Ex-Chef des Zentralrates der Juden leitet Verfassungsschutz in Thüringen

Erstveröffentlicht: 
20.11.2015
Stephan J. Kramer will als Quereinsteiger für frischen Wind in der Behörde sorgen VON SIMONE ROTHE

 

Erfurt. Thüringens rot-rot-grüne Regierung ist für Überraschungen gut: Für den desolaten Verfassungsschutz, den die Linke von Ministerpräsident Bodo Ramelow am liebsten abschaffen würde, hat sie eine erstaunliche Personalentscheidung getroffen. Stephan J. Kramer, zehn Jahre lang Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland und ein streitbarer Geist, wird den Nachrichtendienst leiten. „Ich liebe die Herausforderung“, sagt der 47-Jährige gestern in Erfurt. Und: „Ich glaube nicht, dass ich der Alibijude bin.“

 

Kramer steht ab 1. Dezember an der Spitze einer Behörde, der NSU-Aufklärer völliges Versagen, möglicherweise sogar Sabotage bei der Fahndung nach der aus Jena stammenden rechten Terrorzelle bescheinigten. Er macht deutlich, dass er sich in den vergangenen Jahren viel mit Rechtsextremismus befasst hat, auch dem in Thüringen. Wohl auch deshalb will er für frischen Wind beim angeschlagenen Verfassungsschutz sorgen, der nur etwa 100 Mitarbeiter hat. Kramer legt Wert darauf, „nicht der klassische Jurist zu sein“ – davon gebe es bei den Nachrichtendiensten schon genug. Er ist studierter Sozialpädagoge – mit Masterabschluss 2015 in Erfurt, also „kein gelernter Schlapphut“, sondern „Quereinsteiger“, wie er selber sagt. Aber er habe in seiner Arbeit für den Zentralrat der Juden viel mit der Sicherheit jüdischer Gemeinden zu tun gehabt. Von 2004 bis 2014 war Kramer Generalsekretär sowie Direktor des Büros des European Jewish Congress.

 

Aus dem Thüringer Verfassungsschutz, der nach dem Willen von Rot-Rot-Grün außer bei der Terrorgefahr ohne V-Leute auskommen muss, will er einen Nachrichtendienst im besten Sinne machen. Er soll Lagebilder liefern, die der Regierung richtige Entscheidungen bei Sicherheitsproblemen ermöglichen. Im Visier hat er vor allem den islamistischen Extremismus und Rechtsextremisten. Aber er werde auch vor anderen Spiel­arten des Extremismus die Augen nicht verschließen. Kramer, dessen Großvater und Vater aus Thüringen stammen, hat in der Vergangenheit gezeigt, dass er Position bezieht und Konflikte nicht scheut.