Polizei schneidet jahrelang Telefonate mit

Erstveröffentlicht: 
03.08.2016

In der Thüringer Polizei sind jahrelang heimlich Telefonate mitgeschnitten worden. Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN wurden seit 1999 offenbar zehntausende von Gesprächen automatisch aufgezeichnet. Dies geschah ohne Wissen und Zustimmung der Gesprächsteilnehmer. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.


Aus vertraulichen Unterlagen, die MDR THÜRINGEN vorliegen, geht hervor, dass Telefonate von internen Diensttelefonen in den verschiedensten Bereichen der Polizeibehörden aufgezeichnet wurden. Betroffen sind die Landespolizeidirektion, das Landeskriminalamt, die sieben Landespolizeiinspektionen und alle Polizeiinspektionen. Außerdem sollen Gespräche von außerhalb in die Dienststellen mitgeschnitten worden sein, so unter anderem auch Anrufe von Staatsanwälten. Nach MDR THÜRINGEN-Recherchen besteht darüber hinaus der Verdacht, dass auch Gespräche mit Rechtsanwälten, Justizbeamten, Sozialarbeitern, Journalisten oder anderen Personen mitgeschnitten wurden, die dienstlich interne Nummern der Thüringer Polizei anriefen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits seit Frühjahr zur Abhörtätigkeit der Polizei. Nach Angaben einer Sprecherin hatten zwei Thüringer Staatsanwälte Anzeige erstattet. Konkret richtet sich das Verfahren gegen einen ehemaligen Verantwortlichen des Innenministeriums.

Staatsanwalt stellte Nachforschungen an

 Aufgeflogen ist das Ganze durch einen Staatsanwalt im Frühjahr dieses Jahres. Er hatte bei Nachforschungen festgestellt, dass dienstliche Telefonate, die er mit einer Ostthüringer Polizeidienststelle führte, mehrfach ohne sein Wissen und seine Zustimmung mitgeschnitten wurden. Er beschwerte sich bei der Thüringer Polizeiführung, die danach die Praxis Anfang Juli gestoppt haben soll. Hintergrund der jahrelangen Abhöraktion ist ein Erlass des Thüringer Innenministeriums vom August 1999. Nach diesem wurde in allen Thüringer Polizeidienststellen eine automatisierte Mitschnittfunktion von bestimmten internen Nummern installiert. Der mitgeschnittene Anruf wurde auf einem Voicestream, also einer elektronischen Aufzeichnung gespeichert. Bisher ist unklar, wer dann entschieden hat, welche der Aufzeichnungen weiter gespeichert oder gelöscht wurde.

Innenministerium hatte Praktiken dementiert

Auch ist bisher nicht geklärt, wo die Daten gespeichert wurden. In einem internen Papier heißt es, dass die nicht relevanten Gespräche nach 180 Tagen gelöscht wurden. Allerdings heißt es auch, dass über die nichtgelöschten Telefonate "Vermerke angefertigt und Verfahren zugeordnet" wurden. Welche Verfahren das sind und wo sich die Akten befinden, bleibt vorerst ebenfalls unklar. Anfang 2013 war bekannt geworden, dass die Telefonanlagen in der Thüringer Polizei eine Mitschnitt-Funktion haben. Diese ermöglicht es, Gespräche die über diese Apparate geführt werden, aufzuzeichnen und zu speichern. Gleichzeitig haben sie auch die Funktion, Gespräche in einem Raum abzuhören. Das Thüringer Innenministerium hatte damals erklärt, dass es keine Mitschnitte über diese Telefone gebe.

Politiker fordern Aufklärung

Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag, Steffen Dittes, beklagte die Abhöraktion. Es sei massenhaft in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen worden. Dittes sagte MDR THÜRINGEN, es sei beruhigend, dass unter der rot-rot-grünen Landesregierung die Polizeiführung die Aufzeichnung gestoppt habe. Es sei nun Aufgabe des Innenministeriums, den Umfang von rechtswidrigen Gesprächsaufzeichnungen aufzuklären. Der innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Wolfgang Fiedler, sprach von einem "gravierenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte". Er forderte eine gründliche Aufklärung. Die CDU-Fraktion werde das Thema auf die Tagesordnung des nächsten Innenausschusses setzen.


Einstiger Datenschutzbeauftragter wusste von Aufzeichnungspraxis

Thüringens derzeitiger Datenschutzbeauftragte Lutz Hasse äußerte sich zurückhaltend. MDR THÜRINGEN sagte er, sollten sich die Informationen bewahrheiten, habe es offenbar Datenschutz-Verstöße in Hülle und Fülle gegeben. Sein Amtsvorgänger Harald Stauch musste sich bereits Ende der Neunzigerjahre mit dem Fall befassen. Laut Tätigkeitsbericht hatte er zusammen mit der Polizei die Dienstanweisung "Aufzeichnung von Telefongesprächsinhalten in der Thüringer Polizei" erarbeitet. Die in Kraft getretene Fassung habe seine "datenschutzrechtlichen Forderungen und Anregungen weitgehend berücksichtigt",  hieß es damals. Details werden in dem Tätigkeitsbericht für die Jahre 1998/99 nicht genannt.

Mitschnitte nur mit richterlicher Genehmigung

Grundsätzlich dürfen Telefone von der Polizei nur abgehört werden, wenn ein Richter das anordnet. In Notfällen, wie bei einer schweren Straftat oder bei der Ortung von Vermissten, darf der Leiter einer Polizeibehörde das Anzapfen des Telefons anweisen. Er muss sich das aber im Nachgang von einem Richter bestätigen lassen. Hintergrund dafür ist das Thüringer Polizeiaufgabengesetz. Zu diesem erstattet die Landesregierung jedes Jahr einen Bericht. In diesem wurde aber bisher das massenhafte Mittschneiden von internen und externen Gesprächen auf Polizeitelefonen nicht vermerkt. Darüber hinaus werden, laut Gesetz, nur Notrufe über die Nummern 110 bei der Polizei offiziell aufgezeichnet.