Dresden – eine Stadt zwischen zwei Lagern

Erstveröffentlicht: 
20.10.2015

Zum ersten Pegida-Jahrestag versammelten sich Zehntausende Sympathisanten und Gegner an der Elbe

 

Dresden. Die Stimmung ist aufgeheizt auf dem Theaterplatz direkt an der Semperoper. Überall wehen Fahnen, Anti-Merkel-Plakate, und auch das eine oder andere Schild mit der Aufschrift „Danke Ungarn“ sind zu sehen. Es ist kurz nach 18 Uhr in Dresden, das fremdenfeindliche Pegida-Bündnis hat zum ersten Jahrestag aufgerufen. Und die Stadt, die sich gern Elbflorenz nennt, befindet sich im Ausnahmezustand, wieder einmal. Am Rande des Platzes Richtung Elbe ist eine moderne Leinwand aufgebaut, davor eine Bühne, die Aktionsplattform für Lutz Bachmann, den Pegida-Gründer. Auf der anderen Seite, direkt beim Zwinger, steht eine Reiterstaffel der Polizei bereit – für alle Fälle.

 

Das ist durchaus angemessen angesichts des prekären Szenarios an diesem Montag in Dresden. Denn seit Tagen ist klar: Es werden nicht nur viele Tausende Pegidisten auf den Beinen sein, sondern auch wesentlich mehr Gegendemonstranten als sonst – und bis zu 2500 Gewaltbereite aus beiden Lagern. Davon ist gegen 18 Uhr aber noch nichts zu spüren. Zwar werden schon mal zum Warmmachen einige der bekannten Sprüche wie „Volksverräter“ und „Lügenpresse“ skandiert, ansonsten aber ist die Lage halbwegs ruhig. Schließlich befinden sich die „erlebnisorientierten“ Truppen der Antifa noch auf dem Weg Richtung Altstadt, und die harten, ebenfalls gewaltbereiten Teile von Pegida haben ganz offensichtlich noch keinen Anreiz, ihrerseits loszulegen.

 

Vor dem Platz wiederum stehen Anhänger von Die Partei, singen und tanzen. Einer trägt ein Tortenkostüm, über dem Mund ein kleines Hitler-Bärtchen. Auf dem Schild daneben steht „Rational befreite Zone“, eine Verballhornung eines bekannten Neonazi-Slogans. Doch es gibt auch anderen Protest. Ein Mann hält den ankommenden Pegidisten ein Schild entgegen, darauf steht: „Als Gott Verstand und Mitgefühl verteilt hat, war Pegida spazieren.“ Natürlich wird er dabei von Bachmann-Fans hart angemacht und kritisiert. Aber auch hier bleibt es friedlich, schließlich steht reichlich Polizei rundherum.

 

Das ändert sich eine halbe Stunde später. Eben gerade hat Bachmann das erste Mal das Wort ergriffen und seinen Anhängern insgesamt 10 000 Pegida-Kekse als Dank für ihr Kommen versprochen, da gehen die ersten Böller hoch, fliegen die ersten Silvesterraketen in Richtung der politischen Gegner – aus beiden Lagern wohlgemerkt, von den Linken nahe der Augustusbrücke in Richtung Pegidisten und umgekehrt. Wirklich ernst wird es zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht. Gut 20 Minuten später schließlich tritt Bachmann erneut ans Mikro, spricht von Verleumdung gegen das, was er seine Bewegung nennt. „Aber wir sind immer noch da“, ruft er der Menge entgegen. „Und wir bleiben, und wir bleiben, um zu siegen.“ Ein Sieg, der laut Bachmann sowieso unausweichlich ist.

 

Das genau ist die Phase, wo es brenzlig zu werden beginnt, rund um den Theaterplatz. Denn mittlerweile hat auch ein Teil des sogenannten schwarzen Blocks die Außenbereiche des Areals erreicht, also jene Truppenteile der Antifa, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken. Eingepfercht zwischen den engen Häuserschluchten stauen sie sich kurz vor dem Platz auf, zusammen mit Studenten und anderen Linken. Davor hat sich ein starker Riegel aus Polizisten in Kampfmontur aufgebaut – Durchkommen unmöglich. Innen drin wiederum steht eine kleine Gruppe von AfD-Anhängern im Pegida-Bereich, darunter ein Mitglied der Landtagsfraktion.

 

Zusätzlich aufgeladen wird die Stimmung durch das Attentat auf die am Sonntag gewählte Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos), einer Attacke, bei der die Polizei von fremdenfeindlichen Motiven ausgeht. Auch in Dresden hat sich der Ton im Vorfeld längst erheblich verschärft. Nicht nur Pöpeleien, auch Fußtritte und Faustschläge von Pegidisten gegen Journalisten sind längst auf der Tagesordnung, hinzu kommt die Galgen-Attrappe an die Adresse von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie Vize Sigmar Gabriel (SPD).

 

Zu den Gegenprotesten hat ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Vereinen und Initiativen aufgerufen unter dem Motto „Herz statt Hetze“, per Sternlauf ziehen mehrere Demonstrationszüge in Richtung Altstadt. Man wolle den Tag so gestalten, „dass er für Pegida kein Erfolg wird“, hatte Silvio Lang vom Bündnis Dresden Nazifrei zuvor mitgeteilt.

 

Dabei war seit Tagen klar, wie heikel die Lage werden sollte. Immerhin sicherten dann über 1000 Polizisten die Aufmärsche ab. Am Abend lautet die vorläufige Bilanz: Rund 20 000 Pegida-Anhängern standen 15 000 No-Pegida-Demonstranten gegenüber. Ein Pegida-Teilnehmer wurde bei Auseinandersetzungen schwer verletzt. Nach Ende der Kundgebungen gab es vor allem rund um die Ostra-Allee Scharmützel mit der Polizei.

 


 

 

Lazar: „Wir dürfen Pegida nicht das Feld überlassen“

Bundestagsabgeordnete der Grünen über ihre Eindrücke

Dresden. An den Pegida-Gegende-monstrationen gestern in Dresden nahmen auch Leipziger teil, darunter die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Monika Lazar. Wir sprachen mit der Leipzigerin am Abend.

 

Sie nehmen an der Gegendemo in Dresden teil. Wie sind Ihre Eindrücke?


Angereist sind wir mit vier Bussen aus ­Leipzig, organisiert von Leipzig nimmt Platz. 200 Leute etwa. Die Stimmung bei uns im Bus, auf der Straße und jetzt hier hinter der Kreuz­kirche ist hervorragend. Es ist laut, aber friedlich. Tausende haben sich versammelt. An den anderen Zügen des Sternenmarsches sollen ebenfalls Tausende teilnehmen. Das ist ein ­toller Erfolg, dass so viele gekommen sind.


Die Polizei berichtet von Zusammenstößen, von Verletzten und vereinzelten Böllerwürfen. Ihr Eindruck ...


Davon haben wir nichts mitbekommen. Absolut nichts. Gewalt jeder Art ist zu verurteilen. Bei uns sind alle entspannt, einige haben ihre Kinder mitgebracht. Von der Kundgebung von Pegida gegenüber auf dem Theaterplatz hört man hier nichts. Ehrlich gesagt bin ich auch ganz froh darüber. Diese Hetze ist doch unerträglich.


Warum marschieren Sie als Leipzigerin in Dresden mit?


So oft ich es ermöglichen konnte, bin ich bei den No-Legida-Protesten in Leipzig dabei gewesen. Wir dürfen diesen Be­wegungen wie Legida oder Pegida nicht ­das Feld überlassen, müssen unseren friedlichen Protest dagegenstellen. Das ist nicht das Volk, das da auf die Straßegeht. Das müssen wir der Welt zeigen. In Leipzig hat das geklappt, die Bewegung hat bei Weitem nicht den Zulauf wie ­Pegida in Dresden. An der Elbe, und das verwundert mich sehr, sind bislang viel weniger Menschen zu den Gegendemonstrationen gegangen. Als es hieß, dass die islamfeindliche Bewegung zu ihrem Jahrestag überregional mobil macht, war für mich klar: Da müssen wir gegenhalten.


Die Rufe werden lauter, Pegida-Ver­anstaltungen zu verbieten. Wie sehen Sie das?


Man hat sich fast daran gewöhnt, dass Politiker oder Journalisten beschimpft, ja vereinzelt sogar tätlich angegriffen werden. Der Ton bei Pegida wird aber von Mal zu Mal aggressiver, wie die Aufrufe zu Gewalt, das Tragen von Galgen zeigen. Die Wortwahl der Redner jagt mir schon einen kalten Schauer über den Rücken. Pegida ist mitverantwortlich dafür, dass sachsenweit die Hemmschwelle für Bedrohungen und Anschläge in den letzten Wochen und Monaten gesunken ist. Wohin rassistische Hetze führt, hat das Attentat auf die Kölner Politikerin Henriette Reker gezeigt. Das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Das müssen wir bewahren. Wer aber Asylbewerber pauschal als Verbrecher beschimpft, muss mit Konsequenzen rechnen. Strafrechtlich relevante Äußerungen müssen geahndet werden.

 

Interview: Andreas Dunte