Warum es so wenige Strafverfahren gegen Polizisten gibt

Erstveröffentlicht: 
20.06.2016

Demos, Fußballspiele, "alltägliche" Kriminalität: Mitteldeutschlands Polizisten sind im Dauereinsatz. Nicht alle verhalten sich während ihrer Einsätze immer einwandfrei. Doch bundesweit werden etwa 90 Prozent der Strafverfahren gegen Polizisten wieder eingestellt, heißt es von Amnesty International. Darf man sich als Polizist also mehr erlauben als ein "normaler" Bürger?

von Manuela Lonitz, MDR Aktuell

 

In Sachsen sind seit Anfang 2015 knapp 770 Strafverfahren gegen Polizisten eingeleitet worden. Nur in sechs Fällen wurde tatsächlich Anklage erhoben. Das zeigt eine kleine Anfrage der Grünen an die sächsischen Justizbehörden. Für Alexander Bosch keine Überraschung. Er ist bei Amnesty International Experte für Polizei und Menschenrechte und kennt einen möglichen Grund: "Gerade in Kontexten, in denen die Bereitschaftspolizei mit ihrer Schutzmontur agiert - also bei Demonstrationen und Fußballspielen zum Beispiel - ist es in Sachsen der Fall, dass es noch immer keine individuelle Kennzeichnungspflicht gibt. Wenn sich da Beamte ein Fehlverhalten geleistet haben sollten und es eine Anzeige gibt, dann ist es häufig so, dass die Täterin oder der Täter nicht erkannt werden kann." Andere Polizisten seien zudem nicht bereit, gegen Kollegen auszusagen. Am Ende würden viele Verfahren eingestellt, weil Aussage gegen Aussage steht. 

 

"Unsere Kollegen arbeiten eben sehr sauber"


Sachsen sei keine Ausnahme, sagt Alexander Bosch. Bundesweit würden etwa 90 Prozent der Verfahren gegen Polizisten eingestellt oder gar nicht erst eröffnet. Am häufigsten werden Polizisten in Sachsen übrigens wegen Körperverletzungen im Amt angezeigt, gefolgt von Nötigung, Strafvereitelung im Amt sowie Beleidigungen. Doch warum landen so wenige vor Gericht? Für Uwe Petermann, den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen-Anhalt, liegt der Grund auf der Hand: "Weil unsere Kollegen in ihrer täglichen Arbeit sehr sauber, getreu der Rechtslage handeln und nur in ganz wenigen Fällen die Kollegen möglicherweise die Rechtsnorm verletzen. Das schlägt sich auch in der geringen Zahl der Verfahren gegen Polizeibeamte nieder." Hinzu komme, dass Beamte auch öfter Opfer von Falschaussagen werden, meint Petermann. 

 

Amnesty fordert unabhängige Ermittlungsinstanzen


Wie in Sachsen haben auch Bereitschaftspolizisten in Sachsen-Anhalt kein Namensschild. Die Gewerkschaften sind dagegen. Über eine vierstellige Nummer seien die Beamten zu identifizieren, sagt Petermann. Das reicht nicht, meint Alexander Bosch von Amnesty International. Er fordert zudem unabhängige Ermittlungsstellen, damit die Verfahren nicht mehr im Sande verlaufen. Torsten Scheller, der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen, sieht auch dafür keine Notwendigkeit: "Es wird jemand beauftragt, die Ermittlungen durchzuführen, der mit dem Kollegen und dem Sachverhalt nichts zu tun hat und dementsprechend aufgrund seiner Ausbildung als Ermittler eingesetzt wird. Insofern sind Neutralität und Unabhängigkeit gegeben." 

 

Spezielle Anwälte prüfen Fälle genau


Einen Bonus bei der Strafverfolgung haben Polizeibeamte nicht, sagt der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, Oliver Möller: "Ich sehe es eher gegenteilig. Es gibt spezielle Dezernate bei allen Staatsanwaltschaften im Freistaat Sachsen, die sich mit der Strafbarkeit von Amtsträgern und insbesondere auch Polizeibeamten beschäftigen. Dort sind speziell ausgebildete Strafanwälte tätig, die sich diese Verfahren auch sehr genau anschauen." Warum in den vielen Fällen in Sachsen keine Anklage erhoben worden ist, sei in der Kürze nicht zu beantworten, dazu müsse man sich jeden Einzelfall genau anschauen, sagt der Oberstaatsanwalt.