Wer ein Flüchtlingsheim angreift, kommt oft davon

Erstveröffentlicht: 
23.05.2016

Mehr als 1000 Angriffe auf Asylunterkünfte gab es 2015. Die Aufklärungsquote sei "zu niedrig", moniert de Maizière. Bei den von Ausländern verübten Straftaten gebe es Auffälligkeiten nach Herkunft.

 

Die Tatsache, dass im vergangenen Jahr so viele Flüchtlinge wie noch nie nach Deutschland kamen, schlägt sich deutlich in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nieder. So ist die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte stark angestiegen. Gleichzeitig wurden deutlich mehr politisch motivierte Straftaten gezählt.

 

Insgesamt wurden 2015 mehr als 1000 Angriffe auf Asylheime gemeldet. Im Vergleich zum Vorjahr, als etwa 200 registriert wurden, ist der Anstieg erheblich. "Das ist inakzeptabel und wird von Polizei und Justiz hart verfolgt", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Der CDU-Politiker stellte die neue Statistik über die bei der Polizei angezeigten Fälle zusammen mit dem Vorsitzenden der Innenministerkonferenz – Saarlands Ressortchef Klaus Bouillon, ebenfalls CDU – in Berlin vor.

 

Von den insgesamt 1031 Übergriffen auf Asylunterkünfte wurden de Maizière zufolge bislang etwa ein Viertel aufgeklärt. Er nannte diese Quote "zu niedrig", verwies aber auch darauf, dass sich viele Fälle in der zweiten Jahreshälfte ereignet hätten und bis Januar noch nicht endgültig von Polizei und Justiz aufgearbeitet worden seien.

 

Außergewöhnlich deutlich stieg mit 19,2 Prozent zudem die Zahl der politisch motivierten Straftaten an. In diese Kategorie fallen zum Beispiel Ausschreitungen auf Demonstrationen oder Sachbeschädigungen, die immer wieder zu Ausfällen im Bahnverkehr führen. Im vorigen Jahr nahmen die Übergriffe von rechts und von links deutlich zu – besonders deutlich zeigt sich das bei den Gewalttaten von rechts (plus 44,3 Prozent) und von links (plus 34,9 Prozent).

 

20 Mal wurden sogar versuchte Tötungsdelikte registriert. Nach Angaben des Bundesinnenministers zeigt sich der Anstieg bei den Rechten vor allem bei fremdenfeindlich motivierten Delikten. Straftaten in diesem Bereich von Linken wurden besonders beim Aufeinandertreffen mit Rechten gezählt. Zudem gab es vielfach Angriffe auf Polizisten.

 

Insgesamt ist die Zahl der Straftaten im vergangenen Jahr auf gut 6,3 Millionen gestiegen. Im Vorjahr waren es noch etwa 6,1 Millionen. Bei der Vorstellung in Berlin erklärte de Maizière jedoch, dass diese Zahlen das Bild der Sicherheit im Land verzerrten.

 

Würde man nämlich Delikte wie zum Beispiel die illegale Einreise, die nur von Ausländern begangen werden kann, herausrechnen, dann entspräche die Gesamtzahl registrierter Straftaten mit 5,93 Millionen im Jahr 2015 dem Niveau des Vorjahres, das ebenfalls bei 5,93 Millionen Delikten lag.

 

De Maizière erklärte mit Blick auf die allgemeine Ausländerkriminalität: Syrer fielen unterdurchschnittlich oft auf, Menschen aus den Balkan- oder Maghrebstaaten dagegen überdurchschnittlich. 

 

In welchen Großstädten werden die meisten Straftaten verübt?


Bei einem Vergleich der Großstädte schneidet Frankfurt am Main wie schon in den Vorjahren mit 16.550 Straftaten je 100.000 Einwohner am gefährlichsten ab. Mitausschlaggebend für die hohe Zahl in der Mainmetropole ist das berüchtigte Rotlichtviertel und der größte deutsche Flughafen. In die PKS fließen nämlich auch Aufenthaltsdelikte von Menschen ein, die an dem Airport ankommen.

 

Dahinter folgen Berlin mit 16.414 und die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover mit 16.066 Straftaten auf 100.000 Bewohner. Deutlich sicherer als viele andere Städte bleibt München. In Bayerns Landeshauptstadt wurden 9350 Straftaten pro 100.000 Einwohner gezählt. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte den guten Wert zuletzt mit einer besseren Präsenz der Polizei als andernorts, der guten technischen Ausrüstung und der "Null-Toleranz-Strategie" begründet.

 

Eine ähnliche Botschaft wie in den Vorjahren verkündete de Maizière auch zu den Einbruchszahlen. Diese bereite ihm "besondere Sorge", sagte der CDU-Politiker. Die Politik habe zwar Maßnahmen für eine stärkere Bekämpfung dieser Kriminalität ergriffen, doch seien sie noch "jung" und hätten sich deshalb in dieser Statistik noch nicht auswirken können.

 

Im vergangenen Jahr wurden 167.136 Fälle polizeilich erfasst. Das ist ein erneuter Anstieg, dieses Mal um knapp zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und es ist ein Rekordwert, wie die "Welt" bereits Ende März berichtet hatte.

 

"Wir müssen alle besser werden", appellierte de Maizière an seine Länderkollegen. Man müsse das "Kirchturmdenken" beenden. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Klaus Bouillon, führte aus, was damit gemeint ist. Er beklagte, dass es bei den 16 Länderpolizeien "zu viele IT-Systeme gibt, die nicht kompatibel sind." Nötig sei ein einheitliches Fallbearbeitungssystem, das speziell auf die Bekämpfung des Wohnungseinbruchsdiebstahls ausgerichtet ist. Bouillon will einen entsprechenden Vorstoß auf der IMK machen, die Mitte Juni in seinem Land stattfindet.

 

Schaut man sich das Delikt in der Kriminalstatistik genau an, liegt das Land Bremen (mit Bremerhaven) an der Spitze. Dort wurden 535,4 Einbrüche pro 100.000 Einwohner registriert. Dahinter folgen Hamburg (510,9) und Nordrhein-Westfalen (353,69). Beim Ranking der Städte, die mehr als 200.000 Einwohner haben, werden die vordersten Plätze allesamt von nordrhein-westfälischen Städten belegt. Auf dem ersten Platz steht Dortmund mit 578,3 Einbrüchen pro 100.000 Einwohnern. Dahinter kommen Gelsenkirchen (564,3) und Essen (527,9).

 

Das sorgt für Ärger zwischen Länderinnenministern. Bayerns Ressortchef Joachim Herrmann (CSU) greift seinen nordrhein-westfälischen Kollegen Ralf Jäger (SPD) direkt an. "In Nordrhein-Westfalen wird bezogen auf 100.000 Einwohner sechs Mal so häufig eingebrochen wie in Bayern. Solche großen Unterschiede zwischen den Ländern darf es nicht mehr geben", sagte Herrmann der "Welt".

 

Die bayerische Polizei habe auf Durchgangsstraßen verstärkt die sogenannte Schleierfahndung praktiziert, also Personen verdachtsunabhängig kontrolliert. "Es kann nicht sein, dass Länder wie Nordrhein-Westfalen sich 2015 geweigert haben, dieses Mittel anzuwenden. Nach dem Motto, das brauchen wir nicht", kritisierte der Minister.

 

Er verlangt, dass alle Länder künftig Schleierfahndung gegen Einbrecher einsetzen und Informationen besser gegenseitig austauschen. Herrmann sagte: "Einbrüche müssen das Topthema auf der Innenministerkonferenz werden." Nötig sei eine "sicherheitspolitische Offensive" in Deutschland. "Es geht um den Schutz des Eigentums der Bürger und das Vertrauen in den Rechtsstaat", so Herrmann. Der Staat müsse in der Lage sein, die Bürger zu schützen. Die Länder müssten deutlich mehr Polizeistellen schaffen, um den Verfolgungsdruck zu erhöhen. 

 

Ist "Predictive Policing" die Lösung?


Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings (CDU), forderte zudem einen verstärkten Einsatz von Computerprogrammen, die die Wahrscheinlichkeit berechnen können, mit der in bestimmten Gegenden Einbrüche verübt werden. Dieses "Predictive Policing" sei ein "erfolgreiches Instrument zur Bekämpfung der Einbruchskriminalität", sagte Krings der "Welt".

 

"Wichtig ist aber, dass es nicht nur zu einer Verdrängung der Kriminalität aus den damit gut zu schützenden Städten in den schwieriger zu schützenden ländlichen Bereich führt", forderte der Staatssekretär. "Deshalb müssen technische Wege gefunden werden, das Instrument bundesweit nutzen zu können und – noch viel wichtiger – auch der Wille bestehen, das Predictive Policing flächendeckend einzusetzen", sagte Krings.

 

Die Aufklärungsquote beim Wohnungseinbruchsdiebstahl ist mit bundesweit nur 15,2 Prozent (2014: 15,9 Prozent) erschreckend niedrig. Und selbst das ist noch Augenwischerei: Denn ein Fall gilt bereits dann als "aufgeklärt", wenn ein Tatverdächtiger ermittelt wurde. Dabei ist es egal, ob er wirklich überführt wurde. Zudem ist die Aufklärungsquote in den Städten sehr unterschiedlich. Am schlechtesten schneidet Bremen mit 5,4 Prozent ab, am besten Stuttgart mit 28,1 Prozent." 

 

Verurteilungen von Einbrechern die Ausnahme – nicht die Regel


Einbrecher können damit rechnen, dass sie in Deutschland äußerst selten verurteilt werden. Das belegt eine in der Zeitschrift "Kriminalistik" im April veröffentlichte Analyse, die auf einer aktuellen Dissertation an der juristischen Fakultät der Universität Bochum beruht. Die Studie stützt sich auf die Auswertung staatsanwaltlicher Akten zu Einbrüchen in Gewerbeobjekten in Gelsenkirchen und Wuppertal. Das Ergebnis: bloß etwas mehr als ein Drittel der Fälle, die von der Polizei als "geklärt" bezeichnet werden, wurde vor den Gerichten auch angeklagt. Den Rest stellten die Staatsanwaltschaften ein.

 

Nur in 17 der insgesamt 400 Fälle, die ausgewertet wurden, kam es überhaupt zu einer Verurteilung. Eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung gab es bei der Hälfte der 30 Angeklagten (dazu knapp 27 Prozent mit Bewährung). Zehn Prozent erhielten Geldstrafen; drei Prozent mussten Sozialstunden leisten. Überraschend ist, dass polizeilich aufgenommene Tatortspuren für die Aufklärung und Verurteilung eine eher geringe Rolle spielen. Denn in zwölf der 17 Fälle, die mit einem Gerichtsurteil endeten, waren Zeugenaussagen von Anwohnern entscheidend. Sie hatten die Täter auf frischer Tat gesehen oder gehört und daraufhin sofort die Polizei alarmiert.

 

Wohnungseinbrüche haben die deutschen Versicherer so viel gekostet wie nie: im vergangenen Jahr haben sie nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) 530 Millionen Euro an Einbruchsopfer gezahlt. Das waren 40 Millionen Euro mehr als 2014. Damit ist der bisherige Rekordwert von 1993, als nach der Wiedervereinigung die Kriminalität in vielen Deliktsfeldern anstieg, nach Informationen der "Welt" noch deutlich übertroffen worden: Damals lag die Schadenssumme bei rund 1,1 Milliarden Mark.

 

Laut GDV machen es Hausbesitzer und Mieter den Ganoven trotz der seit Jahren steigenden Einbruchszahlen immer noch gefährlich einfach: In vielen Häusern und Wohnungen ist die Sicherheitstechnik veraltet, die an Fenstern und Türen eingebaut ist. Professionelle Täter brauchen in der Regel weniger als 15 Sekunden, um zum Beispiel ein Fenster aufzuheben.

 

Wohnungen und Häuser müssten deshalb wesentlich stärker gesichert werden. Doch nicht mal bei Neubauten werden in Deutschland einbruchhemmende Fenster und Türen standardmäßig eingebaut. Der Vorsitzende der GDV-Geschäftsführung, Jörg von Fürstenwerth, sagte: "Nur wenn die Politik flächendeckend Anforderungen für den Einbruchschutz verbindlich vorschreibt, können wir etwas erreichen." Die Versicherer fordern deshalb eine bundesweite Regelung in den Bauvorschriften. Diese soll die Mindestanforderungen für neu eingebaute Fenster und Türen definieren, um damit den Einbruchschutz wirksam zu erhöhen.