Kommentar: Den Opfern helfen, den Tätern die Grenzen aufzeigen

Erstveröffentlicht: 
03.07.2016

 Es ist höchste Zeit, dass Übergriffe wie die in Weil am Rhein nicht nur als Streit gewertet werden, sondern dass der politische Hintergrund benannt und bekämpft wird.

 

Eine Familie wird über Monate hinweg rassistisch beschimpft. Eine Frau krankenhausreif geprügelt, Kinder bedroht. Die Rechtsextremen in der Region treten immer frecher auf. Das sind die traurigen Höhepunkte einer Entwicklung, die sich seit Monaten abzeichnet. Wer jetzt immer noch glaubt, das sei eine Randerscheinung und würde schon wieder vorbeigehen, wenn man sie nur ignoriert, der sollte jetzt endlich aufwachen. Es ist höchste Zeit, dass solche Vorfälle wie bei Anna und ihrer Familie nicht nur als Streit gewertet werden, sondern dass der politische Hintergrund benannt und bekämpft wird.

Die Polizei lässt durchblicken, dass sie das tut. Die Stadt ist involviert und prüft Handlungsmöglichkeiten. Die Wohnbaugesellschaft hat dem Nachbarn gekündigt. Das ist gut. Andererseits brauchen Prüfungen immer ihre Zeit, und auch die Wohnbau setzte, nachdem der Nachbar nicht zum Termin am Donnerstag ausgezogen war, erstmal entspannt eine Fristverlängerung. Bei allem Verständnis für formale Wege, die eingehalten werden müssen, sollte doch viel stärker darauf geachtet werden, wie den Opfern in solchen Situationen besser geholfen werden kann. Der organisierte Begleitschutz ist eine private Initiative. Der Kontakt zu "Leuchtlinie", der baden-württembergischen Anlaufstelle für Opfer rechter Gewalt, die sich der Familie nun annimmt, entstand erst durch unsere Recherche.

Rechtsextreme Aktionen dürfen nicht toleriert werden

Dass Opfer – nicht nur von rechter Gewalt – viel schneller und unbürokratisch Hilfe bekommen müssten, ist eine Forderung, die der "Weiße Ring" und andere Hilfsorganisationen seit Jahren gebetsmühlenartig wiederholen. Die Gesellschaft ist es jenen, die Schlimmes erlebt haben, schuldig, dass sie Sicherheit bekommen, zur Ruhe kommen können. Und was die Rechtsextremen angeht: Ihnen muss bei jeder Gelegenheit gezeigt werden, dass die Gesellschaft ihre Einschüchterungen, ihre Bedrohungen und Beleidigungen gegenüber Andersdenkenden und Minderheiten nicht toleriert. Denn nur so können jene, die sich dagegen zur Wehr setzen, sicher sein, dass sie nicht selbst das nächste Opfer werden.

(Dieser Kommentar erschien am 3. Juli in "Der Sonntag")