Kommentar zur Rigaer Straße: Für Henkel geht es um die politische Zukunft

Erstveröffentlicht: 
15.07.2016

Die Lage für Innensenator und CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel ist nach dem Gerichtsurteil zur Rigaer Straße ungemütlich bis bedrohlich, es gibt Rücktrittsforderungen der Opposition und auch der Koalitionspartner SPD ist not amused. Aber die Lage für Henkel wäre auch ohne das desaströse, von ihm befürwortete Vorgehen der Polizei, die einer rechtswidrigen Räumung tatenlos zusah und sie flankierte, nicht viel besser. Das wird deutlich, wenn man die Frage stellt: mit welchen Themen aus seinem Leib- und Magengebiet Innere Sicherheit würde Henkel im Wahlkampf die Schlagzeilen erobern, wenn es die Rigaer Straße jetzt nicht gäbe? Womit risse er die potenziellen konservativen CDU-Wähler von den Sitzen und bewahrte sie vor den Verlockungen der AfD?


Schwache Bilanz

Die tausend Polizeistellen mehr, für die er sich eingesetzt hat, sind sicher beachtlich, aber hauptsächlich der verbesserten Einkommenssituation Berlins zu verdanken, die nach der Sparorgie von Rot-Rot dringenden Personalzuwachs wieder ermöglicht.

Dass Überwachungsvideos aus der U-Bahn jetzt 48 statt 24 Stunden gespeichert werden, ist auch kein Aufmacher und täuscht nicht darüber hinweg, dass sich die Kriminalität in der Stadt zwar in ihrer Struktur verändert hat, nicht aber, wie es Henkel, der hier seit 2011 „aufräumen“ wollte, gesunken ist.

Dass der Alexanderplatz videoüberwacht wird, vereitelte soeben die SPD. Vieles aus Henkels Amtszeit, das schon fast vergessen ist, etwa die mangels Rechtsgrundlage zunächst gescheiterte Räumung des von Flüchtlingen besetzten Oranienplatzes, macht sich in der Bilanz des Innensenators ebenso schlecht wie die jüngsten Schlagzeilen über eine möglicherweise scheiternde Abgeordnetenhauswahl.

Henkel kann und will nicht beidrehen

Kurz: Henkel braucht dringend durchschlagkräftige Themen, die Rigaer Straße ist eines und deshalb will und kann Henkel nicht beidrehen, so vernünftig es wäre. Er wird, wenn nicht noch schwerwiegende Details zu den Polizeieinsätzen bekannt werden, auch nicht zurücktreten, weil dies das Ende seine politischen Karriere bedeuten dürfte. Denn neben Rücktrittsforderungen von außen sieht sich Henkel in konservativen Teilen seiner Partei Nichtwieder-Antrittsforderungen für die Zeit nach der Wahl gegenüber, die noch am Wahlabend im September laut werden dürften. Einziges Mittel dagegen wäre ein überwältigendes Wahlergebnis für die Berliner CDU. Das ist nicht in Sicht.

Also macht Henkel weiter, streut Fehlinformationen über das Gerichtsurteil, das mitnichten nur aus formalen Gründen zustande kam und muss künftig den Spott aushalten, den Autonomen den Rechtsstaat zu predigen, selber seine Regeln aber, wenn es gerade politisch passt, großzügig auszulegen.

Deshalb wäre jetzt die Stunde, auf die Kanzlerin zu hören, die dem Senator mitten im Berliner Wahlkampf öffentlich Nachhilfeunterricht erteilte. Sie empfahl dem Berliner Parteifreund, es auf lokalem Niveau neben polizeilicher Härte auch mal mit Dialog zu versuchen. Auch Innenminister de Maziere gab Henkel öffentlich sachdienliche Ratschläge. Wenn Henkel also nicht in der Lage wäre, in der er ist, wäre jetzt eine Mischstrategie für die Rigaer Straße angesagt: Gespräche, wo möglich, Polizei, wo nötig.

Zerstörungsorgie wird weitergehen

Es wäre übrigens in Henkels Eigeninteresse. Denn wenn, wie zu erwarten, der Hauseigentümer auf dann ordentlicher Rechtsgrundlage die gerade wieder in ihre Keipe zurückgezogenen Besetzer endgültig mit Polizeihilfe rauswerfen lässt, werden die in und um die Rigaer 94 angedockten Autonomen ihre Zerstörungsorgien fortsetzen.

Jede Nacht brennende Autos, diese Erfahrung hat Henkel schon früher gemacht, hält man als Politiker nicht lange durch. Bei der letzten Brandserie hatte er Glück, dass ein verrückter Einzeltäter dingfest gemacht werden konnte, der für viele Brände verantwortlich war.

Die Autonomen, ein Haufen skrupelloser organisierter Krimineller, die sich selbst damit brüsten, Menschen mit ihnen nicht genehmen politischen Ansichten zu bedrohen, zu verletzen und zu terrorisieren, sind trotz eines riesigen Polizeiapparats und eines gerade mit neuen Planstellen versehenen Verfassungsschutzes jedoch offenbar weiter in der Lage, mit Kohlenanzündern auf Autoreifen und Pflastersteinen das politische Geschehen maßgeblich zu bestimmen. Mit ihnen wird man nicht reden können, sie wollen auch mit dem „Schweinesystem“ nicht reden.

Henkel und die Parteien sollten aber umgehend mit Anwohnern der Rigaer Gespräche aufnehmen, um Einfluss auf das Umfeld des harten Kerns der Gewalttäter zu gewinnen. In dem es neben erklärten Gegnern der anmaßenden Autonomengewalt im linksalternativen Milieu Friedrichshain-Kreuzbergs auch etliche gibt, für die ein brennendes Auto oder ein paar geworfene Pflastersteine zur linken Berliner Folklore gehören.

Konsens ist dort: Rechte Gewalt ist schlimm, linke bestenfalls halb so schlimm, und sie werde durch das Auftreten der Polizei mit verursacht: Keine Bullen, kein Krawall. Wenn Gespräche mit dialogfähigen Anwohnern zu etwas führen sollen, wird das aber nur gehen, wenn die Toleranz des linken Milieus gegenüber der Gewalt autonomer Spinner ein Ende hat.

Durchsichtige Ablenkungsstrategie

Da hat Henkel völlig Recht. Es ist zwar eine durchsichtige Ablenkungsstrategie, wenn die CDU jetzt wenig auf die fehlende Rechtsgrundlage für den Polizeieinsatz hinweist, sondern hauptsächlich auf den Umstand, dass der Rechtsanwalt des Hauseigentümers wegen massiver Drohungen der Autonomen sein Mandat niedergelegt hat. Aber der Hinweis wird nicht dadurch falsch, dass er von einer Partei im Wahlkampf gemacht wird. Dass solche Attacken in Berlin möglich sind und teilweise mit Schulterzucken hingenommen werden, ist unfassbar.

In den Erklärungen der Oppositionsparteien kaprizierte man sich jedenfalls lieber auf die Fehler der Polizei und Henkels. CDU-Fraktionschef Florian Graf will mit den anderen Fraktionen im Abgeordnetenhaus einen „Konsens gegen Linksextremismus“ vereinbaren. Das ist im Grundsatz eine gute Idee – wenn der Vorschlag nicht nur dazu gedacht ist, Linke und Grüne vorzuführen. Da aber die CDU und ihr Spitzenkandidat in der Lage sind, in der sie sind, wird es wohl keine ernsthafte Debatte geben – eine Debatte darüber, wie die viel beschworene Gemeinsamkeit der Demokraten, die gegen Rechts leidlich funktioniert, auch gegen ruchlose linke Gewalt zu erreichen ist.