Unter Geysiren

Erstveröffentlicht: 
15.04.2010

Medientagebuch von Jan Jirát


Auch JournalistInnen haben ihre Traumdestinationen. Wer auf Fussball steht, träumt von Barcelona oder Schaffhausen (das nennt sich dann Albtraum), wer Kunst liebt, von New York oder London, und Modebegeisterte zieht es nach Paris oder Mailand. Das könnte sich bald ändern. Ein Land, das bisher allenfalls für Musik- oder ReisejournalistInnen von Interesse war, schickt sich nämlich an, zu einer Oase des investigativen Journalismus zu werden.


Island steht kurz davor, ein neues Mediengesetz zu verabschieden, das die nordatlantische Insel zu einer Art Freihafen der internationalen Publizistik machen könnte. Das Gesetz soll künftig Informationsfreiheit, freie Meinungsäusserung sowie einen umfassenden Quellenschutz garantieren. Vor allem sogenannte Whistleblower, die Missstände, Korruption oder illegalen Handel publik machen, sollen besser geschützt werden. Gleichzeitig sollen die gedruckte Presse und Onlinepublikationen vor ruinösen Verleumdungsklagen bewahrt werden. Island wäre das pressefreundlichste Land der Welt.

Wegbereiter dieses Mediengesetzes ist die Icelandic Modern Media Initiative (IMMI) - eine unabhängige und parteiübergreifende politische Bewegung, die von internationalen ExpertInnen unterstützt wird. Die IMMI hat dem isländischen Parlament Mitte Februar einen Entwurf des Mediengesetzes vorgelegt; zehn Tage später hat das Parlament dem Entwurf ohne Gegenstimmen zugestimmt. Nun muss die Regierung ein Gesetz ausarbeiten.

Das neue Mediengesetz entsteht nicht zufällig in Island. Begonnen hat alles 2004, als die damalige Regierung unter Ministerpräsident David Oddsson die vollständige Liberalisierung des Finanzplatzes beschloss. Das führte im Herbst 2008 beinahe zum Staatsbankrott. Im Sommer darauf gelangte ein interner Bericht der damals grössten isländischen Bank Kaupthing an die Website Wikileaks, der schockierende Details über die Machenschaften von zuständigen Bankerinnen und Politikern enthielt: Als die Bank bereits verstaatlicht, ihr Zusammenbruch aber gleichwohl nur noch eine Frage der Zeit war, wurden in aller Eile ungedeckte Kredite in Höhe von fünf Milliarden Euro an Begünstigte vergeben. Als das staatliche Fernsehen diese brisanten Details im Juli 2009 veröffentlichen wollte, verhinderte Kaupthing das mit einer gerichtlichen Verfügung. Die ZuschauerInnen bekamen damals statt eines Berichts die Internetadresse von Wikileaks zu sehen, wo der Bericht für alle zugänglich war.

 

Das neue Gesetz könnte Island zum Freihafen der internationalen Publizistik machen.

 

Der Kaupthing-Skandal ebenso wie der drohende Staatsbankrott haben bei den IsländerInnen das Bedürfnis nach einer freien Berichterstattung geweckt. Während andere Länder, die wirtschaftlich von ihrem Finanzplatz abhängig sind, so weiterfahren, als hätte es die Wirtschaftskrise nicht gegeben, ist in Island Anfang dieser Woche ein 2000 Seiten umfassender, unabhängiger Untersuchungsbericht zur verheerenden Allianz von Banken und Regierung erschienen. Das Land ist bereit, sich neu zu definieren: als "Schweiz der Bits", wie es die deutsche "tageszeitung" formulierte, wo statt Schwatzgeldkonti eben relevante Daten sicher aufbewahrt sind.

Neben der neu entdeckten Liebe für den Qualitätsjournalismus liegen der Idee des neuen Mediengesetzes aber auch handfeste ökonomische Überlegungen zugrunde: Internationale Medienunternehmen sollen künftig von Island aus operieren. Die Infrastrukturen sind vorhanden: Die Insel besitzt moderne Glasfaserkabel nach Europa und Amerika, und die benötigte Energie wäre dank Wasser- und Windkraft sowie Geothermie sogar emissionsfrei vorhanden. Ausserdem weisen die IsländerInnen einen hohen Bildungsgrad auf und beherrschen in der Regel die unverzichtbare englische Sprache.

Noch steht das Gesetz nicht, und doch zieht es bereits die ersten Organisationen auf Island ins Asyl: Die Autonome Antifa Freiburg hat letzte Woche in einem Communiqué verlauten lassen, ihren bisherigen Provider gegen einen isländischen auszutauschen, um so der "wiederholten Zensur durch die politische Polizei" zu entgehen.