Neonazi-Schwemme in Unterwasser

 6000 Neonazis wurden von diesem Flyer ins Toggenburg gelockt. (PD)
Erstveröffentlicht: 
16.10.2016

6000 Rechtsextreme sind am Samstag ins Toggenburg an ein Konzert gereist und haben Unterwasser in Aufruhr versetzt. Die Polizei spricht von einem friedlichen Anlass, die Gemeinde ist konsterniert.

 

Sarah Gerteis/Roman Hertler

 

Rolf Züllig hat ein unruhiges Wochenende hinter sich. Der Gemeindepräsident von Wildhaus-Alt St.Johann war am Samstag an einem Fussballmatch im Rheintal, als plötzlich sein Handy klingelte. Ein «besorgter Bürger» habe ihm geschildert, was gerade in Unterwasser passiere: Hunderte Autos, Busse und Cars waren unterwegs ins Obertoggenburg und verstopften die Strassen. Darin sassen keine gewöhnlichen Touristen, sondern Neonazis. Viele Neonazis – vor allem aus der ehemaligen DDR, wie Augenzeugen berichten. Sie waren gekommen, um in der Tennis- und Eventhalle an einem der grössten Neonazi-Anlässe der letzten Jahre im deutschen Sprachraum teilzunehmen, wie Szenekenner bestätigen.

Züllig war alarmiert, kontaktierte die St.Galler Kantonspolizei und fuhr zurück ins Toggenburg. Dort bestätigte sich, was ihm zugetragen worden war. Rund 6000 «unverkennbare» Neonazis hatten Unterwasser quasi überschwemmt, um sich die Auftritte der deutschen Rechtsrockbands Stahlgewitter und Frontalkraft sowie den Schweizer Genrevertreter Amok anzuhören. Zusammen mit der Kantonspolizei St.Gallen sorgte die Gemeinde für Schadensbegrenzung: «Wir haben vor allem auf den Verkehr geachtet», sagt Züllig. Ein umfassenderes Dispositiv sei so schnell nicht zu organisieren gewesen.

Zynischer Gruss der «Reichsmusikkammer»

 
Wie aber konnte es so weit kommen? Vor ein paar Wochen sei die Gemeinde von einem Mann aus dem Zürcher Oberland kontaktiert worden, erzählt Züllig. Er habe angegeben, ein Konzert veranstalten zu wollen, und bat die Gemeinde um das nötige Gastwirtschaftspatent. «Der Mann sprach von einem Anlass mit jungen Schweizer Bands – und von 600 bis 800 erwarteten Besucherinnen und Besuchern», sagt der Gemeindepräsident. Die Tickets verkaufe man nur im Familien- und Freundeskreis der Bands, so der Veranstalter.

Doch statt jungen Schweizer Bands kamen Rechtsrock-Szenegrössen ins Toggenburg, statt Familien und Freunden carweise Rechtsextreme. Die Besucher hatten sich gut organisiert: Sie waren mittels Flyer dazu aufgerufen worden, sich im Raum Ulm bereit zu halten und bekamen die Infos zum Anlass via Telefon. Auf dem Flyer aufgedruckt war zudem ein zynischer Gruss der «Reichsmusikkammer». Diese Institution war in der Zeit des Dritten Reiches für die Förderung und «Reinigung» deutscher Musik sowie für die Verbannung «entarteter» Musik aus der Öffentlichkeit zuständig.

Dass in seiner Gemeinde der grösste Neonazi-Anlass der Schweiz stattgefunden hat, sei «sehr unschön und unangenehm», sagt Rolf Züllig. «Ich bin vor allem froh, dass nichts passiert ist.» Die Besucher hätten sich gesittet verhalten, die Veranstalter hätten die Auflagen erfüllt und sogar Leute organisiert, die den Abfall eingesammelt haben. Um 2 Uhr sei das Konzert zu Ende, um 4 Uhr «der Spuk» vorbei gewesen. Züllig stellt aber klar: «Das legitimiert den Anlass jedoch in keiner Weise.»

Dass es zu keinen Zwischenfällen gekommen ist, bestätigt Beat Frischknecht, Manager der Tennis- und Eventhalle. Er sei in der Halle gewesen, habe sie aber schnell wieder verlassen, weil die Musik nicht seinem Geschmack entsprochen habe. Von der rechtsextremen Ausrichtung der Veranstaltung distanziert er sich: «Darüber habe ich im Vorfeld keine Hinweise erhalten.». Er sei denn auch von den Veranstaltern enttäuscht, die zwar nicht gelogen, ihm aber Informationen vorenthalten und lediglich ein «Rocktoberfest» angekündigt hätten. Künftig werde er sicher keine solchen Anlässe mehr zulassen, auch wenn alles friedlich abgelaufen sei.

Die St.Galler Kantonspolizei spricht ebenfalls von einem friedlichen Anlass. «Vor der Halle war nicht viel los», sagt Polizeisprecher Markus Rutz. «Der Anlass war von der Grösse her mit der Rema vergleichbar. Wir haben ein entsprechend grosses Dispositiv aufgeboten.» Zur politischen Gesinnung der Konzertbesucher äussert sich die Polizei nicht. Es sei ein Privatanlass gewesen, deshalb habe man die Halle nicht betreten.

Ein schwacher Trost für den Gemeindepräsidenten

 
Dass es nur zu Verkehrsbehinderungen und zu Reklamationen wegen Urinierens in der Öffentlichkeit gekommen ist, ist für Rolf Züllig ein schwacher Trost. Einen Reputationsschaden befürchtet er aber nicht: «Die Touristen haben am Sonntagmorgen nichts vom Anlass gemerkt, und es wäre auch falsch, das Toggenburg nun mit der Neonazi-Szene in Verbindung zu bringen.» Die Ereignisse will er dennoch aufarbeiten und mit den Beteiligten zusammensitzen. «Ich wüsste nicht, was man uns vorhalten könnte – ausser vielleicht eine gewisse Naivität bei der Erteilung des Gastwirtschaftspatents. Uns den Vorwurf zu machen, bewusst einen Neonazi-Anlass zu bewilligen, ist eine bösartige Unterstellung.»