Verstörende Naivität

Erstveröffentlicht: 
17.10.2016

6000 Besucher können sich in der Schweiz zu einem Neonazi-Konzert versammeln: Das darf nicht einfach hingenommen werden.

 

Es sei ein «friedlicher Anlass» gewesen, sagt der Betreiber der Halle in Unterwasser SG, in der sich am Samstagabend bis zu 6000 Besucher zu einem Neonazi-Rockkonzert getroffen hatten. Die Teilnehmer hätten sich gesittet verhalten und am Ende des Konzerts ordentlich den Abfall eingesammelt. Auch die St. Galler Kantonspolizei kommt zum Schluss: «Alles lief gesittet ab.» Das Konzert sei ein «Privatanlass» gewesen, deshalb habe man die Halle nicht betreten. Nochmal alles gut gegangen also? Mitnichten.

 

Das Konzert in Unterwasser war mutmasslich der grösste Neonazi-Aufmarsch, der je in der Schweiz stattgefunden hat. Und auch europaweit gehört der Anlass zu den grösseren Rechtsextremen-Treffen der letzten Jahre. Wer der Meinung ist, man soll es am besten ignorieren, wenn sich solches Gesindel in einer Turnhalle zusammenrottet und unter sich bleibt, werfe einen Blick auf die aufgetretenen Bands und deren Texte. Der Rapper MakSS Damage singt zum Beispiel in seinem Lied «Arabisches Geld»: «Ich leite Giftgas lyrisch in Siedlungen, die jüdisch sind.» Und von der Band Stahlgewitter stammen die Zeilen: «Ich weiss, dass Ihr sie nie vergesst: Ruhm und Ehre der Waffen-SS.»

 

Wenn deutsche Neonazis mitten in der Schweiz vor Tausenden Rechtsextremen solche NS-Hetze betreiben können, ohne dass dies irgendeine Konsequenz hat, läuft etwas falsch. Wenn aus Unterwasser keine Lehren gezogen werden, besteht die Gefahr, dass die Schweiz als Aufmarschgebiet für deutsche Neonazis noch beliebter wird. Die hierzulande von Behörden und Hallenvermietern wiederholt an den Tag gelegte Naivität im Umgang mit dem braunen Mob muss von diesem geradezu als Einladung verstanden werden.

 

Primär gefordert ist die Zivilgesellschaft. Die Antifa Bern hat gezeigt, wie ein solcher Anlass entlarvt werden kann. Die Organisation hat das Neonazi-Treffen in seiner ganzen Dimension publik gemacht und damit eine Debatte angestossen – während die Polizei das Ausmass der Veranstaltung runterspielte. Wer von ähnlichen Treffen erfährt, ist deshalb aufgerufen, dies publik zu machen.

 

Hallenvermieter und Gemeindevertreter sollten derweil noch genauer hinzuschauen, wem sie eine Lokalität überlassen und wem sie eine Bewilligung erteilen. Werden sie vom Veranstalter mit falschen Angaben getäuscht, sollten sie rechtliche Schritte ergreifen – auch wenn der Anlass von aussen her betrachtet «gesittet» über die Bühne gegangen ist.

 

Die Politik schliesslich muss sich fragen, ob eine strafrechtliche Lücke besteht. Denn offensichtlich genügt es, einen Anlass beliebiger Grösse zur privaten Veranstaltung zu erklären – um so zu verhindern, dass die Polizei mögliche Verstösse gegen das Antirassismusgesetz ahnden kann.