Eine Woche in Sachsen

Erstveröffentlicht: 
29.09.2015

Sachsen ist das Bundesland, in dem allem Anschein nach viele Menschen etwas gegen Nicht-Sachsen haben. Aber manchmal trügt der Anschein ja auch und die Dinge sind anders, als sie scheinen. Wir haben uns die letzte Woche deswegen genauer angeschaut, um rauszufinden, ob Sachsen tatsächlich so sehr von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit geplagt ist, wie alle immer sagen.

 

Vor einer Flut von Flüchtlingen fürchten sich Sachsens Rassisten derzeit am meisten. Dabei überschwemmen sie das Land gerade eher selbst. In der vergangenen Woche haben in Sachsen 21 rechte, rassistische und nicht gerade friedliche Demos stattgefunden.

 

Die rassistische Stimmung in Sachsen nimmt zu. Während sich dreimal am Tag Rassisten in Sachsen versammelten, um gegen die Unterbringung von Flüchtlingen zu demonstrieren, schlugen sie gleich mehrmals zu. In Dresden wurde ein Flüchtling am Hauptbahnhof angegriffen, zwei Kilometer weiter bekamen zwei junge Araber Pfefferspray aus einem fahrenden Auto ins Gesicht. In Heidenau verletzten Unbekannte vier Bewohner der dortigen Erstaufnahmestelle für Geflüchtete, kurze Zeit später wurden im Bürgerbüro des stellvertretenden Ministerpräsidenten Martin Dulig (SPD) die Scheiben eingeworfen und der Sprecher des Bündnisses „Dresden für alle" bekam einen Drohanruf. Nach einer rechten Demo in Leipzig fuhren Neonazis Runden und griffen ein alternatives Hausprojekt mit Pyrotechnik an.

 

Auch in Niederau, wo sich der Mob an drei Tagen in Folge vor einer neuen Flüchtlingsunterkunft versammelt hat, kam es zu Gewalt: Die vermeintlich besorgten, auf jeden Fall aber stark alkoholisierten Bürger griffen am Freitagabend Kräfte des Technischen Hilfswerks an, die nach dem Aufbau der Feldbetten im Heim abreisen wollten. Sie blockierten ihre Abfahrt und bewarfen die Autos mit Bierflaschen. Außerdem versuchten sie, den Bauzaun am Gelände umzuwerfen. Beobachter der Szenerie wurden ebenfalls angegriffen, die Wütenden schlugen mit Zaunlatten auf ihr Auto ein und zerstörten dabei einen Seitenspiegel. Das Dorf bei Meißen, in dem ein leerstehender Real-Markt zum tristen Bettenlager für die Geflüchteten wurde, liefert ein Beispiel für das Zusammenspiel vom CDU-Politiker bis zum randalierenden Neonazi.

 

So beschwerte sich Daniela Kuge, die für die CDU im sächsischen Landtag sitzt, zunächst über zu viele Erstaufnahmeeinrichtungen in ihrer Region und rief später dazu auf, sich „auf ordentliche Art und Weise" gegen das Heim zu wehren. In einer Facebook-Gruppe, in der sich die Rassisten zu ihren abendlichen Hetztouren verabredeten, war Kuge ebenfalls Mitglied und bedankte sich dort für den Rückhalt in der Bevölkerung. (Screenshot liegt vor)

 

Kuge ist allerdings nicht die einzige CDU-Poltikerin, die bei den Anti-Asyl-Protesten in Sachsen eine Rolle spielt. Bei einer Kundgebung in der NSU-Unterstützerhochburg Johanngeorgenstadt war der Landtagsabgeordnete Alexander Krauß sogar Hauptredner und sprach „den Leuten, die auf Bahnhöfen Migranten tanzend begrüßen", kurzerhand den Verstand ab.

 

Die Kundgebung, die er besuchte, zählt zu den gemäßigteren Demos, die dennoch von vielen Neonazis besucht werden. Sie liefern den Nährboden für rassistisches Gedankengut, indem sie den Leuten einreden, es wäre OK, mit Nazis gemeinsam gegen Flüchtlingsheime im Ort mobil zu machen.

 

Allgemein reichte das Spektrum der Demos in Sachsen von einer abgespeckten Pegida-Variante bis zu offen neonazistisch auftretenden Gruppen. Im vogtländischen Plauen ging das sogar soweit, dass jetzt gleich zwei Gruppierungen wöchentlich auf die Straße gehen. Die eine nennt sich Der III. Weg und gilt als Nachfolge-Partei der Neonazi-Kameradschaft „Freies Netz Süd". Die anderen nennen sich „Wir sind Deutschland". Sie distanzieren sich zwar von rechts und links, haben aber ein Programm, das dem von Pegida stark ähnelt. Den 2.000 Zuhörern boten die Plauener Redner die ganze Bandbreite von Friedenspolitik bis hin zur Behauptung, 80% aller Flüchtlinge würden sich „benehmen wie das Letzte".

 

Die meisten Kundgebungen und Aufmärsche in der Woche fanden in der typischen „Nein-zum-Heim"-Manier in Kleinstädten statt: Teilweise mehrere Hundert „besorgte Bürger", manche mit Reichsfahnen, machten einen Spaziergang und tauschten mit den lokalen NPD-Kreisräten den neuesten Facebook-Klatsch über Flüchtlinge aus. Dabei schöpfen sie aus dem endlos gewordenen Paralleluniversum von „Alternativmedien", die in ihrer Sicht die einzige Wahrheit vermitteln—im Gegensatz zur verhassten „Lügenpresse".

 

Widerstand gegen die rassistischen Proteste oder fundierte Kritik an der Unterbringung in Massenunterkünften sucht man unterdessen vielerorts vergebens. In Dresden wuchs Pegida in der vergangenen Woche wieder auf 7.500 Teilnehmer, organisierten Gegenprotest gab es keinen. Als eine Gruppe Schüler zufällig dem Marsch begegnete und „Nazis raus!" rief, wurden sie geschubst und bedroht.

 

Auch der Chemnitzer Stadtteil Einsiedel ist so ein Ort, an dem man den Eindruck bekommen könnte, dass hier wirklich niemand Flüchtlinge haben will. Vergangenen Mittwoch demonstrierten dort über 500 Menschen gegen eine geplante Unterkunft, in der zunächst bis zu 544 Flüchtlinge unterkommen sollen. Aufreger war vor allem die Sicherheit. Ein älterer Herr erklärte den Anwesenden, wie gefährlich das Heim aufgrund seiner Brennstofftanks sei. Nach Ende der Versammlung machten die Anwohner schnell klar, worum es wirklich geht: „Im Grunde sind wir uns alle einig: Niemand will die hier haben. Aber erst mal steht die Sicherheit im Vordergrund!"

 

Einige Lichtblicke gab es dennoch. In Leipzig nervten über 3.000 Leute etwa 350 Neonazis und Verschwörungstheoretiker, als diese unter dem Namen „Offensive für Deutschland" eine Mini-Runde durch die Innenstadt drehten. Als in Plauen und Döbeln die NPD und Der III. Weg aufmarschierten, versammelten sich die Neonazigegener spontan und verhinderten in Plauen sogar mit einer Platzbesetzung, dass die Rechten ihre Kundgebung direkt vor einem Flüchtlingsheim abhalten konnten.

 

Sowieso schaffen es die radikal rechten Parteien gerade noch nicht wie geplant, aus der Situation Profit zu schlagen. In den beiden Städten brachten sie nicht mehr als 70 bzw. 120 Anhänger auf die Straße. Vielleicht hatten sie sich auch verplant und drei Versammlungen am Tag abzuhalten, ist selbst in Sachsen einfach zu viel, um überall mehrere Hundert Leute auf die Straße zu bekommen.

 

In Heidenau hatte die NPD vor ein paar Wochen schließlich über 1.000 Anhänger auf die Straße bekommen, die sich später eine Straßenschlacht mit der Polizei lieferten, um die Ankunft von Flüchtlingsbussen zu verhindern.

 

Sachsen kommt zumindest auch in Zukunft nicht zur Ruhe. In dieser Woche sind bereits jetzt 15 weitere Aufläufe angekündigt.

 

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