespült haben. 30 Euro kosteten die Eintrittskarten. Geld, das die Besucher direkt auf das Konto des Thüringer Rechtsextremisten David H. überweisen mussten. Dessen IBAN-Nummer haben Neonazis bereits bei einem kürzlich veranstalteten Konzert in Deutschland verwendet. Damals hing auf der Bühne ein Plakat mit der Aufschrift «Freiheit für Wolle». Wolle ist der Spitzname des Terrorhelfers Wohlleben.

Mehrere Insider bestätigen, dass ein Teil des Konzerterlöses auch diesmal in die Prozesskosten für Wohlleben fliessen soll. Auf Facebook schrieb ein Konzertbesucher: «Wolle wird sich freuen!»

Die Unterstützer von Wohlleben werden vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet. Auch der Schweizer Nachrichtendienst hat deutsche Extremisten im Visier. Im aktuellen Jahresbericht schreibt er, dass «seit Jahren schon Rechtsextreme aus Deutschland in der Schweiz Wohnsitz nehmen». Und: «Die Rechtsextremen aus Deutschland sind in der Schweizer Szene präsent.»

Unterdessen laufen Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft St. Gallen klärt ab, ob während des Konzertes gegen die Rassismusstrafnorm verstossen wurde. Videoaufnahmen in der Halle hat die Polizei allerdings keine gemacht. «Wir hätten um Leib und Leben fürchten müssen», sagt Bruno Zanga, Kommandant der St. Galler Kantonspolizei.