Urteil ist keine Entschädigung für das jahrelange Desinteresse der Behörden

Die Reitschule Bern am 04.08.2007

Bellinzona, 7. April 2016 – Medienmittelung des Vereins Musik und Kultur, Organisator_innen des «Antifascist Festivals» Sehr geehrte Medienschaffende, heute hat das Bundesstrafgericht in Bellinzona den im Prozess betreffend den Anschlag auf das «Antifascist Festival» Beschuldigten Kim Sury wegen Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht sowie versuchter Brandstiftung schuldig gesprochen. Er wurde zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

 

Am 4. August 2007 wurde während dem «Antifascist Festival» in der Grossen Halle der Reitschule Bern ein Rucksack deponiert. Darin enthalten: drei mit Benzin gefüllte 1.5 Liter PET-Flaschen, ein Kunststoffrohr mit einem pyrotechnischen Sprengsatz und daran angeschlossen ein Reisewecker, eine 9-Volt-Batterie sowie eine kleine selbstgebastelte Schaltung. Die «Spreng- und Brandvorrichtung» detonierte gegen Mitternacht auf der Schützenmattstrasse – der Rucksack war von einem Besucher entdeckt worden und konnte frühzeitig aus der vollbesetzten Konzerthalle gebracht werden. Nur mit viel Glück kam es zu keinen Schwerverletzten oder gar Toten.


Nach knapp neun Jahren hat das Bundesstrafgericht in Bellinzona nun ein erstes Urteil gesprochen. Ohne Genugtuung oder Freude nehmen wir das Urteil zur Kenntnis. Vielmehr sind wir nach wie vor über den Verlauf der Geschehnisse erstaunt: das gesamte Verfahren zeichnete sich durch Desinteresse der Untersuchungsbehörden und langer Verzögerungen aus. Dass 2010 – drei Jahre nach der Tat – weder bei der Hausdurchsuchung noch im Zuge der durchgeführten Telefonüberwachung noch handfeste Beweise gefunden werden konnten erscheint naheliegend. Nicht nachvollziehbar ist und bleibt, warum entgegen erster Hinweise aus der Tatnacht, die eine Verwicklung von Kim Sury resp. seinem «Blood&Honour»-Umfeld in die Tat nahelegten, keine Ermittlungen folgten. Wir sind – wie schon 2007 – schockiert darüber, mit welcher Gleichgültigkeit über einen der potentiell schwersten, durch Neonazis verübten Anschlag auf linke Strukturen in den letzten Jahrzehnten hinweggegangen wurde.


Hierzu Sprecherin des Festivals Lisa Meier: „Unsere Erfahrungen, die wir nach dem Anschlag auf unser Festival machen mussten, sind für uns ein klares Zeichen, dass politische Verantwortliche und Justiz offensichtlich auf dem rechten Auge nicht sehen wollen. Nur auf unseren Druck hin sind jeweils weitere Verfahrensschritte eingeleitet worden. Dies begann in der Nacht des Anschlags, als die Polizei nicht ermitteln wollte. Führte über die Berner Justiz und Bundesstaatsanwaltschaft, die trotz Indizien das Verfahren nicht vorantrieben und dann gar einstellen wollten. Die ganze Aufarbeitung ist für uns skandalös und hinterlässt ein grosses Misstrauen in die Rechtstaatlichkeit“.


Und doch liegen gemäss mündlicher Urteilsbegründung des Bundesstrafgerichts genügend Indizien vor, um zweifelsfrei von einer Alleintäterschaft auszugehen. Insbesondere aufgrund der gefundenen Fingerabdrücke im Innern der Bombe sowie auf der Unterseite eines Klebebandes ist aus Sicht des Gerichts erwiesen, dass Kim Sury den Sprengsatz konstruiert hat. Da es im ganzen Verfahren keine Hinweise auf eine Drittbeteiligung gegeben hat, ist es ebenso erstellt, dass Kim Sury diesen in der Grossen Halle in mitten des Konzertpublikums deponiert hat.


Für uns als Veranstalter_innen des «Antifascist Festival» ist indes klar, das Problem heisst weiterhin Rassismus und Xenophobie. Einzelne Verurteilungen ändern da am Grundproblem nichts. Sie mögen zwar den Schein eines konsequenten Vorgehens erwecken, viel nötiger wäre aber im Alltag entschlossen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vorzugehen und so den Neonazis den Boden für ihre Taten zu entziehen.


Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung: antifafestival at immerda dot ch

 

Verein Musik und Kultur