„Politisch heikel“

Erstveröffentlicht: 
09.01.2016
Die Führung der Kölner Polizei hat die Herkunft der Verdächtigen der Silvesternacht offenbar bewusst verschwiegen
Von Thorsten Fuchs und Dieter Wonka

 

Er muss es gewusst haben. Es gab ja die Berichte. Schilderungen von leitenden Polizeibeamten, die sehr genau belegen, woher die Männer stammten, die sich in der Silvesternacht vor dem Kölner Bahnhof zusammengerottet hatten. Aber Wolfgang Albers, der Kölner Polizeipräsident, saß einfach da und schwieg. Und wer sich gestern Nachmittag fragte, warum der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) Albers in den Ruhestand schickte, der brauchte sich nur noch einmal jene im Nachhinein sehr denkwürdige Szene vom vergangenen Dienstag vor Augen zu führen.

 

Die Ausschreitungen in der Kölner Silvesternacht lagen da bereits fünf Tage zurück, Albers und die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker gaben im Rathaus eine Pressekonferenz. „Wir haben derzeit keine Erkenntnisse über die Täter“, sagte Albers. Was, sehr genau genommen, sogar stimmte, schließlich weiß die Polizei bis heute kaum, wer genau aus der aggressiven Masse vor dem Bahnhof sich in jener Nacht an den Frauen vergangen hat.

 

Aber dann sagte die parteilose Bürgermeisterin neben ihm auch noch: „Es gibt keinen Hinweis, dass es sich hier um Menschen handelt, die hier in Köln Unterkunft als Flüchtlinge bezogen haben.“ Spätestens da hätte Albers aufspringen und sagen müssen: Halt, die gibt es sehr wohl. Stattdessen hielt Albers den Mund – und machte eine kaum merkliche nickende Kopfbewegung, wie um zu sagen: Ja, stimmt alles so.

 

Doch das war leider nicht die Wahrheit. Tatsächlich war zu diesem Zeitpunkt längst klar, dass sehr viele Flüchtlinge zu jener gewalttätigen Menge vor dem Bahnhof gehörten. Viele waren laut den Berichten von Polizisten, die in jener Nacht im Einsatz waren, erst seit Kurzem in Deutschland, viele stammten aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Genau dies hat die Führung der Kölner Polizei offenbar tagelang verschwiegen – aus Sorge, dass diese Wahrheit politisch nicht willkommen sein könnte. Es waren weniger die Ereignisse selbst, die Albers zum Verhängnis wurden – sondern seine bizarre Informationspolitik, mit der er offenbar Unangenehmes verschweigen wollte, als es längst nicht mehr zu verheimlichen war.

 

Für die Einsatzkräfte in jener Nacht war die Masse jedenfalls offenbar keineswegs so anonym, wie es die spärlichen öffentlichen Angaben später vermuten ließen. Noch immer bestätigt die Polizei offiziell lediglich vage, dass es sich um Araber und Nordafrikaner handelte. Tatsächlich jedoch kontrollierte die Polizei in der Nacht die Personalien von fast 100 Personen rund um den Dom, die sich „auffällig verhalten“ hätten. „Der überwiegende Teil der Personen“, so heißt es in einem internen Polizeibericht vom 2. Januar, aus dem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ zitiert, konnten sich „lediglich mit einem Registrierungsbeleg als Asylsuchender“ des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ausweisen. Nur wenige seien länger als drei Monate in Deutschland gewesen, erklärt ein Polizist, der an dem Einsatz beteiligt war. Damit ist nicht gesagt, dass diese Männer auch an Diebstahl und sexuellen Übergriffen beteiligt waren – aber es gibt Hinweise auf die Zusammensetzung der Gruppe, aus der heraus die Taten begangen wurden.

 

Noch im ersten internen Bericht am Neujahrsmorgen soll der verantwortliche Dienstgruppenleiter der Polizei die Herkunft der Männer laut der Zeitung bewusst verschwiegen haben. Demnach drang der Einsatzleiter sogar darauf, das Ergebnis der Kontrollen offen zu beschreiben. Der Dienstgruppenleiter jedoch lehnte ab – angeblich mit der Begründung, dies sei „politisch heikel“.

 

Möglicherweise befolgte er dabei sogar einfach die internen Vorgaben. „Es gibt Anweisungen, unseren Interpretationsspielraum so zu nutzen, dass der zivile Frieden gewahrt bleibe“, hatte ein leitender Polizeibeamter gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland schon im November erklärt. Der Beamte beklagte, dass er zum Beispiel Schlägereien in Flüchtlingsheimen herunterspielen solle, weil sonst die Stimmung in der Bevölkerung kippen könne. „Es werden ganz bewusst Dinge weggelassen“, erklärte der Beamte.

 

Immer deutlicher wird auch, dass die sexuellen Übergriffe offenbar sogar geplant waren. Bei zwei Männern aus Marokko und Tunesien, die die Kölner Polizei gestern festnahm, fanden die Beamten neben Handys mit Videos von den Ausschreitungen auch einen bizarren Übersetzungszettel. Darauf standen Sätze wie „Ich will dich küssen“ oder „große Brüste“ mit der arabischen Entsprechung daneben. Den meisten Tätern in der Nacht sei es nicht so sehr um Diebstähle gegangen, erklärt ein Polizeibeamter: „Vorrangig ging es den meist arabischen Tätern, um es aus ihrem Blickwinkel zu sagen, um ihr sexuelles Amüsement.“

 

Das belegt auch die immer weiter steigende Zahl der Anzeigen: 170 hat die Kölner Polizei inzwischen registriert, 117 davon wegen sexueller Gewalt. 21 Täter hat die Kölner Polizei identifiziert, weitere 31 die Bundespolizei, die für den Bereich im Bahnhof zuständig ist.

 

Sie überhaupt zu finden und zu überführen dürfte schwierig werden. Die Ermittler sind auf Videoaufnahmen angewiesen – eine dürre Grundlage für Gerichtsurteile. Auch die beiden gestern festgenommenen Männer musste die Polizei am Nachmittag wieder freilassen. Daran wird auch die neue Polizeiführung nichts ändern können. Sie wird vollauf damit beschäftigt sein, kommende Großereignisse reibungsfrei über die Bühne zu bringen. Das erste folgt gleich heute, wenn Pegida vor dem Kölner Bahnhof demonstriert. Das nächste ist im Februar der Karneval – da herrscht in Köln wieder Ausnahmezustand, diesmal mit Ansage.


 

Jeder Ausländer kann ausgewiesen werden

Der Staat kann kriminelle Ausländer aus Deutschland ausweisen. Dabei unterscheidet der Gesetzgeber nicht zwischen Asylbewerbern, schon länger hier lebenden Migranten und anderen Ausländern. Bis zur Reform des Aufenthaltsgesetzes im vergangenen Jahr waren Straftäter mit fremdem Pass „zwingend“ auszuweisen, wenn sie zu mindestens drei Jahren Haft verurteilt worden waren.

 

Am 27. Juli 2015 trat das „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ in Kraft. Nun wird abgewogen zwischen dem „Ausweisungsinteresse“ des Staates und dem „Bleibeinteresse“ des Betroffenen (etwa persönliche und wirtschaftliche Bindungen in Deutschland). Das „Ausweisungsinteresse“ wiegt gemäß Aufenthaltsgesetz besonders schwer, wenn der Betroffene wegen vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist oder die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet. Wer eine „Ausweisungsverfügung“ erhält und nicht freiwillig ausreist, wird abgeschoben.

 

In Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention gilt ein Abschiebeverbot, wenn das Leben oder die Freiheit des Betroffenen in seiner Heimat bedroht ist. Wenn eine konkrete, individuelle Gefahr besteht wie Folter oder die Todesstrafe, gilt dies auch für Ausländer, die eine Gefährdung für die Sicherheit darstellen oder zu mindestens drei Jahren Haft verurteilt worden sind.


 

„Gewalt gegen Frauen ist alltäglich“

Von Marina Kormbaki

Berlin. Bundesfrauenministerin Manuela Schwesig (Bild) sieht erhebliche Mängel beim Schutz sexuell bedrängter Frauen. „Es ist dringend nötig, dass das Strafrecht geändert wird, um Frauen zukünftig besser vor Gewalt zu schützen“, sagte die SPD-Politikerin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland, dem auch diese Zeitung angehört. „Losgelöst von den Fällen in Köln gilt: Vergewaltigung muss konsequent bestraft werden. Nein heißt Nein! Das muss auch per Gesetz gelten.“ Sie unterstütze Justizminister Heiko Maas (SPD) bei dessen Vorhaben, Paragraf 177 des Strafgesetzbuches zu reformieren.

 

Derzeit gilt Geschlechtsverkehr nur in drei Fällen als Vergewaltigung: wenn er entweder mit Gewalt oder mit Drohungen gegen Leib und Leben erzwungen wird oder wenn der Täter eine schutzlose Lage des Opfers ausnutzt. Es genügt also nicht, dass eine Frau eindeutig „Nein“ sagt. „Eine Änderung der Gesetzeslage wird dazu beitragen, dass sich mehr betroffene Frauen zu einer Anzeige entschließen, dass weniger Strafverfahren eingestellt werden und dass sexuelle Übergriffe adäquat geahndet werden“, sagte Schwesig. Gewalt gegen Frauen sei alltäglich: „Sexuelle Übergriffe auf Frauen passieren jeden Tag. In Deutschland erlebt jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Gewalt – die Gewalt findet in der Mitte der Gesellschaft statt“, sagte Schwesig. Ihr Haus hat das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ freigeschaltet – das in 15 Sprachen abrufbare Angebot unter der Telefonnummer 08 000 116 016 habe in den letzten zwei Jahren rund 100 000 Kontakte ermöglicht.

 

Zahlreich sind derweil die Forderungen nach strengeren Gesetzen im Ausländerrecht, als Folge der vielen Übergriffe auf Frauen an Silvester. Die CDU fordert den Koalitionspartner SPD dazu auf, in der Asylpolitik stärker an einem Strang zu ziehen. „Es geht nicht, dass die Union immer für die harten und schwierigen Entscheidungen zuständig ist, und die SPD will die Bonbons verteilen“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber vor Beginn der CDU-Vorstandsklausur am Freitagabend in Mainz. Die Union verlangt, Abschiebungen strafrechtlich verurteilter Asylbewerber und Flüchtlinge rasch zu erleichtern. Die CDU will das Sicherheitsgefühl der Bürger mit mehr Videoüberwachung erhöhen und die „Schleierfahndung“ einführen, also verdachtsunabhängige Personenkontrollen.

 

Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte ein hartes Vorgehen des Staates gegen die Straftäter von Köln. „Ich glaube, dass der alte Satz von Gerhard Schröder: ,Kriminelle Ausländer haben in Deutschland nichts zu suchen’ – dass der natürlich richtig ist“, sagte der Vizekanzler am Freitag am Rande seiner Kuba-Reise in der Hauptstadt Havanna. Dies gelte auch für straffällig gewordene syrische Bürgerkriegsflüchtlinge.