[Thüringen] Polizei ermittelt nach Tod von 15-jährigem Flüchtling in Schmölln

Erstveröffentlicht: 
23.10.2016

Nach dem Tod eines 15-Jährigen steht die Stadt Schmölln in einem schlechten Licht. Während Helfer versuchten, den Jungen zu retten, beobachten Schaulustige das Ringen um das Leben des Somaliers. Die Polizei ermittelt nun, ob Gaffer den Jungen zum Selbstmord aufgefordert haben.


Leipzig. Schaulustige haben die Stadt Schmölln nach dem Tod eines 15-jährigen Asylbewerbers in Verruf gebracht. Während der Jugendliche eine Stunde am Fenster stand und Helfer ihn vom Sturz in die Tiefe abhalten wollen, hatten sich Bürger der Stadt um das Gebäude versammelt. Diese sollen den Flüchtling aus Somalia mit Rufen zum Springen aufgefordert haben.

David Hirsch, Geschäftsführer des Meuselwitzer Bildungszentrums, welches die Einrichtung betreut, bestätigte die Rufe. Mitarbeiter hätten sie zweifelsfrei gehört, sagte er auf Medienanfrage. Am Sonntag relativierte die Polizei: Bislang gebe es keine belastbaren Beweise für diese Hetzrufe. „Wir gehen diesen Hinweisen aber nach“, erklärte ein Sprecher. Dieser sagte, eine Mitarbeiterin der Einrichtung habe bei ihrer Befragung erklärt, dass die Worte „Spring doch“ so nicht gefallen seien. Sie habe aber gemeint, etwas Ähnliches gehört zu haben.

In diversen sozialen Medien tauchten kurz nach der Tragödie schon Fotos auf, die den jungen Mann auf dem Fensterbrett sitzend zeigen. Die Szenerie soll auch gefilmt worden sein. „Dagegen werden wir mit aller Konsequenz vorgehen“, kündigte der ebenso entsetzte Jugendamtsleiter des Landratsamtes, Dirk Nowosatko, an.

15-Jähriger litt nach Flucht an psychischen Problemen

Der Jugendliche sei am 25. April dieses Jahres in die Obhut des hiesigen Jugendamtes gekommen, in dessen Auftrag das MBZ die Einrichtung in Schmölln betreibt. Eingereist nach Deutschland sei das Opfer, dessen Name aufgrund des derzeitigen Ermittlungsstandes noch geheim halten wird, am 31. März dieses Jahres per Flugzeug aus der Schweiz auf dem Flughafen Frankfurt/Main. Hinter ihm habe eine Fluchtodyssee gelegen, die ihn aus Somalia über den Sudan, Libyen, die Sahara über die bekannte Flüchtlingsroute über das Mittelmeer gen Europa geführt hatte. „Er war traumatisiert und hatte psychische Probleme“, sagte Jugendamtschef Dirk Nowosatko.

In Schmölln, wo in der Einrichtung bis zu zwölf Minderjährige aufgenommen werden können, sei er mehrfach auffällig geworden und war wiederholt in psychiatrischer Behandlung. „Er konnte sehr ausgeglichen und integriert sein, aber auch sehr aggressiv gegen sich, Gegenstände, Betreuer oder Mitbewohner“, ergänzte David Hirsch. Deshalb sei er am Donnerstag in die Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landesfachkrankenhauses nach Stadtroda gebracht worden, wo er am Freitag von einem der in Schmölln beschäftigten Betreuer wieder abgeholt wurde.

Helfer ringen eine Stunde um das Leben des Jungen

Keine Stunde später ist es zu der Tragödie gekommen. Circa eine Stunde habe der Jugendliche in rund 15 Metern Höhe auf dem Fensterbrett seines Zimmers im fünften Stock des Plattenbaus gesessen und seinen Suizid angedroht. „Der Notarzt sowie eine Betreuerin waren in seinem Zimmer, in dem er einzeln untergebracht war, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Aber er ließ sie nur bis auf ein paar Meter Abstand heran und drohte immer wieder, in die Tiefe zu springen“, schilderte Nowosatko weiter. Auch die Rettungs- und Hilfsdienste auf der Straße versuchten, den jungen Mann von seinem Vorhaben abzubringen. Die mit rund 15 Kameraden herbeigeeilte Feuerwehr Schmölln hatte zudem ein Sprungtuch ausgebreitet. Schaulustige aus der 12.000-Einwohnerstadt verfolgten das rund einstündige Ringen um das Leben des jungen Mannes inmitten des Plattenbaugebiets.

Von Jörg Wolf und Frank Prenzel


 

 

Hinweis zum Thema Suizid und Freitod

Wegen der wissenschaftlich belegten Nachahmerquote nach Selbsttötungen, dem sogenannten Werther-Effekt, verzichtet die LVZ in der Regel auf Berichterstattung bei Suiziden. Da durch die Umstände in Schmölln jedoch ein öffentliches Interesse an Aufklärung derselben besteht, haben wir uns entschieden, über den Todesfall zu berichten.

Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.