Schweiz prüft Auslieferung von rechtsextremem V-Mann

Erstveröffentlicht: 
08.09.2016

Der Neonazi Ralf Marschner gilt als wichtiger Zeuge in den NSU-Ermittlungen. Trotzdem zeigte die sächsische Justiz wenig Ehrgeiz, seine Auslieferung zu erreichen.

 

Er ist einer von vielen: Rund 148.000 Menschen laufen frei herum, obwohl in Deutschland ein Haftbefehl gegen sie vorliegt. Bis der vollstreckt wird, vergehen häufig Monate. Bei dem Zwickauer Neonazi Ralf Marschner sind inzwischen allerdings sogar fast vier Jahre daraus geworden. Und das, obwohl der langjährige V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz als Schlüsselfigur im Umfeld des rechtsterroristischen NSU gilt. 

 

Marschner hatte dem Verfassungsschutz jahrelang Informationen aus Zwickau geliefert. Eben dort versteckten sich die Mitglieder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe während ihrer Mordserie, bis sie sich im Herbst 2011 selbst enttarnten. Erst kürzlich haben Zeugen vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag bestätigt, sie hätten Mundlos in einer Baufirma Marschners und Zschäpe in einem Zwickauer Szeneladen des gut vernetzten Neonazis gesehen. 

 

Doch Marschners Bedeutung für die NSU-Ermittlungen war für die sächsische Justiz fast vier Jahre lang kein Grund, sich um die Vollstreckung seines Haftbefehls zu bemühen. Marschner hatte einen Strafbefehl wegen Insolvenzverschleppung nicht bezahlt. Deshalb sollte er die Strafe ersatzweise im Gefängnis absitzen. Ein Haftbefehl wurde verhängt. Doch Marschner hatte sich in die Schweiz abgesetzt. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Chemnitz bemühte sich erst gar nicht um eine Auslieferung des Neonazis, obwohl dessen Wohnort bekannt war. Die Begründung des sächsischen Justizministeriums: Insolvenzverschleppung sei in der Schweiz nicht strafbar, deshalb sei der Antrag aussichtslos. 

 

Ein "sehr wichtiger Zeuge"


Nun allerdings hat das Landesjustizministerium doch Marschners Auslieferung beantragt. Das sagte ein Sprecher des Ministeriums ZEIT ONLINE. Das Auslieferungsersuchen liegt inzwischen beim Schweizer Bundesamt für Justiz. Dort werde es zurzeit geprüft, teilte der Sprecher des Bundesamts in Bern, Folco Galli, ZEIT ONLINE mit. 

 

Die neue Entwicklung interessiert auch den Untersuchungsausschuss im Bundestag. Der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger hält Marschner für einen "sehr wichtigen Zeugen". Denn er könne Antwort auf eine Frage geben, die bislang unbeantwortet im Raum stehe: "Kann es wirklich sein, dass das NSU-Trio zehn Jahre unentdeckt in Zwickau gelebt hat?" Der langjährige V-Mann Marschner habe schließlich eine ganze Reihe von Schlüsselfiguren aus der dortigen rechten Szene und dem NSU-Umfeld persönlich gekannt.  

 

Erfolgschancen des Auslieferungsantrags umstritten


"Wir haben sehr glaubwürdige Zeugenaussagen, wonach Marschner in seinem Bauservice Uwe Mundlos beschäftigt und Beate Zschäpe in seinem Laden Zugang zum Computer hatte", sagt Petra Pau, die Obfrau der Linksfraktion im Untersuchungsausschuss. Sie kritisiert, dass das Auslieferungsersuchen "extrem spät" komme. Die sächsische Justiz habe erstaunlich wenig Interesse an einer ernsthaften Strafverfolgung Marschners gezeigt. Auch das werfe Fragen auf. 

 

Ob die Schweiz den sächsischen Neonazi tatsächlich an die deutsche Justiz überstellt, ist ungewiss. Das Landesjustizministerium in Dresden scheint nach wie vor nicht an eine Auslieferung zu glauben. Im August teilte es auf Anfrage der Linksfraktion im sächsischen Landtag mit, der Auslieferungsantrag diene in erster Linie dazu, eine Verjährung des Strafbefehls gegen Marschner zu verhindern. Denn der würde im Sommer 2017 verfallen, dann könnte der Neonazi nach Deutschland zurückkommen, ohne die Strafe zahlen oder ins Gefängnis gehen zu müssen. Ein Auslieferungsantrag hingegen verlängert die Verjährungsfrist, selbst wenn er erfolglos bleibt. 

 

Der Untersuchungsausschuss im Bundestag prüft inzwischen auch andere Möglichkeiten, den rechtsextremen Ex-Spitzel als Zeugen zu befragen. Allerdings müssten der Aufwand und die Hürden in einem vernünftigen Verhältnis zum Erkenntnisgewinn stehen, sagt Ausschusschef Binninger. Sollte die Schweiz eine Auslieferung ablehnen, sei eine Vernehmung Marschners in der Schweiz denkbar, "sofern das rechtlich und diplomatisch möglich wäre". Denn auch dieser Variante müssten die Schweizer Behörden erst einmal zustimmen.