Volkstrauertag abschaffen 2014 [Aktionswoche]

Flyer

Seit 1952 findet in der BRD jedes Jahr, zwei Sonntage vor dem ersten Advent, der sogenannte Volkstrauertag statt. Dieser staatliche Gedenktag soll dazu dienen, den Toten beider Weltkriege zu gedenken. Wie kaum ein anderer Gedenktag steht dieser Tag im Zeichen der Verharmlosung der deutschen Vergangenheit. Unterschiedslos wird am Volkstrauertag jenen gedacht, die die faschistische Barbarei über Europa brachten, sechs Millionen Jüdinnen und Juden und tausende politische Gegner_innen ermordeten und jenen, die diesen Terror mit Waffengewalt niederrangen oder ihm zum Opfer fielen. Durch die Vermischung verschiedener wirklicher und vermeintlicher Opfergruppen verschwinden Ursache und Wirkung von Krieg und Massenmord in Nazideutschland. Nach den Verweisen auf "dunkle Kapitel" deutscher Geschichte können sich die Deutschen unverblümt als Opfer inszenieren und setzen die Ermordeten von Auschwitz, Belzec, Treblinka und anderen nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern in eine Reihe mit dem Mordkollektiv, das diesen Horror erst möglich machte.


Es verwundert nicht, dass deutsche Neonazis diesen Tag für ihre Zwecke nutzen. Bei ihnen heißt der Volkstrauertag, wie schon zu NS-Zeiten, Heldengedenken. Die zentrale Veranstaltung der Thüringer Neonazis findet jährlich in Friedrichroda statt. Der Fackelmarsch in der Kleinstadt im Gothaer Landkreis ist, verschwiegen und damit gefördert von Politik und Öffentlichkeit, zu einem festen Termin im Thüringer Eventkalender der Neonazis geworden.


Wir wollen am 15. und 16. November in Gotha und Friedrichroda nicht nur gegen die Strategie der Ignoranz und den Aufmarsch der Nazis auf die Straße gehen, sondern gegen eine deutsche Gedenkpolitik, die die Opfer der deutschen Vernichtungspraxis wie die Kämpfenden gegen das faschistische Deutschland verhöhnt, indem sie sie mit ihren Mördern in das gleiche Gedenken einbegreift. Der Kampf gegen den Volkstrauertag und seine Verfechter ist also ein Kampf gegen das Vergessen, gegen die deutsche Version von Versöhnung, gegen alles was sich mit der Macht der Herrschenden Geltung verschafft: Gegen Deutschland und seine Nazis!

 

Volkstrauertag abschaffen!
Gegen NS-Verharmlosung, Naziaufmärsche und deutsche Opfermythen!

 

Der Aufschrei war groß als in den vergangenen Monaten die Zahl antisemitischer Ausschreitungen in der Bundesrepublik infolge des Gaza-Konfliktes im Nahen Osten sprunghaft zunahm und auch die ständigen Enthüllungen im Rahmen der Aufklärungen zur NSU-Mordserie produzierten unter den Verantwortlichen in der deutschen Politik einen quasi zum Dauerzustand erstarrten Modus der Empörung und Abwehr. Immer dann, wenn im postfaschistischen Deutschland Verantwortliche mit den Nachwirkungen und Parallelen der deutschen Vergangenheit konfrontiert werden, hört man allerorts durch bußfertige Machthaber von der Verantwortung, die die deutsche Vergangenheit mit sich bringe. Was von diesem Verantwortungsbewusstsein der vermeintlich geläuterten Deutschen zu halten ist, zeigt sich jährlich zwei Sonntage vor dem Ersten Advent am sogenannten Volkstrauertag. An diesem offiziellen Gedenktag offenbart sich, dass die unverschämte Rehabilitierung der deutschen Vernichtungstruppen und die Verharmlosung der deutschen Barbarei heute immer noch zentraler Bestandteil deutscher Gedenkpolitik ist.

Der Volkstrauertag und die deutsche Gedenkpolitik

Die Geschichte des Volkstrauertages begann bereits in der Weimarer Republik. Im Jahr 1926 wurde der erste Volkstrauertag begangen, um den deutschen Gefallenen des Ersten Weltkriegs zu gedenken. Was damals schon seinen Zweck in einer mehr oder weniger intensiven Kriegshetze fand, trat zur Zeit des Nationalsozialismus offen zu Tage. Die Nazis begingen den Volkstrauertag als sogenanntes "Heldengedenken" und auch die heutigen Nazis knüpfen nicht nur begrifflich an diese Tradition an. Nach der militärischen Niederschlagung Nazideutschlands und dem Abbruch der Shoah durch die Anti-Hitler-Koalition wurde der Volkstrauertag in der alten Bundesrepublik wieder eingeführt. Heute soll ausdrücklich den Toten beider Weltkriege und den Opfern der Gewaltherrschaft aller Nationen gedacht, für Frieden, Versöhnung und Verständigung gemahnt werden. Jeder spezifische historische Charakter jener "Gewaltherrschaft[en]", die durchaus inzwischen auch den Staatskapitalismus der DDR einschließt, geht in einem solchen Gedenken verloren. Die deutschen Täter, die Millionen Menschen ausrotteten, stehen in einer Reihe mit den Mauertoten, den gefallenen Alliierten und den Opfern der Deutschen. Ein solches nivellierendes, also zwischen Opfern und Tätern nicht mehr unterscheidendes, Gedenken im Land der Täter ist für die politische Linke und für alle Menschen problematisch, die dafür eintreten, dass die Bedingungen der deutschen Barbarei, die Bedingungen des eliminatorischen Antisemitismus in diesem Land und weltweit beseitigt werden. Die gleichmachende deutsche Gedenkpolitik zum Volkstrauertag ist Ausdruck eines Bewusstseins, das die wirkliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus ablehnt, verdrängt bzw. diesen überhaupt vergessen machen will. Sie bestätigt nur immer wieder den Satz Paul Spiegels, wonach sich hinter den Rufen nach Frieden die Mörder verschanzen. Eine solche Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit hätte u.a. die Kontinuität jener Bedingungen, die nach Auschwitz führten und die bis in die Gegenwart fortdauern, zu thematisieren und zum Gegenstand politischer Kämpfe zu machen. Im Sinne eines solchen antifaschistischen Kampfes ist ein Gedenken an die deutschen Täter nicht hinnehmbar. Wir gedenken den ermordeten Jüdinnen und Juden, den Kommunistinnen und Kommunisten, den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, den Sinti und Roma sowie all den anderen unzähligen Opfern, die aufgrund einer menschenverachtenden Ideologie ihr Leben lassen mussten. Wir gedenken auch den Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern, den Partisaninnen und Partisanen sowie den Soldatinnen und Soldaten der Anti-Hitler-Koalition. Für dieses Erinnern und Gedenken bedarf es keines Volkstrauertages, der im Begriff des Volkes ein Denken mitführt, das in Deutschland immer mit der Blut- und Bodenideologie verknüpft war, für welche Rassismus und Antisemitismus wesentliche Bestandteile sind. Eine Gemeinschaft, die auf Ausgrenzung basiert, lehnen wir ab. Wir kämpfen für ein solidarisches Miteinander aller Menschen, ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung, Hautfarbe oder Herkunft, für eine Gesellschaft jenseits kapitalistischer Ausbeutung und Zurichtung.

Friedrichroda begrüßt seine Kinder

Wenn also jedes Jahr zum Volkstrauertag vielerorts Personen und Gruppen zusammenkommen, die die deutschen Verbrechen verharmlosen, offen leugnen oder die deutsche Kriegsschuld bestreiten, dann kann es nicht verwundern, wenn an diesen Zusammenkünften auch Nazis beiwohnen. Dass Nazis diesen Tag nutzen, ist keine Instrumentalisierung des Tages für andere Zwecke, sondern die logische Konsequenz seiner politischen Bestimmung. Zum zwölften Mal findet nun das zentrale Thüringer "Heldengedenken" am 16. November 2014 in der westthüringischen Provinz, in Friedrichroda, statt. Bereits am Vormittag legen die organisierten Thüringer Nazis in ihren jeweiligen Heimatgemeinden Kränze vor den Kriegsdenkmälern ab, oftmals zusammen mit dem dortigen Bürgertum. Zum abendlichen Fackelmarsch versammeln sich dann Nazis aus ganz Thüringen am Kriegsdenkmal in Friedrichroda. Im Stein des Denkmals ist die Inschrift "Für Heimat und Vaterland" eingeprägt. Die Zahl der Teilnehmer brach 2013 drastisch ein. Zogen Fackelmarsch und gemeinsame Gesangsfolklore in den Jahren zuvor noch bis zu 140 Personen an, schafften es im letzten Jahr lediglich zwei Dutzend Trauernazis nach Friedrichroda. Die traditionell von der Gothaer NPD angemeldete Veranstaltung, wird seit 2013 wieder von der Kameradschaftsszene organisiert. Nach der Schlappe des letzten Jahres, versuchen die Nazis rund um die noch recht junge Kameradschaft "Bündnis Zukunft Landkreis Gotha" das Friedrichrodaer Heldengedenken wiederzubeleben und mobilisieren schon seit Monaten für den Aufmarsch.
In den frühen Abendstunden, und mit Fackeln bewaffnet, begehen die anwesenden Nazis dann ihr ritualisiertes Gedenken an die gefallenen deutschen Soldaten. In gespenstiger Atmosphäre werden die Geister der Soldaten des Heeres, der Kriegsmarine, der Luftwaffe, der Waffen-SS und des Volkssturms zurück in die Reihen ihrer Kameraden gerufen. Auferstanden ist zwar bis heute noch keiner, doch der Gruselfaktor in Friedrichroda ist enorm. Zum Abschluss der Zeremonie singen die Nazis noch Soldatenlieder und begehen eine Schweigeminute für die Verbrecher, die Auschwitz, Treblinka und all die anderen Konzentrations- und Vernichtungslager möglich gemacht haben, die Millionen Menschen ermordet und Europa in Schutt und Asche gelegt haben.

Auf die Straße!

Protest gegen den Naziaufmarsch und das Volkstrauertagsgedenken gab es in den vergangenen Jahren nur von Seiten der Antifa. Die Mehrheitsbevölkerung von Friedrichroda versteckt sich in ihren Häusern, vermutlich wegen einer Mischung aus Desinteresse und heimlicher Sympathie für die Nazis. Die Verantwortlichen der Stadtpolitik versuchen das Thema so gut es geht zu verschweigen. Das macht Friedrichroda gewissermaßen zu einem Sonderfall Thüringischer Protestkultur. Wo andernorts bei ähnlichen Naziaufmärschen sich sofort Initiativen ans Werk machen, um Proteste zu organisieren, will man in Friedrichroda davon nichts wissen. Und wenn Schweigen und Ignorieren nicht mehr möglich sind, weil der Druck von außen zu groß wird, greift man - wie andernorts auch - zur Extremismusdoktrin. Schädlich für das Image des Kurortes sind demnach nicht bloß die Nazis und ihre Aufmärsche, sondern auch diejenigen, die die Aufmärsche und den öffentlichen Umgang mit ihnen problematisieren. Das Resultat dieses Manövers ist letztlich die Akzeptanz des Naziaufmarschs und die Gleichsetzung des antifaschistischen Widerstandes mit den Nachfahren von Mördern.
Wir wollen am 15. und 16. November in Gotha und Friedrichroda nicht nur gegen diese Strategie der Ignoranz und den Aufmarsch der Nazis auf die Straße gehen. Sondern gegen eine deutsche Gedenkpolitik, die die Opfer der deutschen Vernichtungspraxis wie die Kämpfenden gegen das faschistische Deutschland verhöhnt, indem sie sie mit ihren Mördern in das gleiche Gedenken einbegreift. Der Kampf gegen den Volkstrauertag und seine Verfechter ist also ein Kampf gegen das Vergessen, gegen die deutsche Version von Versöhnung, gegen alles was sich mit der Macht der Herrschenden Geltung verschafft: Gegen Deutschland und seine Nazis!

Antifaschistisches Bündnis Gotha, September 2014

 

Flyer, Plakate und Aufkleber können bestellt werden
Das diesjährige Mobimaterial ist eingetroffen und kann bestellt werden per Mail: antifa-sth@riseup.net

 

Aktionswoche

Die ganze Woche über finden in mehreren Städten Infoveranstaltungen und dezentrale Aktionen in Gotha und Friedrichroda statt. Zentrale Veranstaltungen, zu deren Teilnahme wir euch aufrufen, sind folgende:

10.11.2014: (Des-)Interesse als Mittel - Gedenken an Auschwitz in der DDR. 

Wo: JU.W.E.L. in Gotha (Hersdorfstr. 15)
Wann: 19 Uhr
Was: Das Interesse der Bevölkerung der DDR und der damaligen Staatsregierung an der Aufarbeitung des Holocaust hielt sich beinahe während der kompletten Existenzperiode des ostdeutschen Staates in Grenzen. Zwar fand in wissenschaftlichen und literarischen Kreisen durchaus eine Beschäftigung mit der Shoah statt, doch gerade auf staatlicher Seite schien die Aufarbeitung der Vergangenheit nebensächlich. Die Beschäftigung mit Auschwitz in der DDR war maßgeblich durch realpolitische Erwägungen geprägt. Im Vortrag sollen die staatlichen Vorgaben zum Umgang mit dem Massenmord sowie die in der DDR gepflegte Erinnerungspolitik erörtert werden.

13.11.2014: Infoveranstaltung zum Volkstrauertag und Naziaufmarsch in Friedrichroda und dem Widerstand dagegen
Wo: JU.W.E.L. in Gotha (Hersdorfstr. 15)
Wann: 19 Uhr
Was: Mittlerweile veranstalten Thüringer Neonazis anlässlich des Volkstrauertages zum zwölften mal ein so genanntes "Heldengedenken" in Friedrichroda. Zeitgleich öffnet der sogenannte Volkstrauertag mit seiner Idiologie der Gleichsetzung zwischen Opfer und Täter, Tür und Tor für Nazis und Geschichtsrevisionist*Innen. Wir wollen über Naziaufmarsch, Volkstrauertag und den Widerstand dagegen berichten.

15.11.2014: Antifa-Demonstration mit Live-Musik in Gotha
Treffpunkt: 17 Uhr, Hauptbahnhof

16.11.2014: Antifa-Kundgebung in Friedrichroda
Treffpunkt: 16 Uhr REWE-Parkplatz

Nazifackelmarsch
Statt von der NPD wird der Aufmarsch auch in diesem Jahr wieder von den Kameradschaftsnazis organisiert. Genauere Informationen zum Ablauf des Naziaufmarsches folgen.

 

Mehr Informationen auf: www.volkstrauertag-abschaffen.tk