Autoritäre Rebellen: Zu Besuch bei der Berliner AfD-Jugend

Erstveröffentlicht: 
26.04.2016

Bei ihrem Landesparteitag am letzten Wochenende stellte die Berliner AfD ihre Kandidaten für die Abgeordnetenhauswahl im September auf. Mit dabei, auf einem der ersten zehn Listenplätze, ist auch Thorsten Weiß, der Chef der Jugendorganisation Junge Alternative. Die tritt in der Hauptstadt nur selten öffentlich in Erscheinung. Ich habe sie mir in den vergangen Wochen näher angeschaut.

 

Wer Berlins Neue Rechte kennenlernen möchte, muss nach Charlottenburg gehen. Nördlich des Ku'damms, vorbei am Hotel Savoy, wo es nach kubanischen Zigarren riecht, hinter dem altehrwürdigen Delphi-Filmpalast, befindet sich, in einem unscheinbaren Bürogebäude in der Fasanenstraße, die Bibliothek des Konservatismus (BdK). Nach Anmeldung und Zahlung einer Anmeldegebühr kann der interessierte Leser in einem Bestand von über 27.000 Büchern schmökern oder neurechten Zeitschriften wie Sezession oder Blaue Narzisse. Trägerin der Spezialbibliothek ist eine vom 2009 verstorbenen Publizisten Caspar von Schrenck-Notzing gegründete Stiftung, die von Dieter Stein geleitet wird, dem Chefredakteur der Wochenzeitung Junge Freiheit. In der BdK finden zudem regelmäßig Vortragsveranstaltungen mit freiem Eintritt statt.

Unser Land ist in Gefahr

 

Thorsten Weiß (links, ausnahmsweise) und Hans-Joachim Berg, stellvertretender AfD-Landesvorsitzender beim Berliner Landesparteitag | Foto: imago | Jens Jeske

"Wer von Ihnen hat gedient?", fragt der Redner Thorsten Weiß, ein hochgewachsener Mann mit Dreitagebart und kräftiger Stimme. Der 32-jährige ehemalige Berufsoffizier ist der Berliner Vorsitzende der Jungen Alternative (JA). Als ich mich vorsichtig umschaue, bemerke ich, dass ich einer der Wenigen bin, die sich nicht melden. Es ist Ende Februar 2016, die JA hat zu einem Vortrag mit dem Titel "Ist Deutschland noch verteidigungsfähig?" in den Lesesaal der BdK geladen. Die wenigsten Gäste sind jung—ganz AfD-typisch machen Herren "im besten Alter" den größten Teil des Publikums aus. Bei der Bundeswehr habe er das Führen gelernt, sagt Weiß. Weihevoll spricht er vom Kameradschaftsgeist, aber auch den Belastungen des Dienstes an der Waffe, dem häufigen Wechsel des Wohnorts etwa. Man finde heute nur noch schwer eine Frau, "die das mitmacht", erfahre ich.

 

Im Hauptteil spricht Oberst Georg Pazderski über den Niedergang, in dem sich die deutschen Streitkräfte seiner Ansicht nach befinden. Auf den Vortrag folgt eine Diskussion, in der nicht nur die (dramatische!) Verteidigungssituation, sondern auch alle möglichen anderen Themen verhandelt werden. Emotional geht es zur Sache und vieles klingt eher verworren. Es tut sich eine für Außenstehende kaum nachvollziehbare Gemengelage aus internen Querelen auf.

 

Anfang März—kurz vor den Landtagswahlen—rief eine dubiose Kampagne in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit Werbeplakaten und einer rassistischen Gratis-Zeitung namens Extra-Blatt dazu auf, die AfD zu wählen. Nur wenigen Beobachtern fiel seinerzeit auf, dass die Aktion einen Vorläufer hatte—in Berlin. Der nationalkonservative Flügel der Bundespartei um Alexander Gauland war unzufrieden mit dem damaligen Berliner Vorsitzenden Günter Brinker, der für eine liberal-konservative Linie stand. Gauland-Anhänger ließen eine Sonderausgabe des Magazins Polifakt drucken, die Brinker innerparteilich diskreditieren sollte—produziert von derselben Firma wie später das Extra-Blatt. Der Putsch gelang: Mitte Februar wurden zwei Nationalkonservative an die Berliner AfD-Spitze gewählt: Beatrix von Storch und Georg Pazderski.

 

Wie im gesamten Bundesgebiet steht auch die Berliner JA am rechten Rand der Partei. Das provoziert linke Antifas. Kürzlich musste der monatliche Stammtisch verlegt werden, der zuvor im Bavarian im Europa-Center stattgefunden hatte. In dem rustikalen bayrischen Gasthaus werden Weißwurst und Hefeweizen serviert, im Hintergrund laufen volkstümliche Schlager und Hütten-Hits. Im März störte eine Antifa-Gruppe diese Idylle mit einer Flugblattaktion, seither gab es keinen Stammtisch mehr. Die Geschäftsführung war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Im April wich das Beisammensein junger Männer—die übrigens von mehreren Barkeepern als höfliche Gäste beschrieben werden—auf das Café Bleibtreu nahe des Savignyplatzes aus. Nach Auskunft der Betreiberin gab es nur private Tischbestellungen an dem Abend. Die JA-Website veröffentlichte den Treffpunkt diesmal nicht.

 

Der "Große Austausch"

 

Ich treffe Frank Metzger im Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) in Kreuzberg. Der auf Öffentlichkeitsarbeit spezialisierte Verein sichtet und archiviert rechte Publikationen. Regalreihen voller Bücher und Zeitschriften durchziehen die Fabriketage, dazwischen stehen Schreibtische, an denen mit entspannter Betriebsamkeit gearbeitet wird, immer wieder läuten Telefon und Türklingel. Beim JA-Landeskongress im November sei auch Jannik Brämer in den Vorstand gewählt worden, erzählt mir Metzger bei einem Kaffee. Brämer ist der Anmelder der deutschen Domain der Identitären Bewegung und tritt als AfD-Kandidat für die Bezirksverordnetenversammlung in Charlottenburg-Wilmersdorf an. Unterdessen tut sich der Lichtenberger AfDler Heribert Eisenhardt als Redner beim Berliner Pegida-Ableger Bärgida hervor.

 

"Stoppt den Großen Austausch!", ein Schlachtruf der Identitären, wird auch bei Bärgida gerufen und bezieht sich auf das Buch Der Große Austausch des Franzosen Renaud Camus. Eine deutsche Übersetzung ist beim neurechten Antaios-Verlag erschienen. Ich lese sie im apabiz. Camus behauptet, die politische und wirtschaftliche Elite Europas verfolge im Geheimen den finsteren Plan, die angestammte Bevölkerung, deren Geburtenrate sinkt, schrittweise durch Einwanderer zu ersetzen. Die Folge dieser "Gegen-Kolonisation" sei das Ende der Hochkultur und ihre Verdrängung durch Barbarei. Camus macht sich nicht die Mühe, seine zentrale These zu belegen. Der Austausch finde statt, das sehe man. Soziologen versuchen nur, uns mit "verlogenen Statistiken" zu täuschen. Das Nachwort steuerte Martin Sellner bei, ein zentraler Kopf der österreichischen Identitären.

 

Neurechte Ideen finden sich auch bei der JA. "Das Wahlprogramm der Jungen Alternative Berlin atmet den Geist des intellektuellen Rechtsextremismus", sagt mir Mathias Wörsching von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus am Telefon, darin sei eine "deutschtümelnd-autoritäre Tendenz" zu erkennen. Das gelte etwa für die Forderung, alle Schüler sollten jeden Morgen die Nationalhymne singen müssen, oder für die Idee, die EU durch ein "Europa der Vaterländer" zu ersetzen. Dass die JA jede finanzielle Förderung von Integration ebenso streichen wolle wie Geldmittel für antifaschistische Aufklärung, zeige eine ideologische Nähe zur organisierten rechten Szene. AfD und Identitäre verfolgen eine ähnliche Strategie, meint Wörsching, deren Ziel die Verschiebung des gesamten Diskurses sei.

 

Zurück in Charlottenburg. Im Café Ottenthal treffe ich mich mit dem Philosophen und Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik. Nationen sind für neurechte Vordenker wie Renaud Camus homogene Gemeinschaften, sagt er. Neben Esoterikern wie Julius Evola oder den Autoren der Konservativen Revolution gewinne für diese Kreise auch der "überzeugte Antisemit" Heidegger immer mehr an Bedeutung—mit dessen Begriff "Metapolitik" beschreiben Rechtsintellektuelle eine angebliche Ebene ewiger Wahrheiten hinter dem Tagesgeschäft. Brumlik bezeichnet die Junge Freiheit, die ihr Büro um die Ecke auf dem Hohenzollerndamm hat, als mittlerweile "rechtsreformistisch" und weniger radikal als etwa die Sezession. Gemeinsam sei ihnen jedoch das Ziel einer "Kulturrevolution von rechts", meint der ehemalige Frankfurter Universitätsprofessor.

 

Ausflüge ins Grüne

 

Während die JA in Berlin eher unauffällig bleibt, drängt sie im Umland auf die Straße. Anfang Februar marschierten Thorsten Weiß, der Beisitzer The-Hao Ha und Andere gemeinsam mit den Identitären durch Zossen. Die Stadt gilt als Hochburg der rechtsradikalen Szene, im Mai 2015 wurde dort ein Brandanschlag auf ein geplantes Flüchtlingsheim verübt. In Brandenburg fanden Ende letzten Jahres beinahe täglich rechte Demonstrationen statt, angemeldet von lokalen Personen, Pegida-Ablegern und Parteien. Die AfD konkurriert hier offen mit der NPD um die Gunst der "besorgten Bürger".

 

Am 20. Februar hielt Jörg Sobolewski von der JA Berlin eine Rede auf einer fremdenfeindlichen Demonstration in der Spreewald-Kleinstadt Lübben, auf der er die Kölner Silvesterübergriffe als "deutliches Zeichen der Landnahme fremder, junger Männer" bezeichnete und dabei nicht vergaß, den "Großen Austausch" zu erwähnen, der selbstverständlich auch im Spreewald stattfindet. Die Veranstaltung war von einer Gruppierung namens Zukunft Heimat organisiert worden, die als Bürgerinitiative gegen ein konkretes Flüchtlingsheim entstanden war. Mittlerweile engagieren sich dort, PNN zufolge, Neonazis aus der 2012 verbotenen Gruppe Spreelichter.

 


Wie sich Polen auf eine russische Invasion vorbereiten:


 

Sobolewski selbst ist nicht nur Vorstandsmitglied der JA Berlin und Chef des AfD-Ordnerdienstes, sondern auch Bundesvorsitzender der Deutschen Burschenschaft, eines Dachverbandes, der sogar von einigen Studentenverbindungen als rassistisch abgelehnt wird. Außerdem gehört er der Berliner Burschenschaft Gothia an—das apabiz bezeichnet diese Verbindung als rechtsradikal.

 

Auf Tour mit dem "Wahlkampfkommando"

 

Die Berliner JA unterhält nicht nur gute Kontakte ins Umland, sondern auch zu Parteifreunden in Baden-Württemberg. Ebenfalls im Februar reiste Thorsten Weiß mit einem "Wahlkampfkommando" nach Villingen-Schwennigen. Die Lokalpresse berichtete über Zusammenstöße mit Antifas an Infoständen in diesem Zeitraum.

Markus Frohnmaier, Bundesvorsitzender der JA, fühlt sich von der Antifa bedroht, nach Sachbeschädigungen habe er sich zum Umzug entschieden. Der 25-jährige Jura-Student sieht sich und seine Kameraden als Rebellen gegen einen linken Zeitgeist, als rechte "Sex Pistols unserer Generation". Im November gratulierte er Thorsten Weiß in Berlin zur Wiederwahl als Landeschef—auch diesmal in der Bibliothek des Konservatismus. Zur Feier des Tages war Manuel Ochsenreiter angereist, Chefredakteur der ultranationalistischen Zeitschrift Zuerst! und Redakteur beim Deutschen Militärmagazin. Ochsenreiter ist regelmäßiger Interviewpartner in den russischen Staatsmedien und gilt als Vertrauter des "Neoeurasiers" Alexander Dugin. Auch Frohnmaier unterhält Kontakte zur russischen Rechten und traf sich außerdem am letzten Mittwoch in Berlin mit einem Vertreter von Putins Junger Garde, berichtet der Spiegel.

 

Ziemlich rechte Freunde

 

Vielleicht gibt es für all das eine Erklärung, die nicht darauf hinausläuft, dass die Junge Alternative Berlin eng vernetzt ist mit der organisierten rechten Szene. Genau danach wollte ich Torsten Weiß fragen. Leider sagte der JA-Chef ein vereinbartes Interview kurzfristig und ohne Begründung ab.