Körperliche Angriffe auf Verbindungsstudenten, ein beschmiertes Verbindungshaus und brutale Auseinandersetzungen am Rande einer Demonstration: In Göttingen droht der schwelende Konflikt zwischen der linksextremen Szene und mutmaßlichen Rechtsextremisten immer weiter zu eskalieren. Bisheriger negativer Höhepunkt waren am vergangenen Sonntag die Gewaltausbrüche linker Gegendemonstranten am Rande einer rechten Kundgebung. Dabei wurden sieben Polizeibeamte zum Teil so schwer verletzt, dass sie bis auf Weiteres dienstunfähig sind.
Linke Szene will rechte Veranstaltungen stoppen
Der Göttinger Polizeichef Thomas Rath vermutet, dass die Häufung der linken Gewalttaten mit einer höheren Frequenz von rechten Kundgebungen zusammenhängt. Vor der Kommunalwahl würden der "Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen" und die NPD in der Stadt bewusst Präsenz zeigen - auch um zu provozieren. "Für die Mitglieder des linksextremen Spektrums ist das ein Stich ins Herz", sagte Rath NDR.de. "Aus ihrer Sicht haben die Rechten in der Stadt nichts zu suchen. Ihr Ziel ist es daher, deren Veranstaltungen mit allen Mitteln zu verhindern und dabei schrecken sie auch vor Gewalt nicht zurück." Die Stimmung in Göttingen sei mittlerweile hochexplosiv und würde sich weiter hochpeitschen.
Polizisten als Stellvertreter für den Feind
Mit großer Besorgnis nimmt Rath zur Kenntnis, dass immer häufiger auch Polizeibeamte zum Angriffsziel der Gewalttäter werden. "Wenn wir zum Beispiel bei einer Demonstration rechte und linke Gruppen voneinander trennen, müssen meine Kollegen regelmäßig als eine Art Stellvertreter für den politischen Gegner herhalten", beklagt der Polizeichef. Die Beamten würden zum Teil aufs Übelste beschimpft und wie am vergangenen Sonntag auch körperlich angegangen. "Der Hass und die menschenverachtenden Anfeindungen, die den einschreitenden Kollegen - auch schon deutlich vor ihrem Einsatz innerhalb der Versammlung - entgegengeschlagen sind, hat mich sprachlos gemacht", schreibt Rath in einem offenen Brief. Die "hochemotionale Aggressivität" vieler Kundgebungsteilnehmer ignoriere die gesellschaftliche Rolle der Polizei völlig.
Rath wehrt sich gegen Vorwürfe
Auch zu dem Vorwurf der Gegendemonstranten, dass die Polizei immer brutaler werde, bezieht Rath deutlich Stellung. "Wenn man es der Polizei tatsächlich als Provokation auslegt, dass sie in rechtmäßiger Amtsausübung versucht, Straftäter festzunehmen und potentielle Depots von Wurfgeschossen auszuheben, ist in meiner Wahrnehmung etwas aus den Fugen geraten", so Rath. Das sei ein Widerspruch, den er nicht auflösen könne. Unabhängig davon kündigte er aber an, den Einsatz am Sonntag "selbstkritisch und professionell" nachzubereiten, denn auch Polizisten seien Menschen und würden Fehler machen.
Aufruf zu Abgrenzung von Gewalt
Äußerst problematisch ist aus Sicht von Rath, dass sich zum Beispiel bei Gegendemonstrationen des Göttinger "Bündnisses gegen Rechts" die linksextremen Gewalttäter in der bürgerlichen Masse verstecken könnten. Rath appelliert an die friedlichen Teilnehmer, sich im Falle einer Eskalation nicht nur inhaltlich, sondern auch räumlich von den gewaltbereiten Linksextremisten zu distanzieren. Er frage sich ernsthaft, "wie lange es sich eine Gesellschaft leisten kann, diejenigen, die bei Amok- und Anschlagszenarien ihren Kopf hinhalten sollen, mit Tomaten, Zwiebeln und Flaschen zu bewerfen, nur weil sie ihrem verfassungsrechtlichen Auftrag nachkommen".