Es geht ein Riss durch Dresden

Erstveröffentlicht: 
19.10.2015

In keiner Stadt haben die Islamfeinde von Pegida mehr Zulauf als hier. Dresden wird von vielen Außenstehenden als Hochburg der Rechtsextremen bezeichnet. Pegida wird in dieser Woche ein Jahr alt. Aber stimmt das Urteil über Dresden? Die Stadt hat zwei Gesichter, ein freundliches und ein hässliches.

 

Das ist die Stadt der wenig beachteten Integrationshelfer
Von Christoph Stephan

Margareta Noeske ist Dresdnerin. Und sie engagiert sich für Ausländer. Ganz privat. In den überregionalen Medien wurde über diese Frau bislang nicht berichtet. Die 64-jährige Galeristin steht für das andere Gesicht von Dresden – eine freundliche, weltoffene Metropole. Außerhalb der Grenzen der sächsischen Landeshauptstadt wird das derzeit wenig beachtet. Wenn heute von Dresden die Rede ist, geht es zumeist um die selbsternannten „Patriotischen Europäer“ von Pegida. In keiner anderen Stadt lockt diese Bewegung mit ihren dumpfen Parolen so viele Menschen auf die Straße.

 

Leute wie Noeske haben Mühe, dem in der medialen Aufmerksamkeit etwas entgegenzusetzen. Dabei zeigt doch ein simpler Zahlenvergleich, dass man Pegida mit der sächsischen Hauptstadt nicht gleichsetzen kann. Der bisherige Teilnehmerrekord von Pegida liegt bei rund 25 000 Menschen. In Dresden leben aber mehr als 536 000 Einwohner, weitere 200 000 in den Umlandgemeinden. Sehr viele von ihnen haben kein Problem mit Flüchtlingen, viele kümmern sich sogar gern um sie.

 

Viele kleine Episoden erzählen die Geschichte vom anderen, freundlichen Dresden. An der Technischen Universität waren innerhalb von 24 Stunden mehr als 300 Freiwillige rekrutiert, Studenten wie Wissenschaftler, die Turnhallen auf dem Campus für Flüchtlinge herrichten sollten. Sie packten an, besorgen und verteilen Essen, organisieren Kleiderspenden. „Die Hilfsbereitschaft ist so enorm, dass wir eine hundertprozentige Personalstelle eingerichtet haben, die sich um die zahlreichen Hilfsangebote und Projekte aus der Universität kümmert, sie prüft, koordiniert und kanalisiert“, berichtet stolz der Rektor der TU Dresden, Prof. Hans Müller-Steinhagen.

 

Auch Margareta Noeske opfert einen großen Teil ihrer Freizeit für die in Dresden ansässigen Ausländer, übt mit ihnen die deutsche Sprache. Einer ihrer Schützlinge lebt in einem der Flüchtlingszelte, ein junger Afghane. Dank ihrer Hilfe kann er nun schon deutsch lesen und schreiben. Noeske bemüht sich zudem um ausländische Wissenschaftler, Studenten und deren Angehörige. „Als Austauschschülerin in den USA habe ich selbst erlebt, wie wichtig es ist, Menschen zu haben, die sich in einer fremden Umgebung um einen kümmern“, erklärt sie.

 

Der Aufbau einer Dresdner Willkommenskultur liegt der Galeristin sehr am Herzen. Deshalb ist sie auch eine von 30 Paten des Vereins „Dresden – Place to be!“, den Wissenschaftler ins Leben gerufen haben, und zwar noch einige Monate vor der Pegida-Gründung im Oktober 2014. Beim Kongress der deutschen Zeitungsverleger wurde der Verein kürzlich mit dem Bürgerpreis bedacht. „Dresden will die klügsten Köpfe der Welt in die Stadt holen. Das gelingt nur, wenn sich die Forscher hier auch wohlfühlen. Dazu wollen unsere Paten beitragen“, sagt die Vereinsvorsitzende Elisabeth Ehninger.

 

Die Grundidee klingt einfach: Wer am Wochenende einen Ausflug mit der Familie unternimmt, ruft als Pate seinen ausländischen Schützling an und nimmt ihn einfach mit, führt ihn damit ein in die deutsche Gesellschaft. „Wir haben auch zwei junge Männer zusammengebracht, die regelmäßig bei sich kochen, Konzerte besuchen und in Kneipen gehen“, erläutert Ehninger. Margareta Noeske kümmert sich als Patin unter anderem um Tanya Chehlarova. Die 30-Jährige stammt aus Bulgarien, wanderte als Jugendliche mit ihren Eltern nach Kanada aus und folgte ihrem Mann vor knapp zwei Jahren von Toronto nach Dresden. Der Wechsel war für die junge Frau, Mutter eines fünfjährigen Sohnes, alles andere als einfach. Sie wurde aus ihrem Beruf als Bankkauffrau herausgerissen, spürte rasch, wie wenig sie mit den geringen Deutschkenntnissen vorankam.

 

Über „Dresden – Place to be!“ lernte Tanya Chehlarova ihre heutige Patin Margareta kennen. Die beiden trafen sich zum Kaffee, plauderten viel über Kunst. Dieser unverkrampfte Umgang mit der deutschen Sprache war es, der ihr den Einstieg erleichterte. Und wie denkt die 30-jährige Bulgarin über das Auftreten der Islamistenfeinde? „Natürlich fühle ich mich als Migrantin durch Pegida nicht mehr so willkommen wie früher. Aber ich weiß, dass hier ganz viele liebe Menschen leben, die anders sind. Pegida ist nur ein kleiner Teil von dem, was in Dresden derzeit passiert.“

 

Den Mitgliedern von „Dresden – Place to be!“ ist es auch zu verdanken, dass Dresden im Januar ein weltweit beachtetes Signal für Toleranz setzte. 25 000 Menschen feierten vor der Frauenkirche ein fröhliches Volksfest. „Wir hatten das dringende Bedürfnis, der gespenstischen Atmosphäre von Pegida etwas Buntes entgegenzusetzen“, sagt Ehninger.

 


 

Das ist die Stadt der aufbegehrenden Fremdenfeinde
Von Christoph Springer

 

Der heutige Montag ist ein besonderer Tag, sozusagen ein Jahrestag. Pegida, die islamfeindliche Bewegung, wird ein Jahr alt. Es ist für die Organisatoren ein Grund zum Feiern. Die ganze Republik spricht über Pegida, keiner kann diese Gruppierung ignorieren. Wer hätte das vor zwölf Monaten gedacht?

 

Immer montags, wenn es dunkel wird, marschiert Pegida. Dann ziehen Tausende „Patriotische Europäer gegen die Islamlisierung des Abendlandes“ durch Dresden. Sie rufen „Volksverräter“, „Lügenpresse“ und „Wir sind das Volk“. Sie ziehen die Dunkelheit vor und sehen sich dennoch nicht als dunkle Masse, sondern als besorgte Bürger. Zum Schluss ihrer sogenannten „Montagsspaziergänge“, mit denen die Islamfeinde ganz bewusst die Tradition der Montagsdemonstrationen von 1989 aufnehmen, halten sie ihre hell leuchtenden Handys in die Höhe. Dann steht Pegida-Gründer Lutz Bachmann auf der Bühne und jubelt ihnen zu: „Fantastisch! Dresden zeigt, wie’s geht!“

 

„Dresden ist das Zentrum des Widerstandes“, hat Stephen Yaxley-Lennon alias Tommy Robinson, der Gründer der rechtsextremen „English Defence League“, vor einer Woche in Utrecht (Holland) hervorgehoben. Dieses Lob nimmt Bachmann, der wie Robinson bereits wegen diverser Delikte im Gefängnis saß, gern an – denn Pegida ist seine Bewegung. Der 42-Jährige aus einem Dorf nahe der Hauptstadt steht für die „Patriotischen Europäer“, spricht bei jeder Kundgebung und zieht die Fäden im Pegida Förderverein e.V..

 

Vor einem Jahr starteten die Islamfeinde mit kleinen Demonstrationen. Gerade mal 350 Pegida-Anhänger zogen am dritten Montag im Oktober durch Dresden. Doch die Bewegung wuchs schnell. Schon Anfang Dezember folgten mehr als 10 000 Menschen dem Aufruf. Daran änderte auch Bachmanns Eingeständnis nichts, er habe früher „Mist gebaut“. Der Fleischerssohn und gelernte Koch wurde wegen Diebstahls in 16 Fällen verurteilt, besaß Kokain und flüchtete vor den deutschen Strafverfolgern nach Südafrika.

 

Die „Patriotischen Europäer“ waren seit Anfang Dezember 2014 nicht mehr zu übersehen. Sie trafen sich zu Demonstrationen im Stadtzentrum und zogen in der Adventszeit regelmäßig an Dresdens touristischem Aushängeschild, dem Striezelmarkt, vorbei. Bis dahin hatte es Sachsens Regierung erfolgreich vermieden, Stellung zu beziehen. Nur Innenminister Markus Ulbig (CDU) sprach Klartext und nannte die Organisatoren der Demonstrationen „Rattenfänger“. Spätestens als Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache offen auf Distanz zu Pegida ging, spürten Bachmann und seine Getreuen ein deutlich ansteigendes Interesse – vor allem der nationalen und internationalen Medien. Reichlich 14 Tage später war die damalige Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel in der Sonntagabend-Talkshow von Günther Jauch zu Gast und tags darauf beendeten Bachmann und Oertel ihr bis dahin eisernes Schweigen. Sie luden zu einer Pressekonferenz in die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung. „Diese Pressekonferenz soll ein Anfang für jedweden Dialog sein“, fügte Oertel hinzu.

 

Der Dialog endete schon eine Woche später. Inzwischen hatten die Medien Bachmanns wahres Gesicht offenbart. Bei Facebook hatte der Pegida-Anführer bereits ein knappes halbes Jahr zuvor Asylbewerber als „Viehzeug“, als „Gelumpe“ und „Dreckspack“ gezeichnet. Außerdem tauchte ein Foto auf, auf dem er als Führer posierte. Bachmann zog die Reißleine und verabschiedete sich aus der Pegida-Spitze. „Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Bürgern, die sich von meinen Postings angegriffen fühlen“, sagte er.

 

War das nun der Beginn einer Hinwendung von Pegida zur politischen Mitte? Das Gegenteil war der Fall. Bachmann hatte sich nur taktisch zurückgezogen und nie die Absicht gehabt, die Fäden aus der Hand zu geben. Es war die weniger radikale Oertel, die sich abwandte. Bachmann war bald wieder zurück – und an seiner Seite stand immer öfter eine andere Frau, die gebürtige Hamburgerin Tatjana Festerling, die später auch Oberbürgermeisterkandidatin von Pegida wurde. Sie ist politisch mit Bachmann auf einer Wellenlänge.

 

Der lange angekündigte Auftritt des holländischen Rechtspopulisten Geert Wilders bei Pegida im April, bei dem Bachmann mit bis zu 30 000 Teilnehmern rechnete, war ein Flop: Gerade 10 000 Menschen kamen. Die Pegida-Teilnehmerzahlen kletterten erst wieder, als die Flüchtlingszahlen in Deutschland stiegen. Frank Richter, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, sieht drei Phasen: Die Politisierung bis etwa Ende 2014, dann die Differenzierung mit dem Abschied von Kathrin Oertel und schließlich die Phase der Stabilisierung und Radikalisierung seit dem späten Frühjahr.