Hass auf die fremde Sprache

Erstveröffentlicht: 
06.11.2015

Eine Amerikanerin stellt sich vor zwei Araber, die in einer Straßenbahn angepöbelt werden. Ihr Akzent macht sie anschließend selbst zum Ziel des Hasses. Die Englischlehrerin wird mit einem Messer bedroht. Das Dresden, in dem sie seit Jahren lebt, hat sich verändert.

Bildunterschrift: In einer Straßenbahn pöbelt ein betrunkenes Paar Araber an. Wer ihnen hilft, wird auch angegangen.

 

Emily Smith* ist eine fröhliche Frau. Ihre dunklen Haare fallen locker über die Schulter, während sie Kaffee aufbrüht. Die Nervosität der letzten Wochen überspielt sie mit einem Lächeln. Die 40-Jährige will reden. Über die Attacke, die sie erlebt hat und über ihr Gefühl für diese Stadt, die sie vor zehn Jahren zu ihrer Wahlheimat erkoren hat. Es hat sich etwas verändert im letzten Jahr. Seit es Pegida gibt und jeden Montag Demonstranten mit Sprechchören durch die Stadt laufen. Seit es immer mehr Übergriffe auf Flüchtlinge und Asylheime gibt. Nun ist die Englischlehrerin selbst Opfer eines Angriffs geworden, den sie in Dresden niemals erwartet hätte. „Hier brodelt etwas, das bereit ist, zu explodieren.“

Es ist der 16. Oktober, ein kalter Herbsttag. Das Wochenende steht vor der Tür. Smith holt ihre einjährige Tochter von der Kinderbetreuung ab. An der Haltestelle Rathaus Pieschen steigen sie kurz vor 16 Uhr in die Bahn der Linie 13 in Richtung Prohlis und bleiben nahe der Tür. Rings um sie sind Mütter mit Kindern und eine Gruppe Teenager, die in die Neustadt will. Und da ist ein Paar, das Ärger macht. „Ich habe kaum zwei Sekunden gesessen, da hörte ich die Frau schreien“, sagt Smith. „Irgendetwas, dass jemand keinen Fahrschein hat.“ Smith kann im ersten Moment nicht erkennen, wer gemeint ist. Die Teenager setzen sich um, wollen möglichst weit weg von den beiden offensichtlich schwer angetrunkenen Krawallmachern. Später wird die Polizei Alkoholwerte von 1,8 und 2,1 Promille feststellen.

Die Frau, 34 Jahre alt, und ihr 35-jähriger Begleiter, beide Deutsche, kommen immer näher zu Emily Smith und ihrer Tochter, gestikulieren wild. Die Körperhaltung signalisiert Aggressivität. Doch die Amerikanerin ist nicht das Ziel – noch nicht. Ein paar Reihen hinter Mutter und Tochter sitzen zwei Männer, mutmaßlich aus dem arabischen Raum. Sie reden nicht, halten den Blick gesenkt. „Die saßen einfach nur da, das hat wohl gereicht, um sie anzuschreien“, sagt Smith. „Wer gibt diesen Rassisten eigentlich das Recht, andere nach der Fahrkarte zu fragen?“

Der betrunkene Mann schlägt mit der Faust gegen eine Trennscheibe neben der Tür, als wolle er der Wut seiner Partnerin Nachdruck verleihen. Weil das Paar nicht aufhört, die Männer anzuschreien, steht Emily Smith schließlich auf, will helfen, indem sie sich in den Gang stellt, damit die beiden Araber sehen können, dass sie nicht allein sind. Smith spricht Englisch mit den Männern. Nur einer versteht, was sie sagt, und dass sie helfen will. Das passt der betrunkenen Dresdnerin nicht. „Pass auf dein Kind auf“, zischt sie Smith mit bedrohlichem Unterton zu, macht dann einen Schritt rückwärts. Die Amerikanerin rückt auf. Vielleicht hören die beiden ja auf.

Aber das Paar stichelt weiter gegen die Araber, die sich kaum verständlich machen können. „Bist du sicher, dass du das tun willst“, schreit die Betrunkene Smith an, die immer noch da steht. Smith sagt: „ich bin sicher.“ Sie versucht, die Situation zu beruhigen, redet auf das Paar ein. Ihr Akzent verrät sie. Nun wird auch sie angeschrien, sie solle gefälligst deutsch lernen. Der Mann zückt ein Messer, fuchtelt damit demonstrativ vor Mutter und Tochter rum. Smith ist geschockt, besinnt sich aber schnell. Sie warnt die anderen Fahrgäste und läuft mit ihrer Tochter zum Fahrer, der schon telefoniert.

Noch ist die Lage unübersichtlich. Was, wenn der Mann mit dem Klappmesser ernst macht? Die Polizei ist offenbar schon unterwegs. An der Haltestelle Friedensstraße, der Spuk hat keine fünf Minuten gedauert, verlässt das aggressive Paar unbehelligt die Bahn. Smith sieht die beiden noch weglaufen. Das Messer landet in den Büschen. Eine Polizeistreife stellt die Frau und den Mann später in der Conradstraße. Gegen die beiden Dresdner wird nun wegen Bedrohung ermittelt.

Smith kann den Vorfall bis heute nicht vergessen, schläft seither kaum noch. „Ich habe mich selbst nie als Fremde in Dresden gefühlt, bis ich in der Bahn dazu gemacht wurde“, sagt sie. „Etwas an der Energie dieser Stadt hat sich verändert.“ Die Hemmschwelle für ausländerfeindliche Übergriffe sei seit Pegida gesunken, nicht nur verbal. „Wer zieht in einer Bahn voller Mütter und Kinder ein Messer? Das wäre sogar in New York total verrückt.“

Eigentlich ist sie glücklich in der Stadt, ihr Verlobter kommt von hier, die Tochter ist eine kleine Dresdnerin. Mittlerweile könne sie in den Augen vieler Menschen auf der Straße Hass sehen. „Ich dachte bisher, ich kann damit umgehen“, sagt sie. „Aber mit meiner Tochter hat sich alles geändert.“ Wenn sie mit der Kleinen jetzt in eine Bahn oder einen Bus steigt, schwingt da immer ein bisschen Angst mit. Warum das alles ausgerechnet in ihrem geliebten Dresden? „Hier gibt es jetzt so viel Rassismus, aber auch so viele großartige Menschen.“ Auch in der Bahn haben sich sofort andere Leute um sie gekümmert und Schokolade für das Kind ausgepackt. Bleiben will Emily Smith trotz der Stimmung in der Stadt, deren Bewohner in ihrer Wahrnehmung immer unversöhnlicher werden. „Ich bin niemals einfach davon gelaufen.“

 

* Name wurde auf Wunsch von der Redaktion geändert.