Sachsens Polizei in der Sackgasse

Erstveröffentlicht: 
09.09.2015

Nach den Krawallen in Heidenau kritisieren Kripo-Beamte den Sonderweg des Freistaats im Kampf gegen Extremismus.

 

Auch zweieinhalb Wochen nach den schweren Krawallen in Heidenau kann die Polizei keine Erfolge vorweisen. In zwei Nächten hatten mehrere Hundert rechtsextreme Täter aus Protest gegen die neue Asylbewerberunterkunft im ehemaligen Praktiker-Baumarkt die Polizei angegriffen. Sie zündeten Pyrotechnik und warfen mit Flaschen und Steinen auf die Beamten, mehr als 30 wurden verletzt.

 

Ausgerechnet bei diesem Angriff gegen Staat und Polizei ist das Operative Abwehrzentrum (OAZ), Sachsens Spezialeinheit zur Bekämpfung politisch motivierter Gewalt, außen vor. Es soll eine Handvoll Verdächtiger geben. Nach Recherchen der SZ ermittelt der Staatsschutz der Dresdner Kripo – ohne Unterstützung des OAZ mit seinen Möglichkeiten, Struktur und Vernetzung der gewaltbereiten Szene zu beleuchten. Die Kripo habe schon damit Probleme, ihre Kollegen der Bereitschaftspolizei als Zeugen zu befragen, heißt es.

 

Peter Guld, Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, kritisiert die Art der Ermittlungen gegen rechts- und linksextreme Gewalt in Sachsen. Das OAZ habe nie in die Organisation der Polizei gepasst. Ende 2012 wurde die Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex) im Landeskriminalamt (LKA) aufgelöst und als OAZ der Polizeidirektion Leipzig angehängt. Dieser sächsische Sonderweg habe großen Schaden angerichtet, sagt Guld.

 

Jetzt, wo nahezu täglich bundesweit Asylbewerberunterkünfte in Flammen stehen, zeige sich das Strukturproblem, auf das Guld schon vor Gründung des OAZ hingewiesen hatte, umso deutlicher. Es gebe nicht nur in Leipzig eine ausgeprägte linksautonome Szene mit fast monatlichen Gewaltexzessen, die man im OAZ lange sich selbst überlassen habe. Auch der rechte Terror nehme zu. „Man muss annehmen, die Ausschreitungen in Heidenau waren gesteuert“, sagt Guld. „Wo kommen plötzlich 600 Krawalltouristen her?“ Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte kürzlich vor neuen rechten Terrorzellen.

 

Angriffe auf Polizisten nehmen zu. In Freital gab es nächtelang Demos vor einer Unterkunft, später jagten Unbekannte den Golf des Linken-Politikers Michael Richter in die Luft. Und die sächsische Polizei? Sie wird gerade zum Opfer ihrer eigenen Reformen. Nicht nur, dass es im Freistaat zu wenige Beamte gibt und wieder einmal der polizeiliche Notstand erklärt wurde. Dort, wo die schärfste Klinge gegen politisch motivierte Gewalttäter geführt wird, passiert besonders wenig: im Operativen Abwehrzentrum mit seinen 113 Beamten. So ermittelt man etwa gegen den Sprengstoffanschlag in Freital, die Urheber der Drohungen, die Richter zuvor erhalten hatte, sucht dagegen zunächst die Dresdner Kripo. Für Heidenau sei das OAZ nicht zuständig, so das Innenministerium. Ein unmittelbarer Angriff auf die Bewohner sei nicht zu verzeichnen gewesen.

 

Das OAZ ist seit 2013 der Polizeidirektion zugeordnet, ein Geschenk an den scheidenden Landespolizeipräsidenten Bernd Merbitz, der seitdem die Leipziger Direktion und das OAZ führt. Er hatte schon die Soko Rex im LKA aufgebaut, sie war auf gleicher Ebene vernetzt mit Auswertern, Datenbanken, Verfassungsschützern – bis Ende 2012. Damals, nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) wurde bundesweit eine bessere Kommunikation der Sicherheitsbehörden und eine intensivere Vernetzung angemahnt. In Sachsen jedoch schaffte man laut Guld neue Hürden und koppelte die Soko Rex vom LKA ab. Es dauerte Monate, ehe selbst erfahrene Politiker bemerkten, dass der Freistaat die Extremismusbekämpfung nicht aufgestockt, sondern lediglich umstrukturiert hatte.

 

Innerhalb der sächsischen Polizei gebe es nun Kompetenz-Schwierigkeiten aufgrund der fehlenden Hierarchie, sagt Guld. Die LKA-Auswerter sind in weiter Ferne, Landeskriminalämter anderer Bundesländer fänden ihre Ansprechpartner nicht – kurz: die Kommunikation ist erschwert, neue Hemmnisse wurden geschaffen, anstatt sie zu beseitigen.

 

Die Dresdner Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft hatten bereits 2012 gefordert, die Soko Rex mit Staatsanwälten zu verstärken, anstatt sie zu dezentralisieren. Oberstaatsanwalt Jürgen Schär, Leiter der Staatsschutzabteilung, nennt die aktuellen Ermittlungsprobleme zu Heidenau ein fatales Signal. „Der Staat muss Vertrauen zurückgewinnen und seine Handlungsfähigkeit zeigen. Das ist jetzt das Wichtigste“, sagte er.

 

Das von Minister Markus Ulbig (CDU) geführte Innenministerium geht auf die Kritik an der Struktur des OAZ nicht ein. Es habe sich als flexibles und effektives Instrument erwiesen, sagt eine Sprecherin und verweist auf die hohe Aufklärungsquote. Doch darunter sei sehr viel Kleinkriminalität, sagt Sachsens BDK-Chef Peter Guld.