Entgegen jedem Opfermythos - Dessau war "Täterstadt"

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Sowohl am 07. als auch am 13. März 2010 soll in der historisch bedeutsamen Stadt Dessau-Roßlau ein Gedenken stattfinden, das verklärter nicht sein könnte. Bereits zum vierten Mal rufen Neonazis zu einem „Gedenkmarsch“ an die so genannten „Opfer“ der Bombardierung Dessaus vom 07. März 1945 auf. Nicht nur der damit transportierte Opfermythos aus Sicht der Nazis, sondern einmal mehr auch die undifferenzierten Positionierungen bürgerlicher Strukturen sollten dabei in den Fokus kritischer Diskussionen treten, denn Dessau war keineswegs „nur“ eine Stadt in Nazideutschland.

 

Dessau im historische Kontext:

 

Dass Dessau keine vom Nationalsozialismus benutzte Stadt war ist ein unumstößlicher Fakt und lässt sich auch im derzeitigen Kontext verschiedenster Opfermythen klar belegen. So war Dessau bereits 1932 ein wichtiges Zentrum der Nationalsozialisten, welche den damaligen Landtag des Landes Anhalt dominierten. Von den gewählten 15 Mandatsträgern der NSDAP, damals stärkste Fraktion, kamen allein 6 aus Dessau. Völkisch-nationalistische Strukturen und ein organisierter Antisemitismus die bis in die 1920er Jahre zurück reichten untermauern den speziellen Status den Dessau im Aufbau nationalsozialistischer Infrastruktur hatte. Der Titel der Gauhauptstadt des eigentlichen Gaus Magdeburg-Anhalt ist unter anderem darauf zurück zu führen. Die große Resonanz der dessauer Bürger*Innen auf die Naziideologie zeigte sich am anschaulichsten auf Parteiveranstaltungen der NSDAP. So Traten neben dem SA-Führer Gregor Strasser und dem späteren Gauleiter in Thüringen und Reichsbevollmächtigtem für Fremdarbeiter Fritz Sauckel auch der Propagandaminister Joseph Göbbels und Adolf Hitler selbst vor einem ständig wachsenden Publikum in Dessau auf. So musste der zweite Auftritt Hitlers im Juli 1932 unter freiem Himmel stattfinden da der Kristallpalast für die vielen tausend dessauer Nazianhänger*Innen längst nicht mehr ausreichte.

 

Antisemitismus in Dessau

 

Dass der Antisemitismus nicht nur in Dessau keine Erfindung der Nazis war sondern eher bindendes Glied zwischen Naziideologie und einer Vielzahl dessauer Bürger*Innen, zeigen gerade die aus der Mitte der dessauer Gesellschaft getragenen Bloßstellungen jüdischer Mitmenschen, die Gewalttaten, die Boykottwellen und Plünderungen jüdischer Geschäfte und die antisemitischen Pogrome gegen alles was als jüdisch verortet wurde. Der erste Boykottaufruf gegen jüdische Einrichtungen, Geschäfte, Arztpraxen und Handwerksbetriebe erging am 01. April 1933. Am 09. November 1938 plünderte ein wütender Mob aus Dessauer*Innen schließlich die dessauer Synagoge, verwüstete den Israelitischen Friedhof und setzten die Synagoge schlussendlich in Brand. Eine große Anzahl Thorarollen und Kultgeräte aus der gesamten Israelitischen Kultusgemeinde Anhalts, die hier gelagert waren, wurde dabei zerstört. Die Feuerwehr beschränkte sich darauf, das Übergreifen des Feuers auf die Nachbargebäude zu verhindern. Joseph Schubert, einem jungen Gemeindemitglied, gelang die Rettung einer Thorarolle aus der brennenden Synagoge, welche heute im Museum „Ghetto Fighters House“ im Kibbuz der Ghetto-Kämpfer in Israel ausgestellt ist. Noch in derselben Nacht wurden jüdische Männer aus dem gesamten Land Anhalt in Dessau zusammen getrieben und in den Morgenstunden des 10. November nach Buchenwald deportiert.

 

Dessau eine wichtige Stadt

 

Nicht nur aus ideologischer Sicht war Dessau für die Nazis eine wichtige Stadt. Neben den Junkers Flugzeug- und Motorenwerken, einem der wichtigsten Produzenten des militärischen Flugzeugbaus, welche Ihren Hauptsitz sowie Produktionsanlagen in Dessau hatten, waren hier auch die Produktionsanlagen des „Schädlingsbekämpfungsmittels“ Zyklon B. Mit ihm wurden in den Gaskammern der Nazis abertausende Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma sowie politische Gegner*Innen, Homosexuelle und als „Asoziale“ eingestufte Menschen in den Konzentrationslagern ermordet. Des weiteren galt die Rüstungsstadt als wichtiger Verkehrsknotenpunkt der nationalsozialistischen Infrastruktur und im speziellen als Nachschub- und Versorgungslinie.

 

Die Bombardierungen

 

Am 07. März 1945 wurde diese Stadt, die am Leid tausender Menschen beteiligt war, von Bomberverbänden der Royal Air Force bombardiert. Der Hintergrund des Angriffs auf Dessau

war die Zerschlagung von Nachschub- und Versorgungslinien zur Front sowie die Vernichtung und Destrukturierung deutscher Verteidigungsanlagen in größeren Städten. Der Einmarsch US-amerikanischer Truppen am 21. April 1945 und die damit verbundene Befreiung der am Leben gebliebenen Opfer des verbrecherischen NS-Regimes und deren Befürworter innerhalb der deutschen Gesellschaft, war nur durch Luftangriffe wie die am 07. März 1945 möglich.

 

Wir Gedenken den Opfern von Dessau

 

Wir gedenken der Menschen, die den antisemitischen Pogromen der dessauer Bevölkerung zum Opfer fielen und verletzt, ermordet oder in Konzentrationslager verschleppt wurden. Wir gedenken der tausenden Zwangsarbeiter*Innen aus ganz Europa, die in Dessau unter unmenschlichen Bedingungen Sklavenarbeit verrichten mussten. Wir gedenken auch und gerade den Zwangsarbeiter*Innen, denen der Zugang zu den Schutzräumen während der Bombardierung am 07. März verwehrt wurde und die damit dem sicheren Tod überlassen wurden. Der Tod dieser Menschen ist der Täterschaft einer Vielzahl von Dessauer*Innen geschuldet, die entweder direkt als Anhänger*Innen des NS-Regimes oder auch als schweigende Masse dem Morden zustimmten.

 

Entgegen jedem Opfermythos

 

Wenn Neonazis zu einem „Trauermarsch – In Gedenken der Opfer von Bombardierungen“ aufrufen und den Kampf um die Befreiung Nazideutschlands als „Alliierten Bombenholocaust“ diffamieren, ist dies eine Mystifizierung der deutschen Täter*Innen zu angeblichen Opfern und eine Umkehrung der Täter-Opfer-Relation. Gegen diese Verhöhnung eines jeden Opfers der nationalsozialistischen Barbarei richtet sich unser Protest. Dass dies aber nicht die einzige Verklärung der Geschichte darstellt, zeigen immer wieder auch die städtischenVeranstaltungen. Meist dient dabei eine fragwürdige Täter-Opfer-Analyse als Ausgangspunkt für ein völlig undifferenziertes Gedenken. Dagegen wollen wir uns klar positionieren. . Unsere Ablehnung richtet sich dabei nicht gegen ein privates Gedenken an Angehörige, sondern viel mehr gegen die damit öffentlich dargestellte und transportierte Gleichsetzung von Täter*Innen und Opfern des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs. Für uns kann eine Befürworter*In des verbrecherischen deutschen Nationalsozialismus, wie es sie in Dessau zu Tausenden gab, kein Opfer sein.

Zudem zeigt sich städtischer Protest gegen Neonazis oft allein in einem kollektiven „Bockwurst-Essen gegen Rechts“ am anderen Ende der Stadt.

 

Nicht mit uns!!!

 

Wir rufen dazu auf, sich diesem Treiben entgegenzustellen,

OPFERMYTHOS ANGREIFEN – NAZIGEDENKEN ENTGEGENTRETEN!!!

>>>>>>>> effektiv, subversiv und kreativ <<<<<<<<

 

Erste Kundgebung der Nazis - Sonntag 07. März ab 15Uhr Museumskreuzung Dessau

Nazi-Gedenkmarsch – Samstag 13. März Aktionen und Infopunkte ab 11Uhr in der Innenstadt

 

Infos zu den Gegenaktionen

>>> www.NoNazisDessau.blogsport.de <<<

oder

>>> www.afa06.blogsport.de <<<