Biedenkopf: Ostdeutsche weitgehend immun gegen Rechtsradikalismus

Erstveröffentlicht: 
20.09.2015

Die Behauptung, Ostdeutsche seien besonders empfänglich für rechtsextremes Gedankengut, lehnt Sachsens früherer Ministerpräsident Kurt Biedenkopf ab. Im Interview mit der LVZ sagt er, dass überwiegend Westdeutsche den Rechtsextremismus mitgebracht hätten. Biedenkopf spricht sich außerdem für einen „Soli“ für die Flüchtlingsarbeit aus.

 

Berlin. Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) hat sich gegen den Vorwurf verwahrt, die Ostdeutschen seien besonders empfänglich für rechtsextremes Gedankengut. In einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung sagte Biedenkopf, er habe sich mit seiner früheren Aussage nicht getäuscht, dass die Sachsen nicht empfänglich seien für Rechtsextremismus. „Die große Mehrheit ist ,immun‘ und bleibt es – wie in Westdeutschland, wo der Rechtsextremismus in Gestalt der Republikaner in Baden-Württemberg seinen Anfang nahm.“ Überwiegend seien es „Westdeutsche, die ihn nach Osten bringen“.

 

Dort, wo es ihnen gelinge, erzeugten sie zwar eine Protesthaltung aber keine strategische Kraft. Dass der Protest im Osten intensiver sei, habe vor allem zwei Gründe: „Erstens: Die Menschen haben keine Erfahrung mit Flüchtlingen aus anderen Kulturkreisen. Zweitens: Sie haben in den letzten 25 Jahren eine Umwälzung ihrer gesamten Lebensverhältnisse verkraften müssen.“ Angesichts der Flüchtlingsströme fürchteten sie um den Bestand des gerade Erreichten.

 

„Ein nicht unwesentlicher Teil der Leute, die für die Übergriffe in Heidenau verantwortlich waren, waren keine Sachsen. Sie kamen aus Westdeutschland“, sagte Biedenkopf. Das sei „keine gesamtdeutsche Integration, wie wir sie uns wünschen“.

 

Schuld am Rückgang des demokratischen parteipolitischen Engagements seien im Übrigen die großen Parteien selbst. Union und SPD hätten sich stark angenähert. In Berlin hätten beide zusammen eine verfassungsändernde Mehrheit. „Sie fühlen sich dabei offenkundig ziemlich wohl.“ Wer Mitglied werden wolle, frage sich doch, was die beiden Parteien unterscheide. Mit Blick auf deren Grundsatzprogramme meinte Biedenkopf: „Dampft man sie auf das ein, was konkret und zukunftsorientiert ist, und verschwinden damit die Allgemeinplätze und Worthülsen, dann bleibt in der Regel nicht viel Kreatives und Neues übrig.“

 

Biedenkopf schlägt „Soli“ für die Flüchtlingsarbeit vor


Der frühere sächsische Ministerpräsident sprach sich darüber hinaus für einen Solidaritätszuschlag zugunsten der Flüchtlingshilfe in Deutschland aus. „Ich hätte nichts gegen einen ,Soli‘ für Flüchtlinge – als Ergänzung eines breiten bürgerschaftlichen Engagements, nicht als Ersatz.“ Wenn man von Europa als einer Gemeinschaft rede, dann von einer Gemeinschaft, „die die verdammte Pflicht und Schuldigkeit hat, auch Verantwortung zu übernehmen für das, was außerhalb unserer Grenzen passiert“.

 

Die aktuellen Flüchtlingsströme seien „auch die Folge unseres Versagens und unserer Missachtung ihrer Schicksale“, meinte Biedenkopf. „Heute wissen die Afrikaner über Handy und Internet, wie schön das Leben nördlich der Alpen ist. Dass es dort sauberes Wasser und grüne Wälder gibt. Dort wollen sie hin und Krieg und Zerstörung entkommen.“

 

Schon vor 30 Jahren habe er dafür geworben, dass Europa das Mittelmeer als ein europäisches Meer begreife und sich um die Menschen in Afrika und im Mittleren Osten kümmere. „Das fanden die Verantwortlichen zwar interessant, aber umworben haben sie einen Diktator wie Gaddafi in Libyen, weil der Europa die Flüchtlinge vom Hals hielt“, kritisierte Biedenkopf.

 

Ein introvertiertes, vor allem mit sich selbst beschäftigtes Europa, „bietet unseren Enkeln keine Zukunft“. Eine vernünftige europäische Zukunft werde auch nicht von Parlamenten gestaltet, deren Mitglieder ihren Lebenszweck darin sähen, „unser Leben immer umfassender zu regeln und die darüber die Fähigkeit verlieren, sich mit langfristigen Veränderungen zu beschäftigen, wie mit den Ursachen und Folgen der neuen Völkerwanderung in Gestalt der Flüchtlingsbewegungen“.