Die Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain gilt als Hochburg der linken Szene. Ein Problem für Menschen, die dort hinziehen. Besonders, wenn sie Häuser auf ehemalige Brachflächen bauen. Denn die Brachflächen sind linker "Freiraum" – und die Zugezogenen offenbar der Feind. Und den gilt es wohl zu bekämpfen – mittels Steinen, Stahlkugeln und Brandsätzen.
Anmoderation: Übermorgen, 1. Mai, Tag der Arbeit, - in Berlin traditionell immer auch Tag der Krawalle in Kreuzberg. In den vergangenen Jahren ging die Gewalt allerdings zurück. Die linksextreme Szene setzt inzwischen nämlich weniger auf die großen Aktionen als auf gezielte Kleingruppentaktik im Rest des Jahres. Und ihre Methoden werden immer radikaler. Wer anders denkt und anders lebt, läuft Gefahr, zum Feind erklärt zu werden. Uns erinnert das an Verhaltensmuster, die wir eigentlich bisher vor allem von Rechtsextremisten kannten. Andre Kartschall.
Kaspar Deecke
"Insgesamt sind in die Scheibe meiner 13-jährigen Tochter 24 6-mm-Stahlkugeln geschossen worden, als sie drin war. Und das war schon ne Eskalation, denn die Wohnung war eindeutig bewohnt. Wir hatten Licht brennen und man kann es selbst im Dunkeln erkennen, dass das ein Kinderzimmer ist."
Zweimal bereits wurde die Wohnung von Kaspar Deecke mit einer Zwille, einer Art Schleuder, attackiert.
Das Haus ist Teil der Baugruppe Liebig 1 in Berlin-Friedrichshain. 140 Eigentumswohnungen sind hier entstanden, die ersten sind schon bezogen. Das Problem: Die Liebigstraße 1 grenzt direkt an die Rigaer Straße, einen Schwerpunkt der linken Szene in Berlin. Durchschnittlich mehr als einmal pro Woche kommt es im Kiez zu politisch motivierten Straftaten. Meist sind es Sachbeschädigungen.
Als die Kugeln flogen, war Kaspar Deecke gerade erst eingezogen. Zuvor hatte er viele Jahre im Ausland gelebt. Politische Gegner hatte er bis vor kurzem, wenn überhaupt, eher rechts vermutet.
Kaspar Deecke
"Meine Tochter hat bis vor zwei Jahren noch nie in Deutschland gelebt. Und wir haben sie darauf vorbereitet, dass wir zurück nach Deutschland gehen. Und mussten wir auch sagen – weil: sie sieht asiatisch aus – dass es in Deutschland Leute gibt, die Menschen anderer Hautfarbe und Menschen, die anders aussehen, nicht mögen. Wir haben ihr von Nazis erzählt, von Skinheads. Und meine Tochter fragte nach diesem Angriff: 'Waren das jetzt die Nazis?'"
Waren es wohl nicht. Die Polizei geht von linksextremen Tätern aus.
Auf dem alternativen Internetforum "Indymedia" wird schon länger Stimmung gegen die Liebig 1 gemacht.
Es geht gegen die angeblich "reichen" Zugezogenen. Die sorgten dafür, dass die Mieten in die Höhe schießen. Für manchen User sind die Mitglieder der Baugruppe einfach "Rädchen im Getriebe", die halt auch mal zu Schaden kommen können.
Bereits am Silvesterabend hatten 20 bis 30 Vermummte das Gelände gestürmt. Damals waren die meisten Wohnungen noch unbewohnt, auch die von Kaspar Deeckes Nachbarin. Die Baugruppe hatte einen Sicherheitsdienst engagiert.
Jeannette Günther
"Der Wachmann ist angegriffen worden, sein Container ist in Feuer geraten und dann wurden Steine auf die Häuser geschmissen, die hier vorne gleich an der Liebig sind. Und Farbbeutel müssen etwas später noch dazu gekommen sein. Das war nicht an dem Abend."
Jeanette Günther ging offensiv mit dem Vorfall um. Gemeinsam mit ihrer Freundin schrieb sie einen Offenen Brief – und veröffentlichte diesen auf Indymedia. Sie wollten eine Diskussion anstoßen, etwa über die vielen Gerüchte, die rund um den Neubau kursierten. Eines besagte, dass hier eine Wohnanlage nur für Reiche entsteht.
Jeannette Günther
"Meine Partnerin, mit der ich zusammenlebe, ist Sozialarbeiterin im Friedrichshain. Wir haben einen 10-jährigen Sohn, wir haben ne 85-Quadratmeter-Wohnung zu dritt, keine 120. Wir wollen nicht spekulieren mit der Wohnung. Für uns war es die Möglichkeit, eben aus teuren Mieten herauszukommen und zu sagen, wir zahlen das an eine Bank und das gehört uns dann mal."
So machen es fast alle Mitglieder der Baugruppe. "Reiche" gibt es hier nicht wirklich. Es sei denn, man erweitert den Begriff auf Menschen, die Arbeit haben und als kreditwürdig gelten. Vertrieben wurde auch niemand – hier war vorher eine Brache. Für die linke Szene hingegen handelte es sich um einen erkämpften Freiraum, genannt "Bambiland", eine wilde Grünfläche. Die gibt es nicht mehr. Dort stehen jetzt die Neubauten. In denen leben – anders als von vielen vermutet, vor allem Berliner, die bisher zur Miete gewohnt haben.
Silke Bosse
"Wenn wir hier einziehen, dann entlasten wir den Wohnungsmarkt, gerade im Friedrichshainer Raum, im Friedrichshainer, Kreuzberger Raum."
Tom Schreiber, Abgeordneter der SPD, beobachtet seit Jahren Links-, Rechts- und islamistischen Extremismus in der Stadt. Er sagt, der Extremismus von Links gehe zunehmend wahllos vor.
Tom Schreiber (SPD), Mitglied des Abgeordnetenhauses
"Mittlerweile gerät alles in das Visier der linksautonomen Szene, was möglicherweise mit einer Baugruppe oder einem Bauvorhaben zu tun hat. Da geht’s bis dahin, dass man sagt, man knüpft sich Wachleute vor oder eben auch Bauarbeiter oder zündet irgendwelche Baufahrzeuge an, um zu sagen: jetzt treffen wir die Menschen, die aktiv hier diesen Bau befördern."
Dabei definiert sich die linke Szene traditionell über Vielfältigkeit. Die Frage ist nur: Inwiefern gilt das auch für linksextreme Gruppen?
Tom Schreiber (SPD), Mitglied des Abgeordnetenhauses
"Ich glaube, sie sind massiv intolerant. Sie reden zwar von viel Vielfalt und Toleranz nach außen auf Flyern, und man muss sich einsetzen für Flüchtlinge und viel mehr. Gerade was die autonome, linksautonome Szene betrifft. Aber im Kern sind sie massiv intolerant und dulden nur ihre Meinung und Haltung."
In der Senatsverwaltung für Inneres beobachtet man seit Jahren, dass Linksextreme die Hoheit über ganze Straßenzüge für sich beanspruchen.
Bernd Krömer (CDU), Staatssekretär für Inneres
"Es ist schon so, dass diese Szene der Meinung ist: ihr gehört dieser Kiez, das ist ihr Kiez, ihr Bürgerkiez. Und sie entscheiden darüber, ob dort neue Häuser gebaut werden dürfen oder nicht, wer dort zuziehen darf und wer nicht, welche Häuser gebaut werden dürfen und welche nicht."
Ein paar Radikale, die entscheiden wollen, wer wo leben darf.
Ein Phänomen, das eigentlich am ganz anderen Ende des politischen Spektrums verortet wird. Etwa wenn Rechtsradikale im sachsen-anhaltinischen Tröglitz ein Asylbewerberheim anzünden.
Dort geht es gegen "die Ausländer". In Friedrichshain gegen "die Zugezogenen". Der Feind ist der jeweils andere, der entweder anders denkt, anders aussieht oder anders lebt. Und der soll weg.
Tom Schreiber (SPD), Mitglied des Abgeordnetenhauses
"Wenn man beides sich anschaut, dann kann man zu der These kommen, dass das so ist, dass beide Seiten versuchen, durch Gewalttaten, durch Druck, durch Einschüchterung zu sagen, wer wo leben darf."
Die Bewohner der Liebigstraße 1 betonen derweil: sie sind bereit, mit jedem aus der Nachbarschaft zu reden und zu diskutieren. Vertreiben lassen aber werden sie sich nicht.
Abmoderation: Richtig so. Höchste Zeit, die Augen nicht mehr vor dem Terror von Links zu verschliessen.
Beitrag von André Kartschall