Frank Richter mit jeder Menge Verständnis für Freitaler Heimgegner - „Beim Asyl gibt es keine schnellen Antworten“

Erstveröffentlicht: 
23.04.2015

Woher kommt die Wut, die auch viele Freitaler auf die Straße treibt? Die SZ sprach mit Ex-Bürgerrechtler Frank Richter.

 

Bildunterschrift: „Vertane Chance“, sagt der Freitaler Frank Richter (55), der die Bürgerversammlung am 11. März hätte moderieren sollen. Diese wurde aber abgesagt. Der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung hat aber einen Vorschlag.

 

Herr Richter, seit Wochen nimmt der Zuspruch für die Asylproteste in Freital ab. Geht der Bewegung die Luft aus?

Die quantitative Entwicklung der Bewegung, die sich Bürgerinitiative nennt, ist das eine. Das Entscheidende sind die Probleme, die die Menschen bewegen. Sie sind nicht verschwunden, nur weil weniger Leute demonstrieren. Die Redebeiträge sind radikaler geworden. Oft hört man pauschale Verurteilungen. Das führt womöglich dazu, dass sich Gemäßigte und solche, die differenzierter denken, abwenden.

Welche Probleme sehen Sie?

Es gibt ohne Frage eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik, wobei Politik und Verwaltung oft gleichgesetzt werden. Unübersehbar ist eine große Verunsicherung die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklung betreffend. Dazu kommt eine Angst vor Überfremdung und Heimatverlust. Angst ist nie ein guter Ratgeber. Diese Ängste sollten artikuliert werden. Eine ehrliche und sachliche Prüfung, ob sie tatsächlich realistisch sind, muss dazu kommen.

Auch Asylbefürworter haben Angst. Wie berechtigt ist diese angesichts von Tröglitz oder jüngst erst Schmiedeberg, wo es Vorfälle gegen Asylbewerberheime beziehungsweise Morddrohungen gegen Aktivisten gab?

Die Zunahme verschiedener Ängste ist insgesamt besorgniserregend. Asylbewerber haben Angst, abends auf die Straße zu gehen. Hilfeleistende haben Angst, angefeindet zu werden. Einheimische haben Angst vor Überfremdung und Kriminalität. Wie gesagt, Ängste auszusprechen ist notwendig. Sie zu schüren, ist unverantwortlich. Wir brauchen einen sachlichen Austausch.

Sie selbst wohnen in Freital, haben sich die Proteste aus der Nähe angesehen. Wer demonstriert hier?

Prinzipiell sehe ich keinen großen Unterschied zu den Pegida-Demonstrationen in Dresden. Es versammeln sich mehr Menschen aus dem ländlichen Raum als aus urbanen Zentren, mehr Menschen mit ausgeprägter technischer, ökonomischer und praktischer Kompetenz als solche mit politischer, sozialer und kultureller Kompetenz. Es sind zudem auch mehr Männer als Frauen unterwegs. Häufig fühlen sich die Demonstranten als Einheimische, wurden in der DDR sozialisiert oder sind Kinder von Eltern, bei denen dies zutraf. Menschen, die aus Westdeutschland zugewandert sind, findet man dagegen selten.

Die Freitaler Proteste scheinen sich immer mehr mit Pegida zu vernetzen. Wie ist dieser Trend zu bewerten?

Pegida ist eine Dachmarke, unter der sich sehr verschiedene Dinge versammeln. Man kann sagen: viel angestaute Wut, großes Frust- und Protestpotenzial, die mit einem hervorragenden Marketing kombiniert werden. Dagegen steht aber wenig konstruktive, politische Substanz. So auch in Freital: viele negative Gefühle, Frust, aber auch ernstzunehmender Protest und die Forderung, in die politische Willensbildung einbezogen zu werden. Insofern also nicht unbedingt ein neuer Trend. Es braucht eine konstruktive, sachliche, öffentliche Debatte, die allerdings kaum auf der Straße stattfinden kann.

Es gibt Stimmen, die das Aufflammen der Proteste in Freital als Resultat eines schleichenden Rechtstrends seit der Wende sehen. Ist da was dran?

Die schnelle Unterscheidung zwischen links und rechts taugt nicht, um politische Entwicklungen einzuordnen. Wenn man genauer hinsieht, ist ein Trend hin zu einer tiefgreifenden Ablehnung unseres politischen und gesellschaftlichen Systems zu beobachten – auch in Freital. Dieser Trend hängt mit einer zunehmenden politischen Abstinenz vieler Bürger zusammen, die dazu führen kann, dass die Funktionsweisen von Parteien, Medien und repräsentativer Demokratie teils nicht verstanden werden.

Die Proteste laufen unter der 89er-Losung „Wir sind das Volk!“. Wie wirkt das auf Sie als einer der führenden Köpfe der friedlichen Revolution?

Wie es auf mich wirkt, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass wir verstehen, was die Menschen dazu bringt. Sie machen von einem Grundrecht Gebrauch. Das steht nicht zur Debatte – genauso wenig wie das Grundrecht auf Asyl zur Debatte stehen darf. Einen Unterschied zu 1989 möchte ich freilich nennen. Damals richtete sich der Ruf „Wir sind das Volk!“ gegen die Mächtigen. Heute erzeugt derselbe Ruf Angst bei Flüchtlingen und Asylbewerbern, also bei Menschen, die zu den Schwächsten der Gesellschaft gehören. Das bedrückt mich. Warum soll eine Demonstration, mit der auf die politische Willensbildung Einfluss ausgeübt werden soll, an einem Asylbewerberheim vorbeiziehen? Das ist schlicht die falsche Adresse.

Was dachten Sie, als Sie von der Absage der Bürgerversammlung im März hörten, die Sie moderieren sollten?

Vertane Chance.

Hat Freital mit dem ersten Forum im Februar zu spät begonnen, die Bürger einzubeziehen?

Ich kann der Stadt keinen Vorwurf machen. Dafür, einen Dialog zu beginnen, ist es niemals zu spät. Menschen sind selten per se ablehnend. Sie wollen gehört und einbezogen werden. Man muss keine Angst haben vor einer offenen Debatte. Im Gegenteil. Wir sind eine offene Gesellschaft oder wollen zumindest eine sein.

Inwieweit ist dazu eine Bürgerversammlung überhaupt geeignet? Kann sie eine grundlegende transparente Informationspolitik ersetzen?

Wie informiert und diskutiert wird, ist zweitrangig. Hauptsache, es geht offen und ehrlich zu. Jedes Forum ist besser als keines. Eine grundlegende transparente Informationspolitik kann aber auch eine Bürgerversammlung nicht ersetzen. Dabei dürfen auch mal Fehler eingestanden werden. Sind Sie ohne Fehler? Ich nicht. Im Übrigen glaube ich nicht, dass eine Veranstaltung genügt. Einen offenen politischen Dialog sollte es auch dann geben, wenn die Probleme noch gar nicht offensichtlich sind. Im Konflikt liegt immer auch eine gesellschaftliche Chance.

Hätte es dann heute vielleicht gar keinen solchen Aufschrei gegeben?

Das ist natürlich alles sehr spekulativ, aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht.

Ist die Politik Ihrer Ansicht nach mit der Asylthematik überfordert?

Ich kann jeden Politiker gut verstehen, der angesichts der aktuellen Flüchtlingszahlen überfordert ist. Unsere Welt ist an vielen Orten aus den Fugen geraten. Politiker sind keine Götter. Mit dem ehrlichen Eingeständnis, dass wir auf viele Fragen keine schnellen Antworten haben, beginnt die Suche nach Lösungen. Es gibt keinen Grund für Pessimismus. Wir haben schon andere Probleme gemeistert, meiner Meinung nach immer dann am besten, wenn wir uns aus tiefster Überzeugung für die Verständigung mit anderen Völkern eingesetzt haben. Dass wir dabei nicht alle mitnehmen können, ist allerdings auch wahr.

Das Gespräch führte Jane Jannke.