In den Schatzkammern der Reichen

Erstveröffentlicht: 
15.10.2015

Die Idee ist bestechend: In festungsartigen Bergtresoren lagern Europas Millionäre ihre Schätze - und sparen immense Steuern einfach dadurch, dass sie sie dort nicht wegbewegen. Das Geschäft mit den Zollfreilagern boomt, aber die Zweifel an der Legalität dieses Steuertricks werden zumindest in der Schweiz immer stärker.

 

Von Jörg Köpke

 

Berlin. Es sind gewaltige Festungen aus Granit, Tuff oder Basalt. Mit meterdicken Natursteinmauern ohne Fenster, allenfalls mit ein paar schmalen Schlitzen versehen, die an Schießscharten erinnern. König Friedrich Barbarossa hätten diese Bollwerke vermutlich gefallen. Doch die Trutzburgen der Moderne schützen keinen von Mythen umrankten Staufer-Herrscher. Sie beherbergen die Schätze der Gegenwart: wertvolle Gemälde und Skulpturen, Gold, Platin und Diamanten, Uhren, Oldtimer oder kostbare alte Weine. Die Luxusbunker stehen in Steuerparadiesen wie der Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg, Singapur oder Hongkong. Für Superreiche und von Niedrigzinsen und Euro-Krise geplagte Steuermuffel sind sie vor allem aus einem Grund hochinteressant: wegen ihrer Funktion als Zollfreilager.


Einer dieser Superreichen ist Claus Richter (Name geändert). Sein Vater baute in Deutschland nach dem Krieg einen erfolgreichen Konzern auf. Nach dem Tod des Gründers verkauften die Erben das Unternehmen für einen dreistelligen Millionenbetrag an einen amerikanischen Hedgefonds. Das Geld investiert der heute 65-jährige Sohn seither in Kunst, vor allem in wertvolle Bilder und seltene Möbel. "Irgendwann wurde unsere Villa in Baden-Baden zu klein. Und zum Tauschen und Weiterverkaufen sind Zollfreilager ideal", schwärmt Richter, der auch edle Bordeaux-Rotweine aus längst vergangenen Epochen durchaus zu schätzen weiß.
Doch was genau haben Wohlhabende davon, wenn sie ihre Pretiosen an solchen Orten verschanzen? "Für Investoren ist es natürlich ein Anreiz, Edelmetalle außerhalb der EU zu besitzen", wirbt das deutsch-schweizerische Handelsunternehmen Pro Aurum in Hochglanzbroschüren für seine Zollfreilager in der Schweiz und in Hongkong. "Lagern Sie Ihre Zukunft zollfrei", lautet der Slogan. Der Mindesteinlagewert liegt bei 10000 Schweizer Franken. Auch wenn die findigen Händler "die stabilen politischen Verhältnisse in der Schweiz" als Motivation anpreisen, wird schnell klar, worum es eigentlich geht: "19 Prozent Mehrwertsteuer werden erst fällig, sobald die Schätze die Schweiz in Richtung Deutschland verlassen", erklärt der Schweizer Pro-Aurum-Geschäftsführer René Buchwalder.


Eigentum verpflichtet, heißt es in Artikel 14 des deutschen Grundgesetzes. Soll heißen: Wer etwas besitzt, muss darauf Steuern zahlen. "Kommunistisches Geschwätz" nennt das Multimillionenerbe Richter und räkelt sich genüsslich in seinem braunen Ledersessel, einem antiken Stück aus Kolonialzeiten in "Belgisch Kongo". Richter lässt seine Kostbarkeiten schon lange nicht mehr nur aus Platzmangel von Baden-Baden in die Schweiz bringen. Denn bleiben die Wertstücke gut verwahrt im voll klimatisierten Bunker, können die eingesparten Steuern - bei Einlagen mit Milliardenwerten durchaus beträchtliches Kapital - in der Zwischenzeit andernorts Früchte tragen. Repräsentative Verkaufshallen mit Videokonferenzsälen geben den Mietern von Natursteintresoren die Möglichkeit, ihren Picasso gegen ein paar Kilogramm Gold oder exquisite Wein-Raritäten zu tauschen. Steuerfrei, versteht sich, denn nichts von alledem muss dafür auch nur einen Zentimeter bewegt werden. Der Mann von Geld tauscht Ware gegen Ware im steinernen Verlies. Zu allem Überfluss sind die Lager hinsichtlich Geheimhaltung und Kontrollvorschriften ähnlich konzipiert wie Offshore-Finanzplätze. Und die kennen Millionäre mit einem Faible für gewisse Steuersparmodelle nur zu gut.


Über Jahrzehnte dienten die Katakomben, Betonhallen und ehemaligen Alpenbunker als kurzfristige Transitdepots für Importeure und Weiterverkäufer. Längst jedoch sind sie zu geheimen Dauereinrichtungen im steuerrechtlichen Niemandsland geworden. Seit dem Bröckeln des Bankgeheimnisses entstehen immer mehr dieser mysteriösen Schatzkammern. Allein in der Schweiz gibt es laut einem Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) von 2013 mittlerweile 245 offene Zolllager mit Werten von insgesamt 14 Milliarden Euro. Hinzu kommen zehn Zollfreilager, deren Inhalt Versicherer auf wenigstens 100 Milliarden Euro taxieren.


Das größte von ihnen ist ein sechs Stockwerke hoher Steinklotz bei Genf mit etwa 100000 Quadratmetern - einer Fläche, die 14 Fußballfeldern entspricht. Das Genfer Lager, das auch Multimillionär Richter nutzt, soll nach Schätzungen von Kunstliebhabern allein 300 Gemälde von Picasso beherbergen. Es wäre damit die zweitgrößte Picasso-Sammlung der Welt. Das Zollfreilager St. Gotthard 90 Kilometer südlich von Zürich wirbt gar mit"kugel- und explosionssicheren Türen".


Weil die Schweizer Bergtresore längst aus allen Nähten platzen, entsteht bis Anfang 2017 am Rande der Liechtensteiner Gemeinde Mauren ein neues riesiges Lager - "voll klimatisiert und hoch gesichert", wie Birgit Vikas, Geschäftsführerin des Wiener Logistikunternehmens Kunsttrans, versichert. Vor gut einem Jahr nahm bereits der Luxemburger Freeport seinen Betrieb auf. In dem hochmodernen Bau achten die Betreiber unter anderem peinlich genau darauf, dass Temperatur und Luftfeuchtigkeit stets gleich bleiben. Wein kann so vibrationsfrei reifen. 80 Prozent der Luxemburger Fläche sind bereits vergeben. An wen? Kein Kommentar. Diskretion geht über alles.


Ganz ungestört laufen die Geschäfte allerdings nicht mehr ab. Geldwäscheskandale und spektakuläre Fälle von Steuerhinterziehung haben zumindest in der Schweiz die Steuerfahnder auf den Plan gerufen. Der EFK ist es ein Dorn im Auge, dass Güter zum Teil jahrzehntelang in den Zollfreilagern verwahrt werden. Zudem keimt der Verdacht, die eingelagerten Kunstschätze könnten mit "schmutzigem Geld" bezahlt worden sein. Allein 2014 wechselten weltweit Kunst und Antiquitäten im Wert von 47 Milliarden Euro die Besitzer. Vieles davon landete in Zollfreilagern der Eidgenossen und wird seither kaum noch bewegt. Laut jüngstem EFK-Bericht ist das Risiko des Missbrauchs "für vielerlei Delikte von Steuerhinterziehung über Geldwäsche bis zu verbotenen Geschäften mit Rohdiamanten und Kulturgütern erheblich". Die Behörde fürchtet einen "Reputationsverlust für den Standort Schweiz" und hat daher dem Parlament des Alpenlandes, dem Bundesrat, empfohlen, bis Ende dieses Jahres eine Strategie zu entwickeln, wie künftig verfahren werden soll. Kunsthandel, so heißt es, sei inzwischen sogar "ein probates Mittel zur Finanzierung von Terrororganisationen".


Auch in Deutschland wächst das Unbehagen. Offiziell erklärt das Bundesfinanzministerium zwar, es lägen "keinerlei Erkenntnisse darüber vor, dass eine Neigung deutscher Steuerpflichtiger besteht, in Zollfreilagern wertvolle Kunstgegenstände dauerhaft einzulagern". Hinter vorgehaltener Hand spricht ein Steuerfahnder jedoch Klartext: "Was früher die dubiosen Bankkonten waren, sind heute die Bunker und steinernen Tresore - der Verdacht, dass dort Steuerhinterziehung im Spiel ist, liegt nahe."


Noch bunkern die Superreichen ihre Kostbarkeiten aber weitgehend ungehindert in den steinernen Hightech-Festungen. Und scheuen keine Mühen bei der Erhaltung ihrer Werte: In einem Depot in der Schweiz liegt eine mehrere Millionen Euro teure Stradivari-Geige. Das Klima in der Berggrotte bekommt dem wertvollen Instrument indes nicht besonders gut. Also hat sein Besitzer kurzerhand einen Konzertgeiger engagiert. Zweimal pro Woche spielt der nun die Geige im Bunker, auf dass die Stradivari ihren Marktwert möglichst lange behält.