So befahl Berlusconi...

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Gegen Silvio Berlusconi, Italiens Ministerpräsident und mächtigster Geschäftsmann, Mitglied der Agcom (1) und den Direktor des Nachrichtensendung Tg1 (2) Minzolini wird wegen Amtsmissbrauch ermittelt. Die Ermittlungen werden von der Guardia di Finanza, der italienischen Steuerbehörde, geleitet.

 

Schon 2002 zeigte Berlusconi seine Abneigung Santoro(3) gegenüber.
Während eines Parteitages der Alleanza Nazionale und wenige Wochen später in Sofia, Bulgarien, verlangte der damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi die Entlassung von Biagi, Santoro und Luttazzi, die sich immer sehr kritisch gegenüber der Regierung und der it. Politik allgemein äußerten, aus dem öffentlichen Fernsehen, da sie “das öffentliche Fernsehen für ihre kriminelle Ziele verwendeten“.

Ein Monat später wurden die Sendungen gestrichen. Biagi und Luttazzi verloren ihre Stellen, da ihr Arbeitsvertrag nicht erneuert wurde. Santoro wurde entlassen. Daraufhin klagte er beim Arbeitsgericht, da seiner Meinung nach die Entlassung ohne gerechten Grund geschehen sei. Er gewann die Klage und wurde 2005 wieder eingestellt, doch er konnte im Fernsehen erst ein Jahr später auftreten, als 2006 Prodi die Präsidentschaftswahl gewann.
Es war bekannt, dass Berlusconi Santoro und seine Sendung nicht mochte. Doch niemand hatte damit gerechnet, dass er Druck auf den Direktor des Tg1, Minzolini, und auf den Generaldirektor der RAI, Masi, ausübte. Zufällig wurde der Telefonanruf mitgehört. Agcom-Direktor Minzolini wurde von der Guardia di Finanza überwacht und abgehört, so dass alles in die Abhörprotokolle aufgenommen worden. 
Im Gespräch mit Agcom-Kommisar Innocenzi machte Berlusconi klar, er wolle, dass die Ausstrahlung der Sendungen von “Annozero” zum Fall Mills(4) und zum Pentito [Kronzeuge] Spatuzza(5) verhindert wird. Aber auch anderen Sendungen wie “Ballarò” von Giovanni Floris und “Parla con me” von Serena Dandini habe er im Visier gehabt.
Mit Minzolini wurden Strategien besprochen, die als Gegenmaßnahme zu den “linken und kommunistischen Gegnern” wirken sollten. Zum Beispiel hatte der Direktor des Tg1 einige Beiträgen bereit, die die Magistratura (6) als politisiert und damit als parteiisch gegenüber Berlusconi darstellen sollten.

Die Ermittlung begannen Anfang 2009, als die Guardia di Finanza den Ursprung einiger verdächtiger “American Express”-Kreditkarten klären wollte. Aus den weiteren Recherchen ergab sich, dass jemand von weiter oben mit der Sache involviert sein musste, um sie nicht an die Öffentlichkeit geraten zu lassen. Dieser jemand, der sich als hoher Mitarbeiter des Verbraucherschutzes herausstellte, meinte, er hätte die richtigen Beziehungen zur Agcom und eine besonders gute Verbindung zum Tg1-Direktor. Es stellte sich heraus, dass Agcom-Mitarbeiter Innocenzi diese Person war.

Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass Berlusconi sich regelmäßig mit dem Direktor des Tg1 unterhielt und dass er Druck auf die Agcom ausübte.
Berlusconi wollte, dass “Annozero” und den anderen “Hühnerhöfen” ein Ende gesetzt wird. Innocenzi, der die Interessen des Staates vertreten sollte, bemühte sich, Silvio nicht zu enttäuschen, und suchte nach Möglichkeiten, wie Santoro und seine Redaktion sanktioniert werden könnten. Berlusconi beschwert sich auch wegen der Anwesenheit von “Repubblica“(7)-Direktor Ezio Mauro und dessen Gründer Scalfari bei der Sendung “Parla von me”. 
Die Anrufe mit Innocenzi fanden täglich statt, ab und zu sogar mehrmals am Tag, doch die schein-freundschaftliche Verbindung der beiden hinderte Berlusconi nicht daran, Innocenzi zu drohen, dass die komplette Agcom-Leitung ersetzt werden müsste, falls Santoro nicht gestoppt werde.
Nach Trost suchend, rief Innocenzi den Generaldirektor Masi an, der nach der Überbringung der Botschaft meinte, dass solche Zustände nicht mal in Zimbabwe herrschen würden. Jedoch gehorchte Masi. Er setzte Santoro und seinen Team unter Druck und drohte ihnen mit Mahnungen.

Um das Problem ein für alle Male aus dem Weg zu haben, stimmte das Kontrollkomitee der RAI einer Norm über die par condicio (8) zu, die nach der Interpretation des RAI-Verwaltungsrates die vier politischen Informationssendungen bis zu den regionalen Wahlen am 28. und 29. März verhindert. Agcom hatte die Reglementierung auch auf die privaten Sender erweitert, darunter die drei Sender Mediasets, im Besitz von Berlusconi, doch dies wurde vom Amtsgericht als ungültig erklärt und so entstand erstmalig dieser tiefer Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Fernsehen. Die Norm über die par condicio stellt die politische Kommunikation auf gleicher Ebene wie Informationssendungen und diese müssen ihren Platz aufgeben zu Gunsten der politischen Tribunen, zu denen sie aber hätten gezählt werden können. Jedoch entschieden Generaldirektor Masi und die Mehrheit des Verwaltungsrates, die vier Sendungen, darunter “Annozero” von Santoro und “Ballarò” von Floris, zu stoppen.

Die politischen Tribunen, die eine Woche später als vorgeschrieben begannen, hatten bei weitem nicht den Marktanteil von “Annozero” oder “Ballarò”, die mehrmals über sechs Millionen Zuschauer erreichten. Das kam natürlich den Mediaset-Sendungen zum Vorteil. 

santoro_annozero.jpgWer hätte kontrollieren sollen, dass die Pluralität gewährleistet wird und dass verhindert wird, dass niemand der Gesellschaft (in diesem Fall die RAI) schadet oder interne Informationen an Dritte außerhalb der Firma weitergibt? Masi. Der selbe Masi, der alles tat, um Berlusconis Wünsche zu befriedigen und sich einmal sogar aufführte, als ihm Innocenzi vorwarf, nicht schnell genug zu agieren.
Masi könnte gezwungen werden, sich von dem ethischen Komitee beurteilen zu lassen, und über dessen Ergebnis müsste dann eine Entscheidung des Verwaltungsrates fallen; der Rat ist aber von der Regierung Berlusconi ernannt worden, die fünf von neun Mitglieder, also die Mehrheit, darin hat. So würde Masi problemlos davon kommen.

Di Pietro, Anführer der Partei “Italia dei valori”, hat eine parlamentarische Untersuchung eingeleitet, die von dem Ministerpräsidenten Berlusconi Antworten verlangt. Weiterhin besteht Di Pietro darauf, dass Agcom Kommissar Innocenzi selbst kündigt oder entlassen wird; das gleiche soll mit dem Tg1-Direktor Minzolini geschehen.

Trotz der Gefahr, sich in einen erneuten Prozess verwickeln zu lassen, bewahrte Berlusconi einen kühlen Kopf und setzte seine Strategie fort, Abhörungen zu kriminalisieren. Bei seinem Besuch in Florenz am 21. März behauptete er, Abhörungen seien “als Beweismittel überhaupt nicht geeignet”. Seiner Meinung nach können sie “die Tatsachen herumdrehen, denn man bräuchte nur einige Sätze herausschneiden, so dass der Sinn des Satzes völlig geändert wird”.
Nun vergisst er, dass ein solcher Fall sich in der italienischen Geschichte nie ereignet hat. Nie hat die Magistratura die Abhörungen manipuliert und nie wurden sie angefochten.
Aber es ist vorgekommen, dass Privatpersonen versteckte Aufnahmen machten und dass sie diese gekürzt und zurecht geschnitten haben. Zum Beispiel 1995 lud Berlusconi Antonio D'Adamo (9) zu sich ein nach Arcore (10). Mit anwesend war auch Berlusconis Anwalt Previti. In dem Haus waren Wanzen platziert, so wurde  aufgenommen, wie D'Adamo über seine Beziehung zum ehemaligen Staatsanwalt Di Pietro sprach. Diese Aufnahmen, gekürzt und geschnitten wie gewünscht, wurden an die Staatsanwaltschaft in Brescia abgegeben, als Beweismittel gegen Di Pietro, der damals schon ein starker Gegner von Berlusconi war. Der Richter schenkte ihnen aber keine Beachtung, da diese manipuliert worden waren. Schon jetzt sind Aufnahmen, die nicht von der Staatsanwaltschaft verordnet worden sind, wertlos, können jedoch die gerichtliche Verhandlung beeinflussen. Genau das wünscht sich Berlusconi mit den gerichtlichen Abhörungen, er will private und illegale Aufnahmen den gerichtlichen gleichsetzen und sie endgültig aus dem Weg schaffen.


(1) Die Behörde für Kommunikationsgarantien (Agcom) ist die Regulierungs- und Wettbewerbsbehörde für die Kommunikationsindustrie in Italien. http://www.agcom.it/

(2) Tg1 (telegiornale1) ist die am meisten gesehene Nachrichtensendung im italienischen Fernsehen. Sie wird vom ersten und öffentlichen Fernsehsender RAI1 ausgestrahlt.

(3) Michele Santoro, Jahrgang 1951, Philosophie-Diplom, ist Berufsjournalist, war Direktor der Zeitung “La Voce della Campania” und arbeitete mit anderen Zeitungen, u.a. „Il Mattino di Napoli“, „L’Unità“, „Rinascita“, „Prima Comunicazione“ und „Epoca“.

(4) Der britische Anwalt David Mills wurde in erster Instanz wegen Korruption und Falschaussagen bei zwei Prozessen zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der Anwalt soll für seine Aussagen von Berlusconi insgesamt 600.000 Dollar erhalten haben. Gegen Ministerpräsident Berlusconi war wegen der Immunitätsregelung, die nun das Verfassungsgericht verworfen hat, keine Anklage erhoben worden. Das Urteil ist wegen Verjährung nicht in Kraft getreten.

(5) Gasparre Spatuzza ist ein Mitglied der mafia-ähnlichen Organisation “Cosa Nostra” in Palermo. Seine Karriere ging stets aufwärts: er war Dieb, Auftragsmörder und Vertrauensmann des Bosses Bagarella. Er hat mehrere Dutzende Menschen im Auftrag krimineller Organisationen umgebracht.

Seit 2008 kollaboriert er mit der Justiz und machte Aussagen zu den Bombenattentate von 1993 in Mailand, Florenz, Rom, sowie zu den Verbindung zwischen der Mafia und der Politik sowie dem Unternehmermilieu. Er wies ebenfalls auf Verbindungen zwischen den Mafia-Bossen Filippo und Giuseppe Graviano mit Berlusconi hin. Im Prozess gegen Dell'Utri beschuldigte der Kronzeuge das Duo Berlusconi und Previti der Ermordung von Richter Borsellino und Staatsanwalt Falcone sowie deren Familienangehörigen und Begleitschutz. Zwei weitere “pentiti” bekräftigten seine Aussagen. Einer der Graviano-Brüder dementierte Spatuzzas Aussagen, der andere äußerte sich nicht zur Sache.

(6) Die Magistratura ist die it. Richterschaft. Sie wird oft von Berlusconi als “kommunistisch” oder “links” bezeichnet.

(7) „La Repubblica“ ist eine der bedeutendsten it. Tageszeitungen. Das Blatt wurde 1976 durch die Mondadori- und Espresso-Gruppe unter Eugenio Scalfari und Carlo Caracciolo gegründet. Scalfari leitete die Zeitung bis 1996. Die mediale Berichterstattung der Repubblica gilt seitdem als gemäßigt links. Im Jahr 2009 wurde die "Repubblica" im Zuge zahlreicher Veröffentlichungen rund um die Affären des Premierministers Silvio Berlusconi von diesem stark kritisiert.

(8) Die par condicio (Fairness-Doktrin) schreibt vor, dass bei der Berichterstattung über kontroverse Themen von öffentlichem Interesse diese in einer „ehrlichen sowie (zwischen den verschiedenen Standpunkten) gleichberechtigten und ausgewogenen Weise“ dargestellt werden sollen. Sie soll den kleineren Parteien die Möglichkeit geben, im Fernsehen aufzutreten, und verhindert, dass die kapitalstärkeren Gruppierungen die Massenmedien nur für sich beanspruchen.

(9) Silvio Berlusconi und der Ingenieur Antonio D’Adamo kennen sich durch Edilnord (ein Unternehmen Berlusconis), D'Adamo arbeitete damals für Berlusconi. D'Adamo steckte in finanziellen Schwierigkeiten und ist in viele Ermittlungen verwickelt; er wurde schon wegen Korruption verurteilt und zusammen mit Paolo Berlusconi (der Bruder von Silvio) saß er auf der Anklagebank.

Berlusconi fürchtete Di Pietros Einstieg in die Berufspolitik und bat D'Adamo, ihm aus dieser Katastrophe zu helfen, da er schätzt, dass Di Pietro 12% der Wählerstimmen bekommen könnte. Als Gegenleistung verspricht Berlusconi, D'Adamo mit viel Geld zu versorgen. Außerdem könnte er sich dafür einsetzen, seine “sonstigen Probleme” zu lösen. Die beiden sprechen sich oft, aber treffen sich auch persönlich in der Villa in Arcore oder in Rom. Dies wurde von den italienischen Behörden durch Abhörungen, Photos und Beschattungen dokumentiert.

(10) 1973 kauft Berlusconi in Arcore bei Mailand die Villa Casati Stampa vom Anwalt und guten Freund Previti, der das Vermögen der zwölfjährigen elternlosen Gräfin Annamaria Casati Stampa verwaltete. Die Villa wurde ihm zum Freundschaftspreis von 500 Millionen Lire verkauft. Der Betrag wurde zum Teil als Aktien des Berlusconi-Unternehmens Edilnord übergeben, die Berlusconi später für die Hälfte des ursprünglichen Preises von der Gräfin wieder erwarb.