Leipziger Lehrerin berichtet über Fremdenhass unter Schülern

Erstveröffentlicht: 
24.08.2016

Manchmal erfolgen die Provokationen offen, viel öfter aber versteckt. „Es gibt Schüler, die bei Facebook die NPD liken und Flüchtlinge mit Schweinen gleichsetzen“, berichtet eine Leipziger Lehrerin . Ein neues Modellprojekt in Sachsen soll den Pädagogen nun beim Kampf gegen Fremdenhass Hilfe bieten.

 

In Zeiten von Social Media verbreiten sich auch Unwahrheiten rasant. Berufsschullehrerin Katrin S. aus Leipzig hat es selbst erlebt: „Eines Tages kamen meine Schüler aufgeregt zu mir. Flüchtlinge sollten einen Supermarkt überfallen haben. Das wurde auf Facebook gepostet und mir unter die Nase gehalten“, schildert die 35-Jährige, die an ihrer Schule unter anderem Gemeinschaftskunde unterrichtet. Dass die Nachricht so gar nicht stimmte, war schnell vergessen. Die Pädagogin sieht in der raschen Verbreitung ungeprüfter Meldungen eine großes Problem: „Das hat sich in den letzten Jahren verschärft und erschwert eine richtige Reaktion von uns Lehrern.“

 

Auf der Höhe der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 fielen nicht nur im Internet die Hemmschwellen. Man kann sich gut vorstellen, dass auch in den Familien beim Abendessen viel über Asyl gesprochen wurde. Die Schüler nehmen die Argumente ihrer Eltern mit in den Unterricht oder machen sich auf die im Netz verbreiteten Ängste selber einen Reim. Katrin S. schätzt ein, dass die meisten ihrer Schüler Flüchtlingen ablehnend gegenüberstehen. Wenngleich sie in all den Jahren ihres Berufslebens nur einen erkennbaren Neonazi in der Klasse hatte - der Ton gegenüber Fremden sei rauer geworden: „Es gibt Schüler, die bei Facebook die NPD liken und Flüchtlinge mit Schweinen gleichsetzen.“ 

 

„Schüler glauben, auf jeden Einwohner in Leipzig kommt ein Flüchtling“


Katrin S. spürt besonders bei Mädchen eine Abneigung gegenüber Geflüchteten. „Gerade wenn sie aus Berufen kommen, wo wenig Lehrlingsgeld gezahlt wird und viele Überstunden fällig sind. Sie haben Angst, dass es ihnen künftig noch schlechter geht und halten Flüchtlingen vor, Geld zu kassieren, ohne etwas zu leisten“, sagt die Lehrerin. Auch eine unter Jugendlichen weit verbreitete Ahnungslosigkeit hat sie ausgemacht. Schüler ihrer Klasse glaubten, dass auf einen Einwohner in Leipzig ein Flüchtling kommt - obwohl ihr Anteil viel geringer ist.

 

Um Lehrer bei diesem Thema fit zu machen und Argumente an die Hand zu geben, hat die Robert Bosch Stiftung das Programm „Starke Lehrer, Starke Schüler“ aufgelegt. Es läuft derzeit als Modellprojekt in Sachsen und soll später auch in anderen Bundesländern angeboten werden. „Damit möchten wir Lehrer qualifizieren, mit rechtsextremen und rechtsaffinen Jugendlichen angemessen umzugehen und das in ihrer jeweiligen Schulart“, erklärt Ottilie Bälz. Sie verantwortet bei der Stiftung den Bereich Gesellschaft. Dass Berufsschullehrer besonders im Fokus stehen, sei kein Zufall: „Sie haben die letzte Möglichkeit, auf schulischem Wege an die betroffenen Jugendlichen heranzukommen.“ 

 

Pädagogen schweigen aus Unsicherheit häufig


Sachsen habe man nicht ausgewählt, weil das Problem hier besonders groß wäre, sagt Bälz. „Es ist überall in Deutschland relevant.“ Bei diversen Projekten zur politischen Bildung habe die Stiftung bemerkt, dass Berufsschulen noch ein weißer Fleck seien: „Fremdenfeindliche Tendenzen gibt es nicht dort gehäuft, wo die Bevölkerung besonders heterogen ist und der Ausländeranteil hoch liegt. Vielmehr existieren sie dort, wo Menschen wenig Kontakt mit Fremden haben“, erklärt Bälz: „Wenn man im Alltag Menschen aus anderen Kulturen erlebt, ist die Angst vor dem Fremden geringer als wenn ein solches Erleben fehlt und Informationen nur aus dem Netz bezogen werden.“

 

Bälz berichtet davon, dass Lehrer bei fremdenfeindlichen oder rechtsextremen Parolen häufig aus Unsicherheit schweigen und die Provokationen einfach übergehen: „Viele wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen und sind froh, wenn die betreffenden Schüler den Unterricht nicht weiter stören. Da niemand eine Grenze setzt, werden solche Aussagen und Handlungen immer selbstverständlicher.“ Mit dem Programm „Starke Lehrer, Starke Schüler“ wolle man ein Problembewusstsein schaffen und anhand ganz konkreter Situationen üben, wie Lehrer auf entsprechende Äußerungen reagieren können.

 

„Oft findet man auch die Burgfriedensstrategie“, sagt Stefan Breuer, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institutes für Politikwissenschaften an der TU Dresden am Projekt beteiligt ist. Wer diese Haltung habe, sei bereit, rechtsextreme Einstellungen solange zu ignorieren, wie sie keine massive Störung des Unterrichtsablaufs darstellten. Wichtig für sei das Berufsverständnis der Lehrer. „Für manche Lehrer ist ein erfolgreicher Abschluss der Schüler das höchste Anliegen. Lehrer, die darüber hinaus den Bildungs- und Erziehungsauftrag umfassender wahrnehmen, argumentieren eher gegen rechtsextreme Äußerungen und handeln in entsprechenden Situationen.“ 

 

Leipziger Lehrerin will nicht umpolen, aber Denkanstöße liefern


Katrin S. ordnet sich der zweiten Gruppe zu: „Schon in der ersten Stunde werden Regeln aufgestellt. Die Schüler pochen sehr auf ihre Meinungsfreiheit. Ich mache ihnen klar, dass Meinungsfreiheit dort endet, wo Menschen nicht mehr als Menschen bezeichnet und mit Schweinen verglichen werden.“ Die Leipziger Lehrerin weiß, dass ihre Argumente nicht bei allen fruchten: „Wenn ich einen Schüler habe, der rechts denkt, dann werde ich ihn nicht umpolen können.“ Dennoch bleibe auch in solch einem Fall die Hoffnung, zumindest ein paar Denkanstöße geliefert zu haben.

 

Nach Schätzungen sympathisieren in Sachsen etwa 20 Prozent der Berufsschüler mit rechtsextremen Gedankengut. „Rechtsextremismus ist in der Regel keine Durchgangsphänomen. Man sollte nicht davon ausgehen, dass rassistische Vorurteile und menschenfeindliche Einstellungen von allein verschwinden“, sagt Breuer. Deshalb seien die Pädagogen als kritische Diskussionspartner und Rollenvorbilder für demokratisches Engagement besonders wichtig.